Saul Steinberg. The Americans


Oliver Tepel über Saul Steinberg „The Americans“ im Museum Ludwig, 23.3.-26.6.2013

Über den Düsseldorfer waren sie nicht erfreut. Seit geraumer Zeit versucht die Saul Steinberg Foundation, den Kopien Steinbergs berühmtester Arbeit, seinem Titelbild für „The New Yorker“ vom 29 März 1976, beizukommen. Zu gut war aber auch die Idee der mit leichtem Strich und zarter Kolorierung gezeichneten, grafisch verkürzten Perspektive von der Innenstadt hinaus auf die Welt. Irgendwann in den 80ern war „The Düsseldorfer“ im Rheinland bekannt genug, dass die zufällige Entdeckung des Originals so manchen in Staunen versetzte. Ach? – Ja. Ach! Doch es ist nicht das 37. Jubiläum jenes Werks, welches diesen Text begründet, sondern ein anderes Jubiläum.

Vor 55 Jahren eröffnete in Brüssel die erste Weltausstellung nach dem 2.Weltkrieg. Das Atomium strahlte im Sonnenlicht wie kein anderes Symbol jener globalen Leistungsschau seit dem Eifelturm. Eine neue Epoche verheissend, symbolisierte es die zweite Welle der Moderne, das Atomzeitalter, während die beiden Original-Nachbauten der Sputnik Satelliten im Russischen Pavillon das Weltraumzeitalter ankündigten. Und die USA? War dies nicht ihre Zeit? Hatte 1958 der American way of life nicht längst gesiegt? – Zweifelsfrei: Nein. Im Gegenteil, vor den sich weiter verhärtenden Fronten des Kalten Kriegs galt es, die Linien zu stärken und im besten Fall, neue Freunde zu gewinnen.

In einem riesengroßen Rundbau vermochte die USA ihre aktuelle Schwäche im Technischen zur freundlich einladenden Stärke umzudeuten. Design, Offenheit und Kunst sollten für die Welt der Freiheit werben. Mittendrin eine achtteilige Arbeit von Saul Steinberg: „The Americans“, jeweils drei Meter hohe Wandbilder, aneinandergereiht 74 Meter lang. Darauf: Figuren, gezeichnet und aus Papier geschnitten, Cowboys mit staksigen Jeansbeinen, ausdruckslose Banker, phantasievoll Kostümierte auf einer Parade, Wartende in einem endlosen Autostau oder Jedermann, mal plaudernd, mal versunken, im Drugstore. Das lebendige Panoptikum einer Nation, so vergnüglich, wie distanziert, so befreiend wie beklemmend inszeniert.

Doch wer war der Künstler? Ein Grafiker? Einer, der dieses Begriffs-Kartenhaus zusammenfallen lässt? – Offenbar, und damit besonders für die europäischen Kunstkenner, ein Störfaktor. Leider hatte der Kontinent Steinberg diese Rolle längst schon einmal zugewiesen. 1914 erblickt er in Râmnicu Sărat das Licht der Welt und erfährt bereits als Kind in Rumänien antisemitische Ressentiments. Die rechtsextreme „Eiserne Garde“ schürte seit dem Ende der 20er in Rumänien den Antisemitismus, Steinberg wurde am Studium der Architektur gehindert. Um das Studium anzutreten, verließ er seine Heimat und zog nach Milano. Als junger Bohemien in einer lebendigen Stadt schloss er unter anderem eine lebenslange Freundschaft mit dem Autoren Aldo Buzzi. Aus der gemeinsamen Korrespondenz weiß man, dass Steinberg seine Jahre in Italien als Transformationsphase vom „Ostler zum Westler“ verstand. In jene Zeit fallen auch seine ersten Veröffentlichungen, Zeichnungen, Karikaturen für die satirischen Magazine „Bertoldo“ und „Settebello“. Der Herausgeber des Letzteren hält auch noch zu Steinberg, als er unter dem Druck der 1938 in Italien erlassenen, faschistischen Rassengesetze nicht mehr unter seinem Namen veröffentlichen darf. Es folgen zusehends dramatischere Versuche, auszureisen, Steinberg wird interniert und schafft doch 1941 die Emigration in die Dominikanische Republik, da die USA ihm erst ein Aufenthaltsrecht gewähren, als „The New Yorker“ seine Arbeiten veröffentlicht. Der Beginn einer Bilderbuchkarriere.

„Saul Steinberg a Romainan-born artist who came to the U.S. in 1942, has set down his views of the U.S. in wiry drawings born of a wry imagination. But he ignored one phase of the american scene until LIFE persuaded him to turn his eyes to baseball.“ – So kündigt das LIFE Magazine im Juli 1955 eine Serie von Baseball inspirierten Werken Steinbergs an. Längst kann er in den großen Magazinen Seiten füllen, doch ist es diese pragmatische Offenheit, die unmittelbare Akzeptanz des Blicks eines letztlich doch Fremden, kondensiert in ein paar lockeren Worten, welche das im Grunde stets positive Verhältnis des Immigranten aus der Alten Welt zu seiner neuen Heimat beschreibt.

