Within Reach of Hand or Eye

Within Reach of Hand or Eye


Roman Ondák, K21 Ständehaus, Düsseldorf, 25.02. – 28.05.2012

Was nützt es dem Ausstellungsbesucher, wenn er weiß, dass es bei Roman Ondák immer etwas anders zugeht als in herkömmlichen Ausstellungen, wenn Ondák wiederum weiß, was der Besucher weiß und also erwartet? Natürlich bekommt er erst einmal vorgesetzt, was er nicht erwartet, nämlich eine klassische Ausstellungssituation. Der erste der drei Räume von „Within Reach of Hand or Eye“ im Düsseldorfer Ständehaus gibt sich als wiedergängerischer Auftritt früher Konzeptkunst. So didaktisch und knochentrocken, wie eine über Wände und Vitrinen verteilte Ansammlung von erklärenden Texten, Dokumentationen, Abbildungen und Originalmaterial (echte Kieselsteine!) überhaupt nur sein kann, berichtet „Across That Place” (2008-2011) von einer denkwürdigen Aktion, die am 31. August, 15 Uhr, an einem Abschnitt des Panamakanals auf der Höhe der Stadt Panama stattfand.

Eine Fülle von Zeitdokumenten, Plakattafeln, Zeitungsanzeigen und Filmaufnahmen bezeugen, wie hauptsächlich in spanischer, teilweise auch in englischer Sprache die Bevölkerung damals angeblich mit aller Dringlichkeit aufgerufen worden war, sich am Ufer des Panamakanals einzufinden, um gemeinsam flache Kiesel über die Wasseroberfläche hüpfen zu lassen. In einer kruden Mischung der jeweils von westlichen und östlichen Kunstkonzepten bevorzugt eingesetzten Medien und Stilmittel dokumentieren zahlreiche Gemälde, Zeichnungen, Landkarten, Fotos und ein Video wie circa 30 Personen dieser Aufforderung nachkamen. Ob es jemandem von ihnen gelungen ist, die an dieser Stelle etwas über 30 m breite Wasserfläche zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil des amerikanischen Kontinents mit den hüpfenden Kieselsteinen zu bezwingen, ist nicht bekannt.

Roman Ondák, 1966 in der sozialistischen Tschechoslowakei geboren, versteht es wie kein anderer, dem Kunstbetrieb den Spiegel vorzuhalten. Je größer das Materialaufgebot an Dokumenten, desto mehr gerät die Geschichte ins Wanken. Bei manchen dieser Artefakte ist ganz klar ersichtlich, dass es sich um Fakes handelt, wie beispielsweise bei den übermalten Fotos oder Postkarten. Bei anderen ist der Fall nicht so eindeutig. Zahlreiche Postkarten und Briefe an die Heimatadresse Ondáks im slowakischen Bratislava verweisen auf vermeintlich sehr enge Beziehungen zwischen dem Künstler und Panama, aber wohnt Ondák wirklich in einer Straße namens „Panamska“ und führt die panamaische Post tatsächlich den Schriftzug „Canal Zone“ im Stempel? Zweifellos fand die Steine-Wurf-Aktion statt, aber waren sich die Werfer in dem Moment über deren Symbolik im Klaren? Geht es um die Problematik einer historischen Öffnung west-östlicher Wirtschaftswege, mit der gleichzeitig die Durchtrennung der Nord-Süd-Achse in Kauf genommen wurde, oder eher um eine spielerische Okkupation des Nordens vom wirtschaftlich inzwischen erstarkenden Süden? Aber ob hier tatsächlich Anwohner per Aufruf aktiviert wurden, oder ob es sich um bezahlte Akteure handelt, ist nicht klar.

Bei Ondák, der wiederholt Darsteller für seine Aktionen verpflichtete, ist letzteres wahrscheinlicher. Eine seiner bekanntesten Arbeiten ist die inszenierte Warteschlange, die er unter dem Titel „Good Feeling in Good Times“ 2003 vor dem Kölnischen Kunstverein zum ersten Mal aufführte, und die er danach an verschiedenen Orten unter anderen Vorzeichen mehrfach wiederholte. Mit diesen Warteschlangen adaptierte er eine für Blockbuster-Ausstellungen vertraute Situation für den vom breiten Publikum eher wenig beachteten Kunstverein und kürte damit die Erwartungshaltung des Publikums zur eigentlichen Triebfeder einer Ausstellung. In „Across that Place“ können wir das tatsächliche Geschehen am Panamakanal vom 31. August 2008 gar nicht einschätzen; es ist dessen Übertragung in eine Kunstausstellung, die Bedeutung herstellt. Erst durch die Beachtung des Betrachters an diesem exponierten Ort erfüllen die hüpfenden Steine eine politische, soziale und künstlerische Mission.

