Otto Freundlich

Otto Freundlich


Noemi Smolik über Otto Freundlich „Kosmischer Kommunismus“ im Museum Ludwig, Köln, bis 14.5.

„Ich war ca. fünf Monate der Welt in Chartres verfallen und bin für mein Leben ganz gezeichnet daraus hervorgegangen“, schreibt Otto Freundlich 1914 in einem Brief. Es sind die Fenster der gotischen Kathedrale in Chartres, die sein künstlerisches Leben prägen werden. Die Leuchtkraft der Farben dieser Fenster und deren Transparenz, die den Blick in eine andere Welt gleiten lassen, wird ihm lebenslang in seiner eigenen Malerei zur Seite stehen. 1878 in Pommern geboren, geht Freundlich zuerst nach München, wo er 1904 Zahnmedizin und Philosophie zu studieren beginnt. Hier begegnet er dem Maler Wassily Kandinsky und Paul Klee. Bald bricht er das Studium ab, geht 1907 nach Florenz, wo er, wie er selbst sagt, seine „Laufbahn als Plastiker“ beginnt. 1910 lebt er in Berlin, ab 1911 dann in Paris, wo er sich immer mehr von einem Plastiker zu einem Maler entwickelt. Doch Malerei wird er nie studieren. Freundlich ist ein Autodidakt.

Otto Freundlich, Sphärischer Körper, 1925, 65 x 50 cm, Pastell auf Papier, Privatsammlung, Foto: Rheinisches Bildarchiv, Köln

Vom Symbolismus und dem Jugendstil beeinflusst, konzentriert er sich zuerst in seiner Malerei auf die Linie, die er weniger als eine Abgrenzung versteht, als den Ausdruck einer Bewegung. Bald verselbstständigen sich die Linien in seiner Malerei, Bewegung ergreift die Bildfläche, seine Bilder werden abstrakt. 1911 malt er mit gedämpften Farben das abstrakte Bild Komposition. Damit reiht er sich zu den überhaupt ersten abstrakten Malern, weshalb dieses Bild in der Kölner Ausstellung auch zurecht prominent präsentiert wird. Zur gleicher Zeit arbeitet er an seinem Großen Kopf, einer Plastik, die zu seinem berühmtesten Werk werden soll, denn sie erscheint auf dem Schutzumschlag des Kataloges, der 1938 die von den Nazis organisierte Ausstellung Entartete Kunst begleiten wird. Es ist ein grober, archaisch wirkender Kopf, der an die seltsamen Statuen auf den Osterinseln erinnert.

Hannes Flach, Otto Freundlich vor dem Kölnischen Kunstverein, aus der Serie „maler bei der arbeit“, ca. 1931, Foto: Sig. 27/30, Hannes Flach-Archiv, Köln

1914 – nach dem schon erwähnten Chartres Erlebnis – verlässt Freundlich Paris und lebt in Köln, wo er auf die Kölner Dadaisten trifft, den Fotografen August Sander kennenlernt und dem Tabakfabrikanten und Mäzen Josef Feinhals begegnet, der bei ihm das große Mosaikbild Die Geburt des Menschen bestellt. Freundlich fertigt 1918/19 das Mosaikbild, das speziell für die Ausstellung aus der Halle des Kölner Stadttheaters, wo es sich befand, in die Ausstellungsräume transportiert wurde. Eigentlich überlebte das Bild nur, weil der Mäzen bald kein Gefallen an dem Bild hatte, und es einlagern ließ. Das Mosaik zeigt in einem rotierenden Kreis eine menschliche Gestalt. Das Bild ist bewegt und monumental und geht auf Freundlichs frühe, noch von Jugendstil beeinflusste Bilder zurück.

In dieser Zeit fängt auch sein politisches Engagement an. Er tritt in die kommunistische Partei, nimmt Teil an der Beerdigung des ermordeten Karl Liebknechts, schwört auf Karl Marx’ Kapitalismusanalyse: „Ich bin der Ansicht,“ schreibt er 1918, „dass die gesamten Grundlagen der jungen Kunst auf dem Gefühl eines kosmischen Kommunismus ruhen, von dem der wirtschaftliche Kommunismus ein notwendiger, wenn auch untergeordneter Teil ist.“ Er wehrt sich gegen den Individualismus in der Kunst und sucht nach kollektiven Möglichkeiten künstlerischer Produktion. Daher sein Interesse an verschiedenen handwerklichen Produktionsformen, die kollektiv geschehen, wie der Glasmalerei, welches in der Ausstellung sorgfältig dokumentiert wird.

