Ruhr Highlights 2017

Ruhr Highlights 2017


Dass das Ruhrgebiet in Sachen Kunst längst nicht mehr nur die kleine Schwester des Rheinlands ist, haben in den letzten Jahre zahlreiche Ausstellungen bewiesen. Auch internationale Gäste machen immer häufiger einen Abstecher nach Essen, Dortmund, Bochum und Co. Unsere Tipps zeigen, dass 2017 wieder ein Besuch in den einst von Karl Ernst Osthaus beschriebenen „kunstverlassenen Industriebezirk“ lohnt:

70 JAHRE  JUNGER WESTEN
Sie wollten die Kunst nicht neu erfinden, wohl aber einen Neubeginn wagen. Im Jahr 1947 gründeten Emil Schumacher, Gustav Deppe, Ernst Herrmanns, Hans Werdehausen, Thomas Grochowiak und Heinrich Siepmann die Künstlergruppe „junger westen“ in Recklinghausen, um der Modernen Kunst im Nachkriegsdeutschland zu neuem Aufwind zu verhelfen. Von einer zu Beginn noch eher figurativen Bildsprache, entwickelte das Sixtett mit seinen zahlreichen Weggefährten bis zur Auflösung der Gruppe im Jahr 1962 eine zunehmend abstraktere Ausdrucksweise. Programmatisch einordnen wollten sie sich dabei jedoch nie: das künstlerische Spektrum der Gruppe reicht von Siepmanns Konstruktivismus, über den Informel von Schumacher, Grochowiak und Werdehausen bis hin zu Deppes abstrakten Landschaftsbildern. Einziger Bezugspunkt, dem sie sich als Gruppe mehr oder weniger verpflichtet sahen: das industriell geprägte Ruhrgebiet mit seiner Lebens- und Arbeitswelt darzustellen. Zum 70. Gründungsjubiläum wird der Gruppe an gleich drei Häusern im Ruhrgebiet gedacht. Die Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum, die Kunsthalle Recklinghausen und das Märkische Museum Witten widmen sich mit jeweils unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten den Hauptmitgliedern des „jungen westen“, ihren künstlerischen Ansprüchen und Mitstreitern. Wenn die Ruhr-Kunstlandschaft ihre Lokalhelden ehrt, lohnt sich ein Abstecher.
Kunstsammlungen Ruhr-Universität Bochum, Di-So 11-17 Uhr, 18.05-01.10
Kunsthalle Recklinghausen, Di-So 11-18 Uhr, 07.05-13.08
Märkisches Museum Witten, Mi+ Fr-So 12-18 Uhr, Do 12-20 Uhr, 18.02-20.08

Emil Schumacher, Heinrich Siepmann, Thomas Grochowiak und Ernst Hermanns 1954 in der Kunsthalle Recklinghausen.

URBAN LIGHTS RUHR
„Es werde Licht“ heißt es dieses Jahr auch in Marl. Gemeinsam mit den Urbanen Künsten Ruhr und dem Skulpturenmuseum Glaskasten ist die Stadt Gastgeber für das jährlich stattfindende Lichtkunstprojekt Urban Lights Ruhr. Mit dem Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna hat sich das Ruhrgebiet bereits als Anlaufstelle für Freunde dieser allgemein eher unterrepräsentativen Kunstrichtung einen Namen gemacht. Seit vier Jahren bekommt die Lichtkunst mit Urban Lights Ruhr nun auch im öffentlichen Raum ihren Platz. Ziel der der Urbanen Künste Ruhr ist es, mittels künstlerischer Interventionen neue Sichtweisen auf die Stadt selbst zu schaffen und Anregungen für städtebauliche Veränderungen zu geben. Mal analytisch, mal witzig, mal sinnlich-ästhetisch wird in den urbanen Raum durch Installationen und Objekte interveniert. In Marl werden dafür acht Künstler sowohl den Glaskasten, als auch die Innenstadt mit ihrer Nachkriegsarchitektur, in neuem Licht erstrahlen lassen. Mit Kristina Buch, Nikolaus Gansterer, Mischa Kuball, Martin Pfeiffle, Michael Sailstorfer, Sans Façon, Hannah Weinberger und Isa Melsheimer haben sich die Veranstalter für Künstler entschieden, die sich mit ihren Arbeiten zum Teil bereits im Ruhrgebiet einen Namen gemacht haben. Der geplante Lichtparcours, dessen Herzstück das Marler Rathaus darstellen soll, wird, so wie bereits die vergangenen Jahre gezeigt haben, nicht nur für stadtvertraute Besucher eine Erfahrung der ganz besonderen Art werden. Wir freuen uns drauf.
Urban Lights Ruhr Marl, verschiedene Orte im Marler Stadtraum und Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, 13.-29.10.