Der zweite Düsseldorfer Ausstellungsbeitrag zeigt eine völlig andere Situation: Dieser Raum wird fast völlig ausgefüllt von einem sanft geschwungenen, moosbedeckten, übermannshohen und Bonsai-bekrönten Hügel. Ondák bedient sich bei diesem überraschenden Perspektivwechsel der schon häufiger von ihm eingesetzten Strategie der Natursimulation – man denke an die „Marslandschaft“, die ebenfalls im Kölnischen Kunstverein 2004 zu sehen war, oder an die Biennale-Arbeit von 2009, bei der sich die Gartenanlagen der Giardini innerhalb des tschechisch-slowenischen Pavillon fortsetzten und diesen fast zum Verschwinden brachten. Unter dem Motto „Within Reach of Hand and Eye“ mutiert der Anblick des Hügels im Ausstellungsraum zu einem Vexierspiel. „The Hill Seen from Afar“ (2011), so der Titel, bezeichnet eine Imagination, denn tatsächlich stehen wir ja direkt davor, zum Greifen nah. Aber so vereinnahmend sich dieses Surrogat sowohl in räumlicher als auch in sinnlich-plastischer Beziehung ausdehnt, so wenig kann es in einem Museumssaal im 1. Obergeschoss einen wirklichen Hügel geben. Das aufgehäufte Grün mit Zwergenbäumchen ist gleichzeitig harmlos und pathetisch. Seine Gegenwart wirkt durch die schiere Größe unangemessen und übertrieben. Als Natur ist der Hügel zu künstlich, als Kunst hat er zu viel von einer hochgezüchteten Gartencenter-Ästhetik. Der Potemkinsche Hügel zeigt sich von allen Seiten gleichermaßen gleichmütig und erstaunlich resistent gegenüber ritueller Naturbeschwörungen im Geiste minimalistischer Land Art. Je länger man über die Paradoxie der Verhältnisse nachdenkt, desto weniger kommt man zu einem schlüssigen Ergebnis. In dieser Zwiespältigkeit nützt auch das ausdauernde Umrunden des Kolosses nichts – der Betrachter dreht sich nur im Kreis.


Nach so viel theatralischem Inszenierungsaufwand folgt im dritten Raum der Ausstellung unweigerlich die Entzauberung. Säuberlich an der Wand entlang gestapelte Balken, Klinker, Lochbleche, Schrauben und andere Baumaterialien lassen den Besucher unwillkürlich zurückzucken, denn das Ganze wirkt so uninszeniert wie eben möglich. Nicht wenige Besucher mögen die Schlussfolgerung ziehen, dass der Raum gar nichts mit der Ausstellung zu tun habe, zumal es sich um einen Kopfraum handelt, so dass man sowieso den Rückweg antreten muss, um die Ausstellung durch dieselbe Tür wieder zu verlassen, durch die man sie betreten hat. Nur eine in die Wand eingelassene Bildprojektion arbeitet mit schwachen Kräften gegen den Eindruck völliger Kunstferne. Diese Projektion wird durch das natürliche Tageslicht beleuchtet und verschwindet in der Dämmerung, in der Eklipse, dem Umschlagen von Tag zu Nacht. Zu sehen ist eine auf den Kopf gestellt Dachkonstruktion, deren einzelne Elemente mit den im Raum abgelegten Materialien identisch sind. „Eclipse“ (2011) bezieht sich auf Roman Ondáks erste Einzelausstellung in Italien, die 2011 in der Fondazione Galleria Civica in Trient stattfand. In dieser Ausstellung hatte er die Dachkonstruktion der Galerie im Untergeschoss maßstabsgetreu, aber auf den Kopf gestellt nachgebaut. Der ehrgeizigen Umkehrung des Obersten zuunterst antwortet die lapidare Lagerung im pompösen K21 mit der schlichten Bereitstellung von Material, das über die im Lichtbild aufscheinende Verbindung zur Vergangenheit ein rein hypothetisches Gedankenspiel in Gang setzt. Wieviel Kunst steckt noch in diesem Material? Hat es sich wieder zu gewöhnlichem Baumaterial zurückverwandelt? Könnte man es nicht weiterverwerten für ein Wohnhaus im wirklichen Leben?

Bei der Wiederbegegnung mit „The Hill seen From Afar“ auf dem Rückweg stellen sich von hier aus neue Fragen, z.B. wie es dort wohl ausgesehen hat, bevor die Arbeit fertiggestellt war, wer wohl die Arbeit verrichtet hat, woher das Material stammt? Welchen Mehrwert hat die Installation gegenüber der sorgfältigen und ästhetisch sehr ansprechenden Entwurfszeichnung? Wo beginnt das Kunstwerk, wo hört es auf – alte Fragen der konzeptuellen Kunst werden überraschend offen, leichtfüßig und fantasievoll verhandelt. Die Ambuigität der Wahrnehmung verweist auf die Subjektivität des eigenen Standpunkts, seine Abhängigkeit von so vielen Faktoren, in der auch eine Chance zur Veränderung steckt.


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