Verbeugung in Abwesenheit

Verbeugung in Abwesenheit


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Ein Essay zur Ausstellung „CO-MIX: Art Spiegelman“ im Museum Ludwig, Köln, bis 6.1.13. Von Oliver Tepel

Kennen sie das? Eine schwarze Silhouette, wie ein um 90° gekipptes Komma, eine konkave Ellipse, zu drei vierteln ausgeführt, dann mit einer Aussparung, die zuerst einen kleinen Halbkreis nach oben vollzieht, um in einer horizontalen Geraden die Form zu schliessen. Es könnte ein stilisiertes Igelchen sein und tatsächlich umrahmen kleine, regelmässig ausgeführte Striche stachelgleich die Form. Irgendwo dort, wo Gerade und Bogen den Weg zueinander finden, ist ins Schwarze ein kleines weisses Schleifchen eingefügt. Kein Igel? Eine Frisur? Wenn ja, dann kein Kompliment.

Im Blick vieler US-Amerikaner ist diese Form nahezu eine Trope. Auch in „CO-MIX“ der Art Spiegelman Retrospektive im Museum Ludwig, finden wir diese Form, recht isoliert, in einer großformatigen Arbeit: „The Lead Pipe Sunday – Volume 2“ von 1997. Sie umfasst zum Teil den Textrahmen, welcher als einziger Hinweis das Bild als Comic ausweist. Doch wenn diese Form eine Trope ist, wenn US-Amerikanische Betrachter sie vielleicht ohne weiteres entziffern können, worauf verweist sie? – Auf Nancy. „Nancy“ von Ernie Bushmiller. Fing dort nicht die ganze Misere an? Ja, was verrät uns Bushmiller über die bedrückend, surreale Kakophonie von Spiegelmans „Lead Pipe“?

Kennen sie Ernie Bushmiller? – Wie so viele Künstler, deren Arbeiten auf den entsprechenden Seiten der Tageszeitungen erschienen, gelangen sie zu keinem musealen Ruhm. Wir verstehen uns besser auf den Prozess, Malereien auf Leinwand in die Museen zu bekommen, als denn jene Werke, die auf Zeitungspapier massenweise Verbreitung fanden. Dabei haben sie vielleicht ein und dieselbe Quelle an den Höhlenwänden vergangener Kulturen.

Ernie Bushmiller zeichnete also Comics. Er wurde darin ein Star und erscheint in der Historisierung doch nicht als derart prägend, wie George Herriman oder der im Januar in Troisdorf so liebevoll ausgestellte Winsor McCay. Bushmiller war als Kind des 20. Jahrhunderts zu jung für die ersten Generationen, die Wegbereiter und großen Formalisten und doch erscheint auch er als einer dieser seltsamen Typen, die auf undogmatischem Weg und mit einer immensen Aufgeschlossenheit zum Comic gelangten. Knapp 20-jährig übernimmt er 1925 Larry Whittingtons Strip “Fritzi Ritz”, erst als Ghostwriter, dann offiziell. Er orientiert sich an Whittingtons elegant-reduktionistischem Stil, aber beginnt mehr und mehr seine eigene Handschrift einzufügen, neue Figuren erscheinen in Bushmillers drastischerer oder zumindest karikaturistischerer Linie. Zeitgleich wird das sexy Flappergirl Fritzi Ritz zu einer, weiterhin attraktiven, aber nun doch eher zurückhaltend agierenden Tante.

Nach einigen Fehlversuchen erfindet Bushmiller 1933 „Nancy“, die Nichte von Fritzi Ritz. Die eingangs beschriebene, seltsame Form wird ihre Frisur in der Seitenansicht (frontal gleicht sie eher einem alten Telephonhörer mit Stacheln) Und auch wenn er etwas spät dran ist, gelingt es Bushmiller nun seine eigene Ikonografie zu etablieren. Als kleine, knubbelige Figuren, nicht so niedlich wie die Comic-Geschöpfe der Folgejahre verknüpfen sie die Drastik der frühen Comic-Charaktere mit einer enorm rationalisieren und dabei grafisch reduzierten Linienführung. Heute beschreiben kluge Essays, wie präzise Bushmiller seine nahezu abstrakten Formen anordnet, wie er Strukturen im Sinne einer minimalen Narration schafft: Der Gag auf einer Seitenbreite. Keine Brüller, sondern vergnügte Problemlösungen, Wortspiele oder Realitätsverschiebungen sind sein Metier. Wie seine zeichnenden Zeitgenossen grinst er ab und an über die moderne Kunst, doch sein Schaffen ist in die selben Prozesse verstrickt: formale Fragen, Reduktion, Abstraktion, ja mitunter Auflösung – so prägt sich sein Werk den Jüngeren ein, jenen, die als junge Intellektuelle bald ihre Version der Comickunst erfinden würden.

Nancy hat einen Partner, „Sluggo“. Mit ihm veralbert Bushmiller den wachsam beobachteten kulturellen Wandel. In einem Strip etwa, will Sluggo Beatnik werden, einfach weil ihm so langweilig ist. In einem anderen einzigen Panel sehen wir Sluggo mit bequem hinter dem Kopf verschränkten Armen, er scheint zu liegen, aber er schwebt lächelnd über der Landschaft. „No“ sagt die Sprechblase. Der Comickünstler Jim Woodring, nur wenig jünger als Spiegelman, nennt es das beste Nancy Panel aller Zeiten. Es spricht für Bushmillers Sinn für Präzision und Spannungsfelder, ebenso wie zahllose Versionen von Nancy als Interpretationen, und Anspielungen im Werk anderer Künstler. Art Spiegelman ist ein Meister des Bushmiller Zitats, doch das zeigt sich, lang bevor er Nancys Frisur auf einen Textrahmen setzt.

