Portrait
Tobias Hantmann


Bildfindung auf Töpfen und Teppichen – Der in Köln lebende Künstler Tobias Hantmann (*1976) im Portrait von Arne Reimann

Three corners of a studio heißt die Arbeit, die Tobias Hantmann im vergangenen Jahr im Museum Morsbroich für die Ausstellung der „postironischen Generation“ realisierte. Und viele haben sie einfach übersehen. Völlig zu Unrecht; seine Teppicharbeit ist so gut platziert und inszeniert, dass sie in der Selbstverständlichkeit fast aufgeht. Sogar die Beleuchtung hat der Künstler dazu entworfen, damit die historische Substanz des Schlosses nicht beschädigt wird.

 

Der beeindruckende historische Raum mit seiner hölzernen Wandvertäfelung in der unteren Hälfte, die durch Pilaster getrennten Wandsegmente, zusammengenommen mit der Liste der Ausstellungen und Künstler, die hier bereits gezeigt wurden – das ist ein dicker Batzen an Kontext. Noch dazu kommt die Dreiteilung der Fläche zu einem Triptychon, die evozierte, religiöse Konnotation. Um darauf zu reagieren lässt sich die Grundfrage von Tobias Hantmann ungeschönt herausstellen: „was ist denn noch wichtig genug, um gemalt zu werden?“

Das Thema seiner ausgestellten Arbeit hat eine lange Tradition: das Atelier und die Sicht des Künstlers auf sein Atelier. Mapping the Studio. Es hing eine kleine schwarzweiße Reproduktion einer Zeichnung Cezannes in Hantmanns Arbeitsraum, darauf der Blick in eine Ecke, ein Stapel Bilder, ein Teil einer Staffelei. Das Künstleratelier als Innenraum und Provenienz ist immer noch ein geheimnisvoller Ort, und für Hantmann darstellungswürdig.

 

Um seine eigene Umgebung zu reflektieren, nahm Hantmann seine Digitalkamera zu Hand und nutzte im Dunklen das rote Hilfslicht zur ungefähren Anvisierung von Bildausschnitten. Die Bilder die er dann schoss waren einerseits von einem Suchen nach dem Motiv bestimmt, auf der andere Seite durch den zufälligen Ausschnitt der Arbeitsrealität geprägt. Die so erzeugten Bilder stellen ein Abtasten der unmittelbaren Wirklichkeit dar, befragen die Bedingungen von Kunst und die Rolle des Künstlers.

So sehr die Formen abstrakt aufgelöst scheinen, so sehr ist die Analyse des Bildgehaltes ein Thema, das sich auf früheste Arbeiten von Tobias Hantmann zurückverfolgen lässt.

Geboren wurde er 1976 in Kempten. Den Standpunkt, als Künstler Sehgewohnheiten zu hinterfragen und zu analysieren, nahm er bereits früh ein; mit einer seriellen Bildfolge und einem Konvolut an Zeichnungen, die er als Mappe an der Kunstakademie in Düsseldorf einreichte. Darin befasste er sich intensiv mit dem stilisierten Blick durch ein mit Jalousien geschlossenes Fenster seines Zimmers im Allgäu auf das Nachbarhaus gegenüber. Das Motiv der Welt hinter den Jalousien zerlegte er farblich, experimentierte mit abstrakten Bildinhalten, dreht und wendete das gefundene Thema. Die A4-Skizzen und Vorzeichnungen hat er kürzlich in einem Buch zusammengefasst und als kleine Auflage gedruckt. Mit der nachfolgenden Entwicklung im Kopf, meint er, kann man in den damaligen Entwürfen schon das erkennen, was ihn heute noch umtreibt.