Eine Baseball Szenerie gestaltet auch eine der acht Tafeln von „The Americans“. Der Auftrag von LIFE hatte ihn im Ballspiel die perfekte Allegorie auf die neue Heimat entdecken lassen. Doch nun will man von ihm ein Werk über die Vielfalt der USA, eine Mammutaufgabe, welche er in einem Brief an Buzzi als ein auf 100 Meter Länge angelegtes Projekt beschreibt, „I’m in trouble“. Doch die Unruhe mag sich einstweilen gelegt haben, im Werk findet sie keinen Widerhall. Einige Photos in der Ausstellung zeigen Steinberg in Brüssel bei der Arbeit. In den USA hatte man Zeichnungen Steinbergs auf Photopapier vergrößert, sie bildeten den Hintergrund für sechs der acht Paneele. Mit einer Mischtechnik aus Zeichnung und Collage fügte Steinberg nun vor allem Figuren, aber auch Interieurs und Landschaften ein. Haut und Gesichter werden dabei durch das gelbliche Braun von Einkaufstüten repräsentiert.

Diese Tüten wird Steinberg in den kommenden Jahren zu Masken umarbeiten, einige der Masken sind ebenfalls Teil dieser überraschenden Ausstellung. Überraschend, da sich nur wenige an dies Monumentalwerk überhaupt erinnern können. Doch Kasper König hatte es als Teenager in Brüssel gesehen und fand es bei der Vorbereitung auf ein anderes Projekt in Brüsseler Lagerräumen. Bald war klar, dass „The Americans“ einer Restaurierung bedurfte und dass diese im Ludwig Museum durchgeführt werden sollte. Überraschend mag diese Ausstellung ebenso sein, da Saul Steinberg in der etwas behäbigen deutschen Kunstnomenklatur allerhöchstens unter „Angewandte Kunst“ auftritt. Hier leistet das Ludwig Museum wie bei Art Spiegelman Pionierarbeit. Dabei hätte es die Saul Steinberg Foundation im Hinblick auf den oben erwähnten „The Düsseldorfer“ weit einfacher, würde sie nicht von den Freiheiten der Kunst entmachtet. Doch historisch und vor allem für die individuelle Wahrnehmung entsteht eine enorme Blickerweiterung, wenn man Steinberg endlich als Künstler versteht. Warum auch bitte nicht? Man muss diese monumentalen Werke nicht alleine aus der Ferne sehen, wo sie sich als abstrakte Arbeiten nahtlos in die Geschichtsschreibung eingliedern liessen. Jahre vor Philip Guston und weit lebendiger als im Werk von Bay Area Figuratives wie Elmer Bischoff bleibt Steinbergs Blick beim Menschen. Und er zeigt: Es gibt keinen Grund, warum dies in der High Art der 50er nicht hätte funktionieren können.

Die beklemmende Haltlosigkeit von „The Cocktail Party“, ein Schweben der Figuren im dunklen Raum, umgeben von ihren eigenen, mit Undechifferibarem gefüllten Sprechblasen, erscheint wie ein Füllhorn ungenutzter formaler und inhaltlicher Möglichkeiten. Anderswo sind es die uniform in Reihe Marschierenden, vornan: White Collars, dann Büro-Typen, dann Arbeiter, dann Frauen und hintenan die Immigranten, welche enorm pointiert kommentieren. Man könnte Steinberg als einen frühen Vertreter der Pop-Art sehen, integriert er doch auch Zeitungscomics in sein Werk. Aber diese Perspektive wird Steinberg nicht gerecht. Er kritisiert die Welt der modernen Medien nicht, wie es die US-Pop-Art tat, er betrachtet lediglich die Masken der Menschen. Fast ein klassisch modernes Projekt. Tatsächlich lebt in seinen Figuren die Moderne der alten Welt, Chagalls Leichtigkeit, Picassos Formensprache, Cocteaus Linien, die Gesichter Modiglianis und Paul Klees, sowie auch dessen Blick auf Katzen. Ja, die Katzen. Ein Video zeigt in einem Nebenraum Rolf Karrer-Kharbergs wunderbare TV-Dokumentation „Das Maskenhafte des Saul Steinberg“ aus dem Jahr 1966. Dort erläutert Karrer-Kharberg Steinbergs Ansinnen, die Katzen immer menschlicher erscheinen zu lassen (oder vice versa) um so ein Zwischenwesen zu schaffen. Blickt man nach dem Film erneut auf „The Americans“ so wirken die Figuren verschlossen, ja oft sogar düster. „Die Gesellschaft sorgt immer dafür, daß niemand etwas ohne Zweck tut, und das macht das Leben zu einem Gefängnis“, sagt Steinberg im Gespräch zu Karrer-Kharberg und wir entdecken in den acht Paneelen ein buntes und vielfältig ausstaffiertes Gefängnis namens „Freiheit“. Aber diese Freiheit war Steinberg gleichsam enorm wertvoll, auch wenn oder gerade weil er sich von ihr vor allem die Möglichkeit des Rückzugs und der Beobachtung nahm. Sie hallt in seinem Werk wider. So blickt uns vom Panel „Farmers – Middle West“ nur ein Wesen mit durchdringendem Blick an, eine Katze zwischen den Masken der kräftigen Jugend und des sanften Alters im Schaukelstuhl.

Oliver Tepel


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