Das braucht ein bisschen Verrücktheit

Das braucht ein bisschen Verrücktheit


Highlights eines Wochenendes in Brüssel, Düsseldorf und Köln von Stephanie Seidel



Die Kunst-Auswahl am vergangenen Wochenende war groß: Neben der abc in Berlin hatten die Düsseldorfer und Kölner Galerien ihre Türen für „DC Open“ verlängert geöffnet. Und auch in Brüssel läuteten die Galerien mit den „Art Days“ die Herbstsaison ein.
Laut Stimmen aus der rheinländischen Galerienszene hat Brüssel hier allerdings wenig Bedeutung, man orientiert sich eher in Richtung Berlin. Schade eigentlich, denn Brüssels Kunstszene ist jung, extrem international und bietet an diesem Wochenende – nur eineinhalb Stunden von Köln entfernt – einige Entdeckungen.

Galerie VidalCuglietta etwa zeigt mit David Brian Smith & Oliver Perkins zwei Positionen aus London. Der in Neuseeland geborene Perkins (*1979) stellt Arbeiten aus, die zwischen Malerei und Skulptur anzusiedeln sind: manipulierte Keilrahmen, auf die Leinwände aufgezogen sind, die die darunterliegende Konstruktion aus Holz wiederum durch ihre Farbgebung hervorheben. Eine Ausstellung mit Arbeiten, die das Thema Malerei aus einer unerwartet spannenden Perspektive betrachten.

Bei Jan Mot gibt es, wie immer, konzeptuelle Kunst zu sehen. Diesmal von Mario Garcia Torres, der eine umfassende Installation über die Ausstellung „9 at Castelli“ von 1968 in New York zeigt. Die damals nur unzulänglich dokumentierte Ausstellung, über die zahlreiche Gerüchte kursieren, wird von Garcia Torres durch Dia-Projektionen und Original-Dokumente nicht nur beschreiben, sondern zugleich nachgestellt und wieder-ausgestellt. Ein absolut sehenswertes Stück Kunst(-geschichte).

Eines der Highlights im Rheinland ist Linn Lühns erste Ausstellung in den neuen Räumen in Düsseldorf-Flingern. Bezugspunkt der Gruppenausstellung “Zwischen Formalismus und Freiheit” ist die Minimal Art, die in Düsseldorf seit der gleichnamigen von Karl Ruhrberg organisierten Ausstellung 1969 in der Kunsthalle in Düsseldorf eine wichtige Rolle gespielt hat. Allein Florian Baudrexel ist in dieser Ausstellung aus dem eigenen Galerieprogramm. Neben der etablierten Position von Heimo Zobernig und dem noch im Studium befindlichen Alexander Bornschein zeigt Lühn Arbeiten von Aleana Egan (*1979 in Dublin) und Marte Eknæs (*1978 in Norwegen). Eknaes Skulpturen verweisen mit hochglänzenden Materialien wie Plexiglas, Folien und Fundstücken auf die Ästhetik der Konsumwelt und setzen dieser doch eine ganz eigene Formensprache entgegen. Der Mut, hier einer jüngeren Künstlergeneration abseits des eigenen Galerieprogramms ein Forum zu bieten, wird mit einer tollen Ausstellung, die Neuentdeckungen bietet, belohnt.

In der Nachbarschaft zeigt Galerie Konrad Fischer die schwedische Künstlerin Sofia Hultén. Zwei – abermals formalistisch anmutende – Skulpturen definieren die beiden Etagen der Ausstellung. Der Ursprung aller hier gezeigten Arbeiten ist die Auflösung einer Automobilwerkstatt und dennoch sind Hultén konzeptualistische Arbeiten so viel poetischer als es eine Werkstatt je sein könnte. Aus den Raum- und Videoinstallationen ergibt sich eine stimmige Präsentation ihrer – allesamt neuen – Arbeiten.

Das Absurde und das Melancholische ist mittlerweile fast so etwas wie das Markenzeichen des belgisches Künstlers Kris Martin, der seine vierte Einzelausstellung in der Galerie Sies + Höke in der Düsseldorfer Innenstadt zeigt. Was es zu sehen gibt, ist typisch Kris Martin: perfekt gearbeitete Objekte bzw. sorgsam präparierte Fundstücke, die durch ihre Hängung, den Ort der Präsentation oder eine kleine Auslassung, neue Blickwinkel und Fragen aufwerfen. Über allem hängt ein altes Emailleschild und verkündet „ALLE AUSGESTELLTEN OBJEKTE SIND ZU VERKAUFEN“. Überraschungen bietet diese Ausstellung dabei weniger.

Und in Köln? Herausragend ist hier beispielsweise die Ausstellung der amerikanischen Fotografin Zoe Leonard bei Galerie Gisela Capitain. Für „Available Light“ hat die Künstlerin die Fensterfront der Galerie verdunkelt und in eine Camera Obscura umfunktioniert, die die gegenüberliegende Häuserfront und den Straßenverkehr großflächig auf Wände und Decke projiziert. Ergänzt wird diese Raumgreifende fotografische Installation durch eindrucksvolle Schwarzweißfotografien, für die Leonard mit der Kamera direkt ins Sonnenlicht fotografiert hat. Entstanden sind dabei Fotografien irisierender Grautöne.

Deutlich bunter geht es bei Clages zu, wo eine rosa Katze und riesige Kuckucksuhren den Weg in die Ausstellung „Mirrored Mountain Castle“ von Claus Richter weisen. Dort angekommen befindet man sich im Inneren des Körpers einer halbunsichtbaren Grinsekatze während man schrabbeliger Diskomusik des Künstlers lauscht: „Wir sind hier nämlich alle verrückt. Ich bin verrückt. Du bist verrückt.“ „Woher willst du wissen, dass ich verrückt bin?“, erkundigte sich Alice. „Wenn du es nicht wärest“, stellte die Grinsekatze fest, „dann wärest du nicht hier.“ Also weiter geht die Reise, denn so viele Galerien und Eröffnungen an einem Wochenende, das braucht gute Kondition – und ein bisschen Verrücktheit.

Stephanie Seidel (*1985) ist zurzeit kuratorische Assistentin am Neuen Aachener Kunstverein. Ab Oktober übernimmt sie dort die Position der Interim-Direktorin.


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