Marianna Christofides

Marianna Christofides


l’histoire d’histoire d’une histoire / 16.2.-31.3.2013 / Eröffnung Fr, 15.2.2013, 19 Uhr / OG2 – Kölnischer Kunstverein

Eva Schmidt, Museum für Gegenwartskunst Siegen über Marianna Christofides „l’histoire d’histoire d’une histoire“:

Ohne Angabe von Zeit und Ort; ohne Informationen über die Situation, die einst Aufnahmeobjekt und Fotograf verbunden hat; ohne Kenntnis darüber, für wen diese Bilder gemacht wurden, wer sie besessen und betrachtet hat: Die Laterna-Magica-Bilder in l’histoire d’histoire d’une histoire erscheinen gänzlich verwaist. Aus einer anderen Ära der Bildertechnologie stammend, hat sie Marianna Christofides aufgespürt, gesammelt, ausgewählt, digital bearbeitet, zu einer Folge von Lichtbildprojektionen zusammengeführt und zu einem künstlerischen Werk von heute gemacht. Diffus transportieren die Bilder ihre Entstehungszeit, den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, den kolonialen Blick auf Nordafrika, Indien und andere ferne Orte. Der Braunstich, die Verfärbungen durch seitlichen Lichteinfall, die künstlerische Kolorierung legen uns die spezifische Materialität der Bilder nahe. Diese Materialität hüllt das Fotografierte in ein merkwürdiges Licht. Gezeigt wird ein vergangener Blick auf etwas, das ganz anderen Zeiten unterworfen ist: ewig fließende Wasserfälle, stetig rauschender Wald, Naturwunder wie der Giant’s Causeway an der irischen Küste, Architekturdenkmäler wie das Rote Fort in der nordindischen Stadt Agra. Selten begegnet uns ein menschlicher Blick, der das Jetzt der fotografischen Aufnahme thematisieren könnte. Wir sehen einen Blinden mit richtungslosem Blick; ein Kind mit riesiger Brille, die vor Röntgenstrahlen schützt; die Mumie des Ramses II. mit leeren Augenhöhlen. Der stolze koloniale Blick durch die Kamera, der alles gleichermaßen bewundernd, erstaunt und autoritär vereinnahmt, duldet den selbstbewussten Gegenblick eines gleichberechtigten Subjekts nicht. Die Zusammenstellung der Bilder macht auch deutlich: Der Kolonialismus fügt sich gern in die Naturgeschichte ein, die er selbst hervorgebracht hat.
Aus vorhandenen Bildern macht Marianna Christofides etwas Neues: Ein langsamer, fein rhythmisierter Ablauf von Einzelbildern und Bildpaaren entfaltet sich hier, annähernd gleich wiederholt sich die Bildfolge viermal.
Irritierend minimale Abweichungen sprechen von dem präzisen Eingriff der Künstlerin in die Wiederholungen: Einige wenige neue Bilder werden eingeführt, Bildausschnitte werden leicht verschoben, kaum wahrnehmbare digitale Eingriffe in die Bilder versetzen uns in Zweifel.
In den dunklen Pausen zwischen den Bildern erscheint Sprache. »Ich will eine Geschichte finden. Eine Geschichte in Bildern,« beginnt die bedächtige weibliche Stimme. Sie fährt fort mit Aussagen darüber, wie Narration voranschreitet. Sie verwendet dafür Metaphern wie die Flucht des Aeneas mit seinem Vater aus Troja. Sie erzählt von der Meuterei auf der Bounty, bei der die Stecklinge des Brotfruchtbaums eine entscheidende Rolle spielten, und von dem einzigen Brotfruchtbaum auf Zypern in der Nähe des Dorfes, in dem der Onkel der Künstlerin aufgewachsen ist. Und irgendwann ein ungeheuerlicher, die Vorstellungskraft übersteigernder Satz ohne Verb und ohne Ursache: »Verschiebungen von Menschen, Tieren, Pflanzen über den gesamten Erdball«.
Wie Christofides mit Deplatzierung, Isolierung und Kontextualisierung arbeitet, um die Elemente des kollektiven und individuellen Erinnerns zu strukturieren, zeigen zwei andere Arbeiten, Specimen No. 1 und »… what if you find a hornet’s nest in a hotel room?«. Sie haben ein persönliches Erlebnis als Ausgangspunkt, ähnlich der kleinen, bei l’histoire d’histoire d’une histoire eine Rolle spielenden Begebenheit, dass es bei dem Dorf des Onkels einen Brotfruchtbaum gegeben hat. Hier ist es die wundersame Entdeckung eines verlassenen Hornissennestes in einem ebenso verlassenen Hotel, irgendwo in Griechenland. Das Nest wurde fotografiert, aber auch als besonderes Fundstück abgenommen, konserviert und im Museumskontext präsentiert – auf einem Sockel, unter einer grau getönten Glashaube, von unten beleuchtet. Auf das Gebilde einer ausgestorbenen Kolonie fällt der interessierte und irritierte zoologischarchäologisch eingestellte Blick, der diese Konstellation im Kunstkontext als Metapher wertet. Der Fund des Hornissennestes hat auch eine weitere Arbeit »… what if you find a hornet’s nest in a hotel room?« entstehen lassen. Die Fiktion einer wissenschaftlichen Buchseite mit Abbildung, geologischem Text und Anmerkungsapparat montiert den geologischen Diskurs über plastische Prozesse der Erdkruste mit solchen über soziale und kulturelle Prozesse. Fachbezogene Diskurse leihen sich gegenseitig ihre bildhafte Sprache. Hier werden sie selbst zu Metaphern.
Marianna Christofides konstruiert Situationen, die diskursive Bedeutungszuordnung auf poetische Weise öffnen. Dabei entstehen dichte Atmosphären. Wir werden überwältigt von der stummen Konkretheit von Bild, Sprache, Objekt. Die Verfahren der Künstlerin sind oft surreal, geheimnisvoll, und zugleich erinnern sie an die mit humorvollem Augenzwinkern gepaarten trockenen Regeln der Konzeptkunst. Die Inszenierung von Montage und Demontage sind ihre wichtigsten Mittel. Die Melancholie, die so erzeugt wird, ist überwältigend. Nie waren wir weiter von der hierarchisch strukturierten pragmatischen Realität mit ihrem geschäftigen Tun entfernt, sprachlos, aber voller Worte und Bilder, die ihre Verweisfunktion und Bezüge aufgegeben haben. Von den Arbeiten Marianna Christofides’ geht ein tiefes Gefühl aus, eine Sehnsucht nach Orten, Zeiten, Personen, die wir in uns tragen. Eine unendliche Ruhe breitet sich aus, aber auch eine Beunruhigung angesichts überwältigender Fremdheit und Entfremdung. Die Welt und die Ordnung der Dinge zerfallen in ihre Bestandteile, deren erneute Zusammensetzung eine ästhetische Aufgabe ist.

[aus Katalog: Kunstpreis der Böttcherstraße in Bremen 2012, Kunsthalle Bremen, 16.9.-16.12.2012]


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