Synchronisiertes Grauen

Synchronisiertes Grauen


Melanie Gilligan »Popular Unrest« im Rahmen des Kooperationsprojekts »Die Letzten ihrer Art« / Kölnischer Kunstverein / Köln / bis 5.9.


Kunstvereine gibt es nicht mehr. Die einst aus bürgerlichen Interessen entstandene Institution, die sich deutschlandweit der Vermittlung und Präsentation aktueller Kunst widmete, rentierte sich nicht. Für Mitgliedschaften fehlte es allen an Zeit.

Zu solchen und anderen gedanklichen Zukunftsszenarien, die erschrecken, weil deren Realität denkbarer geworden ist, bewegt Melanie Gilligans Videoarbeit Popular Unrest derzeit im Kölnischen Kunstverein. Ihre mehrteilige Horrorvision einer Welt, in der Menschen ausschließlich nach ihrem Profit für die Gesellschaft bewertet werden, möchte der Kölnische Kunstverein hier nämlich zum Anlass nehmen, auch über sein eigenes Fortbestehen nachzudenken.
In Kooperation unter anderem mit Chisenhale Gallery London produzierte er den Film der 1979 in Toronto geborenen Künstlerin im Rahmen des gemeinsam mit den Kunstvereinen Bonn und Düsseldorf initiierten Projektes „Die letzten ihrer Art“. Aber ist es tatsächlich fünf vor zwölf für Kunstvereine? Und falls ja, wie konnte das passieren?

Gilligan sieht es in ihrem fünfteiligen Episodenfilm so: In Popular Unrest leben die Menschen zwar anscheinend gemäß ihres freien Willens, aber die Gesellschaft verwertet jede Form der Individualität, um damit den ökonomischen Gewinn zu steigern. Gesteuert durch das mysteriöse Computersystem The Spirit werden Eigenschaften, Verhalten, Interaktionen berechnet und verglichen, um Menschen entsprechend einsetzbar und austauschbar zu machen. Du bist besonders – so besonders, wie jeder andere, so das Motto. Charakter, Gesundheit, Schlafgewohnheiten, Fitnesslevel eines jeden sind berechnet und synchronisiert mit Commercials, Jobs und Versicherung. In dieser rationalen Welt ist kein Platz für Wünsche oder Träume. Soziales Miteinander, zeitlich gedrosselt, bedeutet psychische Überforderung.

Allerdings lebt in Gilligans Dystopie auch eine kleine Gruppe Männer und Frauen, die auf unerklärliche Weise am selben Ort zu einander gefunden hat. Diese spürt das Bedürfnis, ein Teil einer Gemeinschaft zu sein, regelmäßig miteinander zu sprechen und die Gefühle der anderen zu teilen. Zeitgleich mit ihrer Zusammenkunft jedoch passieren Morde auf der Welt, die zwar in der Öffentlichkeit, dort aber immer von unsichtbarer Hand geschehen. Schließlich wird deutlich, dass The Spirit die Emotionen und empathischen Fähigkeiten der Gruppe bereits analysiert und bewertet hat. Pling! Recalculating…. Für diese neue Kategorie menschlicher Eigenschaften ist eine andere unrentabel geworden und wird abgemurkst. Die Gruppe ist somit unbewusst selber zu Mördern in der Matrix geworden. Ein Entrinnen bedeutet der Gruppe allein der Ausstieg aus dem System, der nur über einen Einstieg in das System funktionieren kann – wo und wie genau dieses trojanische Pferd eingelassen werden soll, bleibt ungeklärt.

Das Empfinden von Schmerz ist in Gilligans 20.000 GBP Filmproduktion, die mit zwölf Hauptakteuren in London gedreht wurde, die zentrale Verbindung zwischen Mensch und „The Spirit“. Mit esoterisch angehauchten Experimenten versuchen die Gruppenmitglieder unter Anleitung eines Wissenschaftsteams ihre gegenseitigen Gefühle von Leid, Angst und Krankheit körperlich zu erleben. Auch die abstrakte Ebene ihrer Gefühle, die bereits in das System Eingang gefunden hat, können sie so erspüren. Leider  missglückt Gilligan hier manches Mal die Darstellung dieses körperlichen Grauens. Zusätzlich zu ihrer durchgehend nüchternen Bildsprache, die an das populäre Format amerikanischer TV Serien wie etwa CSI erinnert, in welchen die Spuren- und Beweissicherungen bis ins mikroskopische kleinste Detail visuell umgesetzt werden, hätte man sich für diese Momente eine eigene filmische Ebene gewünscht, die sich nicht mit aufwändig produzierten Serien oder teuren Horrorfilmen messen lassen muss.