Von 1997 bis 2004 studierte er bei Jan Dibbets an der Kunstakademie in Düsseldorf, 2001 unterbrochen durch ein Jahr Berlin in der Klasse von Georg Baselitz. Nach der Akademie entstanden Aquarelle und Collagen, so zum Beispiel „heimelige“, Allgäuer Landschaften, aber auch Stadtansichten, Seestücke und Paraphrasen auf Corot. Sein Interesse wurde zunehmend von den Übergängen bestimmt: die feinen Ausdifferenzierungen der Schatten, das Herauslösen und Verschmelzen der Formen, was dazu führte, dass die Blätter immer einfarbiger wurden.

 

Der Zufall war es, der ihn auf das Material der Veloursteppiche brachte. Sein schweifender Blick im Baumarkt stoppte auf der Hand eines Kindes, das mit den Fingern durch die Fasern fuhr, um Streifen zu hinterlassen, aus Vergessenheit und Freude am Spiel. Das brachte ihn auf die Idee, den Teppich im Atelier als eine Art Skizzen-Tafel zu verwenden – als ein Flip-Chart, Vorstufe zu großformatigen Aquarellen. Als die Auslegware nun den Weg ins Atelier gefunden hatte, erfuhr sie auch die Aufwertung zu kunstwertem Material, „dann kann ich es auch als Bild gebrauchen“ so der Künstler. Diesen Funken der Gestaltungskraft, der sich intuitiv – oder nach langen Prozessen – entzündet, nennt Hantmann „Übersprungshandlung“ (der mit dem eigentlichen Begriff aus der Verhaltensforschung jedoch wenig zu tun hat. Dort wird eine Ersatzhandlung beschreiben, die aus dem Dilemma zwischen zwei instinktiven Aktionen resultiert.): Etwas, das sehr einfach scheint und ist, aber nie zuvor so gesehen wurde: „Und mich interessiert daran, dass dann plötzlich ein Gegenstand, der an sich schon ein solches Eigenleben hat, in neuen Zusammenhängen auftauchen kann.“

Mit den Teppichen hat sich Tobias Hantmann ein Markenzeichen gesetzt. Will man nun eine historische Herleitung vom Zaun brechen, so führt die eine historische Linie zur Geschichte der Tapisserien. Ebenso kann auch einem anderen historischen Faden gefolgt werden, weg vom textilen Material, hin zum noch weiter reichenden Thema „Relief“. Wegen der kunsthistorischen Anreicherung und der dezenten Farbigkeit fanden viele Besucher in Morsbroich die in die Architektur des Schlosssaales eingepassten Bilder nicht, oder erst auf den zweiten Anlauf. Der Künstler schätzt an dem Ergebnis die Parallelität zwischen der diffusen Ausgangssituation und dem ebenso nicht eindeutigen Ergebnis. Zwar sind figürlich darstellende Formen zu erkennen, aus dem gräulichen Grundton in Grisaille „gemalt“, doch die räumliche Beziehung ist verschleiert.

2006 fing Hantmann mit den Teppichen an. Was ist wichtig genug um es zu malen? Das Problem zu vermeiden, so der Künstler, wäre für ihn ein abstraktes Motiv zu wählen. Die Evolution seiner Bildidee begann in der Küche, die mit dem Atelier verbunden ist – nicht nur räumlich, sondern auch durch seine Alltäglichkeit. Das Bild von zylindrischen Objekten im Kastenraum – gestapelte Töpfe im Schrank. Die Schokoladenmühle von Duchamp ist nicht weit, wie auch Légers walzenförmig-geometrische Formensprache und der Tubismus. Es sind keine Zitate, sondern Bildwirklichkeiten – heißt, dass die Formen, die wir auf den Bilden sehen und zu deuten versuchen, von einer geprägten Bildsprache überlagert sind. Doch hinter den Assoziationen und Konnotationen steht der einfache Gegenstand, ganz formell eingesetzt, eben wie bei Léger.