Sans Facon Limelight, Urbane Künste Ruhr 2015, Foto: Roman Mensing

MEMBERS PLEASE
So unscheinbar der Name auch klingen mag, der Oberhausener Verein für aktuelle Kunst/ Ruhr e.v gilt schon seit Jahren als etablierte Institution im Ruhrgebiet. Mit dem Fokus auf konkrete und neokonkrete Positionen verstehen es die Macher, ausgeklügelte programmatische Ausstellungskonzepte zu schaffen, die das Auge der Besucher auf gleiche Weise fordern wie befriedigen. Über die Farbmalerei hinaus gehend, werden in der lichtdurchfluteten einstigen Werkhalle der Zinkfabrik Altenberg zeitgenössische Positionen aus den Bereichen der Fotografie, Bildhauerei und Installation gezeigt, die ein bloßes Konsumieren zugunsten einer rezeptionsästhetischen Erfahrbarkeit von vornherein unterbinden. Auch in diesem Jahr dürfen wir uns wieder auf ein vielversprechendes Ausstellungsprogramm freuen. Den Höhepunkt stellt hierbei die große Gruppenschau Members please dar. Mit 24 teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern, darunter Max Cole, Léopoldine Roux, Günter Dohr und Dirk Salz, bringt der VfaKR, so umfassend wie noch nie, namenhafte nationale und internationale Positionen neokonkreter Kunst zusammen.
Wer Oberhausen bis dato nie besonders mit zeitgenössischer Kunst in Verbindung bringen konnte, sollte sich hier eines Besseren belehren lassen. Und für alle, deren persönlicher Ausstellungskalender über den Sommer schon voll ist: In den Wintermonaten zeigt der Verein jedes Jahr eine  beeindruckende Farb-Lichtinstallation.
Verein für Aktuelle Kunst/ Ruhrgebiet e.V, Fr 16-18 h, Sa 15-18 h, So 11-14 h, 16.07-20.08,
Winterausstellung/ Farb-Lichtinstallation: 04.11-31.12

Ausstellungsansicht Verein für aktuelle Kunst, Oberhausen

CLAUS GOEDICKE
Seifen, Schokoladentafeln, Glühbirnen oder Kartoffeln: Auf nahezu malerische Weise schafft Claus Goedicke (*1966) fotografische Stillleben uns bekannter Alltagsgegenstände. Abgelichtet vor farbigem, teilweise digital überarbeitetem, Grund, wirken eben jene Dinge, die wir so gut zu kennen scheinen, fremdartig isoliert. Von ihrer eigentlichen Funktionalität gelöst, gelingt es Goedicke mittels Belichtung und Inszenierung, nicht nur Bezüge zum historischen Stillleben, sondern auch der Werbefotografie zu knüpfen. Der Hintergrund entzieht sich dabei einerseits jeglicher Raumhaftigkeit, bietet durch die farbliche und materielle Gestaltung zugleich aber ein sinnliches Zusammenspiel von Ding und Raum, von Oberfläche und Inhalt. Gerade durch eben jenen Hintergrund rückt die physische Präsenz der Objekte, ihre Formen, Farben und Oberflächen, umso stärker in den Fokus der Fotografien. Sie scheinen ganz für sich zu stehen und agieren dennoch auf subtile Weise mit dem Betrachter. Das Bottroper Joseph-Albers-Museum widmet dem Becher-Schüler eine Ausstellung, die unseren Blick auf die von uns tagtäglich genutzten Gegenstände schärft, verändert und teilweise auch irritiert. Ein Seherlebnis, das Spaß macht.
Joseph-Albers-Museum (Quadrat) Bottrop, Di-Sa 11-17 Uhr, So 10-17 Uhr, 19.02-7.05

