Die Steinigung des Heiligen Stephanus

Die Steinigung des Heiligen Stephanus


Oliver Tepel über Adam Elsheimer, Die Steinigung des Heiligen Stephanus, um 1603/04, 34,7 x 28,6 cm, Öl auf Kupfer, versilbert, im Wallraf-Richartz-Museum (2. Etage)

Es „Echt“ nennen – mitunter ein Wagnis. In den letzten Jahren bezeugte Werner Spies’ spektakulärer Sturz über Beltracchis Fälschungen verlorener Max Ernst Gemälde, wie gefährlich eine Expertise sein kann. Vielleicht hängt es deswegen so still, fast dem Übersehen preisgegeben an einer kleinen Wand neben einem Durchgang im Kölner Wallraf Museum: eines der seltenen Werke Adam Elsheimers. Eigentlich sollte es eine der Sensationen in der umfangreichen Sammlung des Museums sein. Ist es nur Opfer seines, Elsheimer typisch, recht kleinen Formats? Ganz sicher nicht, das bekunden Tag für Tag jene, die den Louvre mit der erstaunten Bemerkung, wie klein das Bild eigentlich ist, verlassen. Nun gut, der Vergleich hinkt, Elsheimer war kein Da Vinci. Wobei: Wer weiß, was aus ihm inmitten der stilistischen Offenheiten und Möglichkeiten des Frühbarocks noch geworden wäre?

Doch Elsheimers früher Tod mit 32 in Rom, fern des heimischen Frankfurt, beendete jäh all die potenziellen Möglichkeiten eines einzigartigen Stilisten auf dem Weg zu internationalem Ruhm. Elsheimers Spies war im vergangenen Jahrhundert der Brite Keith Andrews und er leistete Bedeutendes. Das Königreich kümmerte sich so intensiv um das Vermächtnis des Deutschen, da dessen schottisch stämmige Ehefrau Carla Antonia Stuart mit einem guten Teil seines Nachlasses auf die Insel zog. Es war das Einzige was sie hatte, Elsheimer starb gebrochen von einer Haftstrafe im Schuldnergefängnis. An dieser Stelle beginnt ein Mythos des Künstlers, denn offenbar war sein Werk nicht nur unter Kollegen hoch angesehen, sondern auch gefragt. Hatte er dennoch kaum verkauft? Gibt es nur eine kleine Anzahl an Originalen? Keith Andrews verringerte die Zahl der bis dato auf 60 bezifferten Werke Elsheimers auf bis heute nahezu verbindliche 46 Katalognummern (meines Wissens wurde die Liste um drei Werke, neu entdeckt oder neu zugeschrieben, erweitert). Man könnte behaupten, Andrews vermied das Risiko, welches Spies nahm. Doch was begründet die wertende Perspektive der Experten? Ekkehard Mai schrieb 1996, dass Elsheimer, als nahezu einziger deutscher Maler mit internationalem Rang aus der Phase des 30 jährigen Krieges ein „Destillat der Kunstgeschichte – und ihrer Gläubiger“ geworden sein könnte.*

Elsheimer, Adam, Steinigung des heiligen Stephanus, versilbert, Öl & Kupfer (Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_c003503)