 

Hantmann beschreibt sowohl eine für sich typische Bildfindung, in diesem Fall für eine Serie von Teppichbildern, als auch den Übergang zur darauffolgenden Werkgruppe der Sets, eine Serie von um 180 Grad gedrehten und an der Bodenunterseite bemalten Kochtöpfen wie folgt: „Wie soll ich sagen, nächtliche Stunde im Atelier und dann stehen da Töpfe rum, die einfach zur Küche gehören, die eben auch im Atelier ist. Und ich habe ja zuerst Darstellungen von Töpfen auf Teppiche gekämmt. Ich hatte eine Verbindung gesehen zwischen dem Material Velours, der changiert und den man mit einer Handbewegung vom Hellen ins Dunkle ziehen kann, und diesen metallischen Oberflächen. Da hatte ich eine Parallele empfunden und generell hatten die Teppiche für mich von Anfang an einen illusionistischen Moment, als wären sie verräumlicht. […] Und dann habe ich diesen Übersprung gemacht, einfach diese metallischen Gegenstände auf den Teppich zu zeichnen. Dann erst bin ich wieder zurück gegangen auf das Objekt selber – also dann diese zweite Übersprungshandlung […]: Ich male jetzt nicht den Topf, sondern ich bemale den Topf selber.“

Das Material wird einer phänomenologischen Betrachtung unterzogen. Die Unterseiten von Töpfen haben einen außergewöhnlichen Schliff, der ein spezielles Schattenspiel im Licht zeigt. Hantmann hat seine eigene, statische Version des Hell-Dunkels entwickelt und als Maler umgesetzt. Auch wenn es wie reine Handwerkskunst daherkommt, ein scheinbares Trompe-l’œil, dem objekthaften Fotorealismus zuzuschreiben, ist es dennoch ein sehr persönlicher Akt. Die gemalte Interpretation der visuellen Irritation als künstlerische Setzung: das Bild ist verallgemeinert, ein Moment der Wirklichkeit, „DIE Spiegelung an sich“ mit dabei. Genau zu wissen, wie eine Spiegelung aussieht, spielt mit hinein. Doch in dieser scheinbaren Objektivität steckt auch die gesamte künstlerische Subjektivität, mit Malerei erreicht.

 

Ist das Auge haptisch? Kunsthistoriker verwenden gerne den Begriff der Haptik, um das zu beschreiben, was sie nicht anfassen dürfen, oder um eine visuelle Textur fühlbar zu umschreiben.Bei Hantmanns Arbeiten kommt man daran nicht vorbei. Zum Beispiel fragt man sich unweigerlich, ob die gekämmten Motive fixiert sind. Nein, sind sie nicht – sie sind tatsächlich so ephemer und fragil, wie sie scheinen.

In den letzten Jahren kam eine konzeptuelle Serie hinzu, deren Einzelwerke alle den Titel Pistill der Iris tragen. Hantmann entnahm dieses sprachliche Bild einem Text Alexander Konrads zu seinen Arbeiten. Die Schmirgelpapiere sind der industriellen Produktion entnommen und wurden vom Künstler auf Format geschnitten. Präsentiert werden sie, wie im Kunstraum Düsseldorf anlässlich der Förderpreisausstellung der Landeshauptstadt Düsseldorf (mit Jürgen Staack), ungerahmt auf der Wand. Die großformatigen, einfarbigen Schleifmittel-Bögen haben eine beeindruckende Wirkung. In der Verbindung mit dem agressiven Sprachbild des „Reibwerkzeugs im/am oder als Auge“ raspelt sich das Auge an der Oberfläche auf, differenziert zwischen den Körnungen. Aber es ist nicht der materielle Exotismus oder Materialfetsischismus, der hier auf Effekt abzielt, sondern es ist das eindrückliche Bild-Körper-Verhältnis das es neu zu entdecken gilt.