Claus Goedicke

JANA STERBAK
Nachdem die Innsbrucker Galerie im Taxispalais den Anfang machte, zieht die umfassende Einzelausstellung der tschechisch-kanadischen Künstlerin Jana Sterbak ( *1955) in diesem Jahr weiter in das Lehmbruck-Museum nach Duisburg. Als Gemeinschaftsprojekt geplant, zeigt die Ausstellung mit rund 40 Exponaten das künstlerische Schaffen Sterbaks von ihren Anfängen in den 1970er Jahren bis hin zu aktuellen Werken. Sterbaks komplexes Ouevre, das skulpturale, performative, fotografische und filmische Arbeiten umfasst, lässt sich nur schwer auf wenige Aspekte herunter brechen. Die eigene Körperlichkeit, das Ausloten von Intimität und Öffentlichkeit, von Vergänglichkeit und Dauer oder die Hinterfragung von Identität und Geschlechterkonstruktionen werden in ihren Werken mittels der Verschränkung unterschiedlicher Materialien, Objekte und Symbole teils zärtlich-poetisch, teils aggressiv-verstörend zum Ausdruck gebracht. Stets verbunden mit dem gewissen Quäntchen Ironie, gewährt Sterbak dabei eine Lesart, die so gar nicht radikal-progressiv und bedrohlich daher kommt wie es etwa in den Werken anderer Künstlerinnen ihrer Zeit der Fall ist. Zwischen Poesie und Politik stehend, lassen sich Sterbaks Arbeiten nicht allein als feministische Beiträge, sondern vielmehr als allgemein gültige Fragen rund ums menschliche Dasein deuten. Erstmals seit 2002 zeigt die Ausstellung Sterbaks retrospektives Schaffen im deutschen Raum unter Einbeziehung aktueller und zum Teil noch unveröffentlichter Werke.
Lehmbruck-Museum Duisburg, Di-Fr 12-17 Uhr, Sa + So 11-17 Uhr, 11.03-11.06

Jana Sterbak, Remote Control II, 1989

NICO JOANA WEBER
Das Museum Situation Kunst ist bereits seit den 1980er Jahren Anlaufstelle für Interessierte der Gegenwartskunst in Bochum. Gegründet als Hommage an den Kunsthistoriker Max Imdahl zeigt das Haus neben seiner ständigen Sammlung (Werke u.a von Arnulf Rainer, Richard Serra und Norbert Kricke) kleine, aber ausgesuchte Wechselausstellungen. Das Haus, bestehend aus fünf freistehenden Kuben und in unmittelbarer Nachbarschaft an die Parkanlage des Hauses Weitmar, thematisiert auf eindrückliche Weise die Verbindung von Natur und moderner Architektur. Einen passenderen musealen Rahmen dürfte man für die Werke Nico Joana Webers (*1983) im Raum Bochum wohl kaum finden. Seit rund zehn Jahren beschäftigt sich die Kölnerin in ihren Fotografien, Videoarbeiten und Installationen mit kulturell konnotierten Landschafts- und Naturvorstellungen im architektonischen Dialog. Weber reflektiert Konstellationen von Vegetation und Architektur wie etwa in ihren filmischen Aufnahmen im südamerikanischen Amazonas und beleuchtet Bau-Ikonen der klassischen Moderne ebenso wie Nachkriegsarchitekturen in deutschen Städten und Industrieregionen. Die Arbeiten hinterfragen dabei nicht nur die Verflechtung von Landschaft und Architektur, sondern stellen diese Form der Wechselbeziehung auch in einen Kontext von vergangenen Utopien einer baulichen Moderne und aktueller Lebenswirklichkeit rund um den Globus. Wir dürfen uns auf eine beeindruckende Künstlerin freuen, deren Werke das empfindsame Bild einer von Transformation geprägten Moderne zeichnen.
Situation Kunst Bochum, Di-Fr 14-18 Uhr, Sa+So 12-18 Uhr, 04.05-27.08

Nico Joana Weber, „Markasit“, 2014, Videostill

Artikelbild: Claus Goedicke, 2000, C-Print


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