Tatsächlich ist die feinfühlige Meisterschaft Elsheimers schon in seinen frühen Werken präsent und es ist offensichtlich, dass Bilder, wie er sie schuf (ungedenk seines offenbar enormen optischen Gedächtnisses), Resultat langfristiger Überlegungen, Vorarbeiten und detailliertester Ausführung sind. All dies exemplifiziert sein „kölner“ Werk „Die Steinigung des Heiligen Stephanus“. Ein, bei allen minutiös ausgeführten Details, enorm emotionales Gemälde. Durchaus im Ton der Gegenreformation, in deren Folgen sich der evangelische Elsheimer auch zum Katholizismus bekehren ließ. Wir sehen den Heiligen Stephanus jedoch nicht (wie so oft in anderen Darstellungen gemäß der Apostelgeschichte 7:60) mit gefalteten Händen, um Vergebung für seine Übeltäter betend. Vielmehr erscheint er in seinem Leiden sehr menschlich, getroffen von Steinen an der Schläfe blutend, offenbar kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Ein Lichtkegel durchteilt das Bild von oben links nach unten rechts. Alles passiert in jener spannungsreichen Diagonale, doch stets endet die Betrachtung beim zu Tode Gemarterten. Dabei hat sich der Himmel längst geöffnet um den Märtyrer aufzunehmen, Engel in Gestalt von Putten eilen ihm entgegen. Im Licht des Himmels, schemenhaft aber klar, thront Jesus, er ist die Quelle des Lichts. Dort, wo sich am unteren Bildrand die Figur eines jungen Mannes bückt, um einen Stein aufzuheben, erkennt man eine Grabplatte mit der Darstellung des Jesuskindes in Mariens Arm. Eines jener Details, welche Reproduktionen kaum wiederzugeben imstande sind. Auf einer Achse beider Jesusdarstellungen finden wir den jungen Saulus, welcher laut der Apostelgeschichte Wohlgefallen an Stephanus Tod empfindet. Gleichwohl sieht man weder in seinem, noch in einem der anderen der, bis in die fünfte oder sechste Reihe aller umstehenden Betrachter ausdrucksstark dargestellten Gesichter feixendes Mienenspiel. Hier emotionalisiert Elsheimes Werk nicht und macht so die Szenerie für heutige Betrachter nur noch erschreckender: die Menschen kommen in alltäglicher Neugierde zusammen, um eine Steinigung zu sehen. Im Hintergrund klettern junge Männer auf einen Baum, ein Logenplatz für das offenbar nicht ungewohnte Spektakel. In dieser, fast beiläufigen Szenerie scheint der dramatische Moment eingefroren. Die mörderische Urteilsvollstreckung an einem schönen Sonnentag in malerischer Landschaft vor antiken Ruinen. Eine römische Szenerie, wenngleich ihre Ausgestaltung, laut Ekkehard Mai, an Hans Rottenhamers Landschaften erinnert. Elsheimer assistierte Rottenhammer in seiner Zeit in Venedig, bevor er dann weiter nach Rom zog. Man kann sich trotz des blutigen Dramas in dieser schönen Landschaft voll anmutiger Details verlieren. Dass Elsheimer auf einer (wahrscheinlich verspiegelten) Kupferplatte malte, gibt dem Untergrund jene plane Ruhe, welche all diese präzisen Details auf der kleinen Fläche von vielleicht 35 x 30 cm zur Geltung kommen lässt.

Elsheimer, Adam, Steinigung des heiligen Stephanus, versilbert, Öl & Kupfer (Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_c003503)