Und was ist mit der Farbe? Die spielt hier eine besondere Rolle. Bei den Sandpapieren geht es – viel mehr als bei den Teppichen – um die Dekonstruktion im Zusammenhang mit Farbe. Während den Velours eine bestimmte gestalterische Absicht zu Grunde liegt, die den Bodenbelag als integralen Bestandteil der Wohn- und Lebenssituation auffasst, ist es bei den Schleifmitteln die funktionale Unterscheidung. Hier wird Farbe als Indikator zur Differenzierung der unterschiedlichen Körnungen und damit der Verwendungszwecke eingesetzt. Irgendjemand hat irgendwann die Entscheidung getroffen, was nun wie aussieht. Es liegt eine bestimmte Dramaturgie darin, Farbe einzusetzen, da wo sie keine Rechtfertigung hat; sie neu aufzuladen, das Erlebnispotential zu aktivieren. Pistill der Iris erlaubt Hantmann die Beweisführung: „es gibt keine hässliche Farbe“, wo es ein Bildversprechen gibt.

Der Künstler greift auf die Phantasie der Maler zu, Farbe zu vermeiden, oder die abstrakte Sehnsucht, Farbe als Problem zu haben. So wie Knoebels Mennige-Bilder, die handelsübliche Grundierung zur Malfarbe erheben.

 

Auf das Problem der Bildfindung reagiert der Künstler mit dem Blick auf seine unmittelbare Umgebung. Einen ähnlichen Ansatz der Motivsuche, wie beim Blick ins Atelier oder in den Küchenschrank, findet sich in den aktuellen Krippen-Bildern (z.B. die Nacht, gekämmter Teppich, 2011). Zunächst erscheinen die Zeichnungen beinahe nach barockem Vorbild. Eine vielschichtige Hinterlegung von möglichen kunsthistorischen Informationen scheint es in den Szenen zu geben. Die Krippen-Thematik lässt einen unheimlichen Schweif an Konnotationen und Assoziationen zu. Angefangen von der heiligen Weihnachtsgeschichte bis hin zur heroischen Genredarstellung. Nicht immer ist das Personal vollständig zu erkennen, dennoch drängt sich eine historisierende Geschichte auf. „Man kann es nicht nur intellektualisieren, sondern man kann es auch einfach lassen.“ Hantmann will keine Referate halten oder Geschichten nacherzählen, sondern sucht nach dem Bildmotiv. Der Künstler versteht zunächst die Krippe als Modell, das wie der Denkansatz des Studios in einen ähnlichen Ansatz mündet. Hier ist das Modell als Genre zu verstehen, marginalisiert und miniaturisiert, in dem man sich genauso wie in der Wirklichkeit bewegen kann.

Die relative Rolle von Groß und Klein verwirrt das potentielle Bildgeschehen. Vermischung aus Stillleben und menschlicher Darstellung. Bei Hantmann bleiben die Bilder nicht fotorealistisch, sondern entscheidend ist das Moment der Irritation, ein Collagemoment. Auf den unterschiedlichen Ebenen erklärt das auch die stimulierende Unruhe, die die Werke von ihm ausstrahlen.

Das Arrangement der Weihnachtskrippe lebt davon, das es von einem ‚Amateur’ stammt, zusammengesetzt aus unzähligen Familienerbstücken, einem Konzentrat der Zeit. Aufgebaut aus einem sentimentalen Moment. Das Klischee vom Frohen Fest verstellt das präsentierte Bild. Die Motive verdecken sich gegenseitig und lassen es somit diffus erscheinen.

Tobias Hantmann (Foto: Andi Zimmermann)

Es geht Tobias Hantmann nicht um das vollständige Erfassen eines Gegenstandes oder Themas. Es geht ihm nicht um ein Abhandeln, sondern um eine Entwicklung, ein Voranschreiten. Ein Objekt wird so lange gedreht und analysiert, bis etwas Neues entsteht. Dieser Impuls macht die Sache reicher, ist aber nicht der Grund. Es ist der Moment der Faszination in der Sehnsucht nach dem nächsten Bild – überhaupt noch eines zu finden. Es ist die Suche nach der Möglichkeit für das nächste Bild.

Das Wesentliche ist die Einfachheit, nicht im Sinne von reduziert, sondern einfach einfach.


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