In Zeiten von Facebook, Talentshows und der alltäglichen Aufforderung zur High Performance stehen wir vermutlich schon mit einem Bein in einer solchen kapitalistischen Phase. Und auch das soziale Zusammenleben scheint sich mit seinen immer flüchtiger werdenden Begegnungen immer weiter dem System aus Angebot und Nachfrage unterzuordnen. Wie kann angesichts dessen eine Institution bestehen, die sich hauptsächlich über langfristige Mitgliedschaften finanziert, die auf Partizipation setzt und auf eine Identifikation nicht nur mit ihrem Programm sondern auch mit ihrer Geschichte hofft? Melanie Gilligan führt uns das Problem noch bewusster vor Augen: Ihre Arbeit ist nicht nur in der Ausstellung – übrigens für den sonst so low tech ausgestatteten Kunstbereich mit hier zukunftsweisenden, Sensoren gesteuerten Monitoren! – zu sehen sondern auch im Internet abrufbar (www.popularunrest.org). Gleichzeitig sitzt man in den für Großraumbüros typischen Plastikkabinen der Ausstellung ähnlich isoliert und gleichzeitig öffentlich, wie vor dem heimischen Computer. Privatsphäre wird hier ebenso in Frage gestellt wie der Kunstverein als sozialer Ort.

Was könnte also jene zunehmende korrumpierbare Mechanik abwenden? Eigenverantwortliches Engagement vielleicht, das fundamentale Rüstzeug der Kunstvereine. Der in Deutschland mehr als 300fach vertretenen Institution schwinden allerdings die Mitglieder. Dieses Problem ist nicht neu doch es sitzt tief. Sicherlich müssen sich hier auch mancherorts die im Fünfjahresrhythmus wechselnden Kunstvereinsdirektoren den Vorwurf gefallen lassen, das Haus in erster Linie als Sprungbrett für die eigene Karriere betrachtet und die Mitgliederwerbung dabei vernachlässigt zu haben. Auch wechseln Mitgliederstrukturen immer wieder mit einer Neubesetzung, die häufig mit einem Rundumschlag von Ausstellungsprogramm, innerer Organisation bis hin zur Außenwirkung einhergeht. Ebenfalls erschwerend, dass internationale Ausstellungen ständig teurer werden und parallel dazu das Verständnis der ohnehin klammen Stadtkassen für die zeitgenössische Kunst schwindet. In Köln droht derzeit nicht nur der Zuschuss des Kunstvereins um 20 Prozent gekürzt zu werden, man überlegt aktuell auch abwechselnd die Artothek – ein einzigartiges Ausleihsystem für aktuelle Kunst – oder die Kunst- und Museumsbibliothek – eine der weltweit größten Kunstbibliotheken – zu schließen (zum Unterschriftenaufruf) .

Außerhalb Deutschlands gilt das Model Kunstverein aufgrund seiner halb-privaten, demokratischen Organisationsform und seines anhaltend hohen Anspruchs, Ausstellungen herausragender Künstlern zu zeigen, die in ihrer Karriere zwischen Galerie und Museum stehen, weiterhin als Vorzeigeinstitution. Allerdings ist man dort ja auch nicht potentielles Mitglied einer nicht-regionalen Institution. Oder vielleicht doch? In seiner aktuellen Kooperation mit benachbarten Kunstvereinen und der Zusammenarbeit mit ähnlichen Institutionen im Ausland bietet das Ausstellungsprojekt auch einen Hoffnungsschimmer. Melanie Gilligans gemeinschaftlich finanzierter Film macht hierfür den gelungenen Auftakt.


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