Und doch findet man das Kölner Bild in keinem Werksverzeichnis. Keith Andrews sah es dreimal und kam zu dem Schluss, es als Kopie zu bewerten. In seinen Worten eine sehr gute Kopie, angefertigt um 1630, also nach Elsheimers Tod. Das Original jener Kopie befindet sich demnach in Edinburgh, in der National Gallery of Scotland, dem einstigen Arbeitsplatz Andrews’. Das Bild wurde erst 1966 als entdeckter Elsheimer vorgestellt, die Kölner Version gar erst 1976 versteigert, sie ist als Leihgabe aus Privatbesitz im Wallraf zu sehen. Tatsächlich verrät der erste Blick auf das Edinburgher Werk, dass es weniger um Kopie, als um Variation geht. Inmitten der Putten, welche Stephanus entgegeneilen, dominiert dort ein großer, gewandeter Engel. Er verdeckt jene Putte, welche die Märtyrerkrone zu Stephanus trägt und übernimmt diese Funktion an ihrer Stelle. Noch eine weitere Putte, von der lediglich ihr aus einer Wolke ragender Kopf zu sehen war, wird von seiner Gestalt überlagert. Interessant ist, dass die fünf verbleibenden Putten im Bildvordergrund in exakt der selben Position und Haltung erscheinen, wie in der kölner Version des Bildes. Tatsächlich wirkt die entstehende Konstellation recht gedrängt für eine Komposition Elsheimers. Ihr Gegengewicht erhält sie am rechten Bildrand, wo ein junger Mann hoch aufgereckt einen massiven Stein über seinem Kopf balanciert. Er steht hinter Stephanus, bereit, den Brocken auf des Märtyrers Kopf fallen zu lassen. Seine athletische Figur erscheint, obwohl sie verharrt, dynamischer als die aller anderen Protagonisten des Bildes. Engel und Steinwerfer bilden im Vertikalen wie Horizontalen zwei sich gegenseitig stützende Achsen, so dass auch diese Version in ihrer Figurenfülle präzise komponiert wirkt. Nicht alleine optisch: denn wo der irdische Tod nun näher scheint, ist auch der Himmel näher gerückt. Die Szenerie lenkt erneut den Blick auf den blutenden Kopf des Heiligen Stephanus. Nicht ohne Schrecken wird klar, diese Wunden können ihm nicht innerhalb der Szenerie des Bildraums zugefügt worden sein. Die Würfe kamen aus unserer Richtung. Ist der Betrachter mitschuldig?

Elsheimer, Adam, Steinigung des heiligen Stephanus, versilbert, Öl & Kupfer (Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_c003503)

Doch noch einmal zurück zur Frage nach der Echtheit. Bis auf die erwähnten Veränderungen, sind beide Bilder beeindruckend identisch, wenngleich die Malweise sich minimal unterscheidet, die in der Edinburgher Version etwas leichter wirkt. Der Einfluss von Paul Bril könnte hier erkennbar sein. Tatsächlich ist das Werk 1629 im Heiratsvertrag von Paul Brils Tochter erwähnt, ebenso jedoch eine zweite Version!

Zwei Versionen eines Themas, auch in stark identischer Ausführung sind bei Elsheimer keine Ausnahme. Auch ein stilkritischer Vergleich kann kein eindeutiges Urteil nahelegen. Variation oder Kopie, die selben Befunde könnten beide Urteile stützen. Doch ist die Edinburgher Version das einzige Original, warum sollte ein derart exakter Kopist zwei Hauptfiguren auslassen? Als formales Experiment an Elsheimers Werk? Im Wunsch eines Auftraggebers? Zwecks Vertuschung gar? – Keine dieser Antworten wäre befriedigend. Ekkehard Mai legt vorsichtig den Gedanken nah, daß die Edinburgher Version von Paul Bril vollendet worden sein könnte. Oder sind gar beides keine Elsheimer? Dagegen spricht eine Studie „nach Adam Elsheimer“ von Peter Paul Rubens, welche den Turban tragenden Reitenden neben Saulus, sowie weitere Figuren der Reitergruppe präzise zitiert. Verschiedene Posen der Steinwerfer lassen sich zudem in Elsheimers eigenen Skizzenblättern finden. Allesamt Argumente, die dafür sprechen, das Werk, gemäß Ekkehard Mais detaillierter Expertise, als einen echten Elsheimer auszuweisen.

Dennoch bleibt es, wie so oft in der Kunstgeschichte, ein Indizienprozess. Nahezu unweigerlich schuldig macht sich in diesem Ringen der wertende Betrachter. Ganz ohne einen Stein zu heben, sondern allein Kraft des Wortes, dabei aber (zumindest im Weltlichen) in steter Gefahr, dass sein Urteil auf ihn selbst zurückfallen könnte. So hängt er leider etwas zurückhaltend in einer Ecke des Wallrafs, der beeindruckende kölner Elsheimer.

ͣ (Hier und im Folgenden:) Ekkehard Mai – Die Steinigung des Heiligen Stephanus – Thema und Variation, Köln, 1996.


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