Otto Freundlich, Großer Kopf („Der neue Mensch“), Titelbild des Ausstellungsführers Entartete Kunst, 1937

Auch seine wiederholte Auseinandersetzung mit der Formung eines menschlichen Kopfes geht auf die Suche nach einer anderen Auffassung des Individuums zurück. Denn Freundlich glaubt, wie er in seinem 1935 verfassten Bekenntnis eines revolutionären Malers schreibt, dass die Menschheit sich demnächst „vom Individualismus zum Kollektivismus“ entwickeln werde, um „einmal auch die Dingwelt verschwinden zu lassen.“ Kein Wunder, dass die Nazis in ihn einen Feind sehen und sein Werke in der Ausstellung Entartete Kunst zeigen.
Die Kölner Ausstellung dokumentiert diese Diffamierung, wobei den Kuratoren auffällt, dass der auf dem Katalog zu dieser Ausstellung abgebildete Kopf sich nicht mit den Fotos dieses Kopfes in der Ausstellung Entartete Kunst deckt. Wie es scheint, wurde für die Ausstellung eine Replik angefertigt – warum, weiß man nicht.

Installationsansicht, Otto Freundlich. Kosmischer Kommunismus, Museum Ludwig, Köln 2017, Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln/ Britta Schlier

Der größte Teil der Ausstellung ist denjenigen Bildern gewidmet, die nach seinem einschneidenden Chartres Erlebnis entstanden sind. Es sind Bilder, die aus leuchtenden, mosaikartig zusammengesetzten, farbigen Flächen bestehen. Oft haben diese Bilder konkrete Titel wie Ein Baum oder Schiff im Sturm auch wenn sie völlig gegenstandslos zu sein scheinen. Und obwohl sie gegenstandslos sind, ist ihre formale Nähe zu den gotischen Glasfenstern nicht zu übersehen. Ähnlich wie diese Fenster den Blick des Betrachters in eine andere Welt, in einen kosmischen Raum führen sollte, der mit Visionen gefüllt werden konnte scheint auch Freundlich seine Bilder zu verstehen: Als Fenster, die den Blick in eine gerechte Welt leiten, in eine Welt, in der der Individualismus sich in einem kollektiven Streben auflöst. Eines seiner letzten aus farbigen Flächen zusammengesetzten Bilder, mit dem auch die Kölner Ausstellung endet, stammt von 1938 und heißt La Rosace I. In einem Brief an Pablo Picasso erwähnt er dieses Bild: „Ich habe einen Glasentwurf ausgearbeitet, der dazu gedacht ist, in den Maßen der Rosette einer Kathedrale ausgeführt zu werden.“

Otto Freundlich, La Rosace II, 1941, 65 x 50 cm, Gouache auf Karton, Musées de Pontoise, Foto: Donation Freundlich – Musées de Pontoise

Seit 1925 lebt Freundlich in Paris, ohne nach Deutschland zurückzukehren und trotzdem entkommt er der Verfolgung durch die Nazis nicht. Nach dem Ausbruch des Krieges wird er verhaftet, wieder freigelassen, versucht in die USA zu emigrieren, flieht 1942 in die Pyrenäen, wo er sich bei Bauern versteckt, wird denunziert, nach Polen verschleppt und im Lager Sobibor ermordet. Ein großer Teil seines Werkes geht verloren und es dauert lange, bis er in Deutschland wieder rehabilitiert wird. Es ist ein großer Verdienst dieser Ausstellung, die noch erhaltenen Werke in diesem Umfang zusammenzutragen und in einem hervorragend aufgearbeiteten Katalog zu dokumentieren.

Artikelbild: Otto Freundlich, „Kräfte“ (Ausschnitt), 1934, 64 x 53 cm, Öl auf Leinwand, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Foto: Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien


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