Auf der Höhe seines Erfolgs steht Bushmiller vor einer Kommode, darauf sitzt Fritzi, Nancy und Sluggo stehen und sie alle lächeln einander an. „Nun, wer hat heute einen Gag für mich?“, fragt Bushmiller seine Figuren. Es ist eine liebevolle Perspektive und etwas überraschend zugleich. Wo die heutige Wissenschaft ihn als den präzis konstruierenden Reduktionisten beschreibt, der, nach eigener Aussage, immer mit dem letzten Bild begann, erscheint sein Verhältnis zu den Figuren hier ganz anderer Natur, es sind seine Freunde, er lebt mit ihnen und er lebt von ihnen. Die Vier sind ein Team.

Die selbe Szene 1974: Statt eines erwartungsvollen Bushmillers steht Art Spiegelman übernächtigt und unrasiert vor der Kommode. Darauf: Zwergdetektiv Ace Hole, die von ihm beschattete Figur, im Stil Picassos postkubistischer Portraits von Dora Maar und Maus als KZ-Inhaftierter. Nancy ist auch dabei, sie posiert lächelnd, in der identischen Haltung wie bei Bushmiller, zwischen Ace Hole und Maus. Die Fünf sind kein Team. Spiegelman blickt bestürzt, kein Vergnügen in seinem Ausdruck, egal, wer ihm von den Vieren eine Geschichte erzählt, ihr Gag wird nicht zum Schmunzeln taugen. Es scheint, als bange Spiegelman vor dem, was seine Figuren zu berichten haben.

1989 erinnert Spiegelman mit seinem limitierten Faltblatt „The Lead Pipe Sunday“ an die großen Strips der Tageszeitungen. Es ist keine freundliche Erinnerung, keine sanfte Geste der Nostalgie, sondern eine Herausforderung als Lob des anarchischen Elements einer ungezügelten und sich selbst noch ungewissen Kunst. Schutzgöttin Muse und ein anthropomorpher Geldsack liegen da, gemeuchelt, Blut rinnt aus ihren Leibern. Umringt sind sie von den Figuren der Strips, ja es scheint, als seien sie dem Leib der Muse entsprungen. Das Textfeld kommentiert: „The bastard offspring of art and commerce murder their parents and go off on a Sunday Outing”. The Yellow Kid, Krazy & Ignatz, Barney Google und viele Andere sind unberührt von der grausamen Szenerie einfach ganz sie selbst. Tatsächlich kümmerten sich ihre Schöpfer sehr wohl ums Geld, aber nicht um das Große, sie waren Lohnempfänger und Lohnarbeiter, sie verstanden sich als Handwerker. Kunst? -Unsinn! Spiegelman und seine Generation profitierten vom Abgleich der Begriffe. Sie waren längst jenseits der Unschuld und kontrastierten die ungeordnete Energie des jungen Comics mit einer zusehends geordneteren Hochkunst, fern eines Interesse am Narrativen. Der gemeinsame Ursprung hatte sich längst verloren, dieser kurze Moment, in dem das Groteske in der Moderne auflebte in der Bildsprache James Ensors oder Alfred Kubins, bei Marcus Behmer und den Künstlern des Simplicissimus, sowie in den Comics Lyonel Feiningers. Nun baten die längst legendären Stripfiguren zum Totentanz und auch Nancy war mit von der Partie, vertikal in ihrer Mitte verschoben, der initiierte Effekt eines Seitenversatzes. Es musste Nancy sein für diesen Trick. Auch Sluggo ist zugegen, er dreht uns den Rücken zu.

1997 erlebt „The Lead Pipe Sunday“ seine zweite Ausgabe. Nancys Frisur über der Textbox – ja, da waren wir gestartet. „Volume 2“ hüllt sein Szenario in nächtliches Graublau. Die Figuren sind wieder da, stilisiert zu grotesken Steinskulpturen. Popeyes Visage, Dick Tracys Silhouette. Auf einem Schädel, der dem Werk Philip Gustons entnommen scheint, also des Mannes, der sich mit Techniken des Comics aus der Abstraktion ins Bildnerische zurückarbeitete, sitzt der Happy Hooligan, den Kopf in seine Hände gestützt. Vor ihm ein überlebensgroßes Modell seines eigenen Kopfes, der Mund zugenäht, die Augen, blinde Steine. Als sein Zeichner Frederick Burr Opper das Augenlicht verlor, verschwand der Happy Hooligan aus unserer Welt, doch der Text im Bild lässt offen, ob dies der Anlass all seiner Verzweiflung ist. Im nächsten Moment wird ihn ein großer gelber Blitz treffen, danach werden wir in eine tote Landschaft blicken. „A crash! Is it the thunder? The economy? Motorized vehicles maybe?“ fragt Spiegelman. Die Antwort hatte er längst gezeichnet, 1974, mit ihm selbst als Ernie Bushmiller. Während das Leben mit seinen technischen Errungenschaften und Ideologien die unfassbarsten Grauen verwirklichte, verloren die lustigen Figuren ihren Boden. Und waren es nicht dann die Klugen und Wissenden, welche sie scheinbar subversiv einsetzten, sie der intellektuellen Betrachtung Preis gaben um eigenartige Denkmäler zu errichten? Ist das Ernie Bushmillers Erbe? Eine abstrakte Form? Wer hat heute einen Gag für mich? Auf dem Boden vor dem Unhappy Hooligan liegt ein rotes Gerät mit Antenne. Wozu sie wohl gut sein mag, die neue Zeit…

Das Entsetzen über die verlorene Unschuld dieser kleinen, wilden Figuren, das ist die Kunst Art Spiegelmans – ein Entsetzen der Kultur und der Wesen die sie prägen – die Anmaßungen des Lebens.


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