Offene Systeme


Sabine Elsa Müller über Tilo Riedel im ak Raum, Wißmannstr. 30, Köln, bis 25.2.

In einer Wohnung im zweiten Stock der Wißmannstr. 30 in Ehrenfeld wurde ein neuer Kunstraum eröffnet, der ak Raum. Die Initialen stehen für Agnes Kornas, die lange für die Galerie Sprüth gearbeitet hat und sich hier und heute den Traum von einem eigenen, unabhängig betriebenen Showroom erfüllt. In enger Zusammenarbeit mit den Künstlern sollen sorgfältig erarbeitete Künstlerräume entstehen, die eher an einen Projektraum als an eine Galerie denken lassen. Zur Eröffnung im letzten Herbst wurden allerdings erst einmal die befreundeten Künstlerinnen und Künstler gebeten, in einer als Accrochage konzipierten Gruppenausstellung die Marschrichtung vorzugeben. Etwa 20 vorwiegend in Köln und Düsseldorf beheimatete und zumindest hier schon recht bekannte Künstlerinnen und Künstler präsentierten sich mit Arbeiten auf Papier. Auf der Basis der reichen rheinischen Gemengelage plant Agnes Kornas sechs Einzelpräsentationen im Jahr.

Den Anfang macht Tilo Riedel. Und zeigt, wie sehr es sich lohnt, Künstlern solche Freiräume zu schaffen. Riedel verwandelt diesen Ort mit seiner privaten Ausstrahlung, dem Parkettboden und der niedrigen Deckenhöhe zu einem vibrierenden Resonanzraum. Kein Ort mit Wohlfühlcharakter, obwohl die stark biographisch geprägten Arbeiten wie selbstverständlich ihren Platz finden. Nur, unter seiner Regie kommt hinter dem Ambiente bürgerlicher Behaglichkeit ein ganz anderer Geist zum Vorschein. Mit tiefem Ernst oder auch spöttisch, manchmal aggressiv und herausfordernd werden Zweifel angemeldet. Wie schlecht doch die Risse in den glatten Oberflächen kaschiert sind! Man muss nur ein bisschen an den alltäglichen Dingen und Begriffen kratzen, und schon kommt alles durcheinander.

Mitten im Raum steht ein Turnkasten, wie ihn wohl jeder aus seiner Schulzeit kennt. Gewiss, so ein massiver Kasten hat auch schon damals so manchem Alpträume verursacht. Vielleicht ist der Kasten in diesen Träumen auch bis unter die Decke gewachsen, so wie es hier nun tatsächlich der Fall ist. Aber sobald man gewahr wird, dass das Ungetüm gar nicht fest auf dem Boden, sondern auf Rollen steht, ändert sich alles. Was eben noch bedrohlich schien, wirkt jetzt eher lächerlich. Sollte man es einfach zur Seite schieben? Oder ist das nur ein neuer, undurchschaubarer Trick? Denn knapp davor hängt ein sehr langes, dünnes Ewas von der Decke, das sich als eine Verbindung aus einem Teppichklopfer mit einem Spazierstock entpuppt. Was immer man bei diesem Anblick empfinden mag, er verspricht nichts Gutes.

Tilo Riedel, 1960 in Frankfurt geboren und schon seit langem in Köln heimisch, schafft Bilder, die sich nicht so ohne weiteres entschlüsseln lassen. Altbekannte Dinge gehen geheimnisvolle Beziehungen ein und verwandeln sich dadurch mit einem Mal in flüchtige Erscheinungen, die durch ihre Offenheit einen idealen Körper abgeben, um mit den eigenen Gedanken daran anzudocken. Aber ebenso beginnen diese Dinge mit den anderen Elementen des Raumes zu kommunizieren. So entspinnt sich zwischen den verschiedenen Arbeiten der Ausstellung ein dichtes Geflecht an stärkeren und schwächeren Verbindungslinien. Diese Vielstimmigkeit wird noch durch die sprachliche Ebene verstärkt. Häufig arbeitet Tilo Riedel mit Texten, eigenen oder auch denen von ihm geschätzter Dichter, aber ebenso mit den marktschreierischen Halbsätzen der Werbung oder anderen gefundenen Textfragmenten.

Die Titel sind ebenso eigenständige Elemente in diesem Assoziationsraum. „mutterkindbettfieberseele“ nennt Riedel eine Arbeit, die er hier zum ersten Mal zeigt, und die tatsächlich wie für den Raum gemacht ist. Vom Eingang aus ist sie erst gar nicht zu sehen; erst wenn man um die Ecke in den hinteren Raumteil blickt, tut sich plötzlich dieser Abgrund auf… Riedel hat zwei gleiche Betten zusammengestellt, so wie es in zahllosen Schlafzimmern Usus ist. Aber natürlich, irgendwie bleibt ein Spalt dazwischen, eines der beiden Betten steht schief, auf einem schmalen Keil, leicht erhöht. Nähert man sich dieser Bettstatt, entdeckt man ihr morbides Inneres. In dem einen Bett breitet sich blaue Farbe anstatt einer Matratze aus; das andere ist wie zugemüllt von Fundstücken, die eine unschöne Vorstellung von Körperlichkeit vermitteln. Eine ganze Welt von Erinnerungen und Vorstellungen tut sich auf, die mit dem Bett in Verbindung steht, von der Zeugung, der Geburt, über Krankheit bis zum Tod. Aber auch die Wärme, das Tröstliche, Schützende kommen nicht zu kurz. Es ist ein so stark beladener Ort, dass sich die Faszination mit einem Gefühl der Überlastung mischt. Wie lässt sich so etwas wie unser Leben überhaupt aushalten?

Über die volle Länge einer knapp fünf Meter langen Wand hat Riedel Fotos, ausgeschnittene Zeitungsartikel, kopierte Gedichte und andere kleine Bilder und Texte arrangiert, all das Material, das sich im Laufe der Jahre vielleicht auf einer privaten Pinnwand ansammelt. Es sind gedruckte und fotografierte Zeugnisse unterschiedlichsten Charakters und aus unterschiedlichen Zeiträumen, private wie aus den Medien, die ein offenes System von Bezügen und Verweisen bilden und wie eine Versuchsanordnung für die gesamte Ausstellung anmuten. Der Sinn muss immerzu neu destilliert werden. Es gibt ihn nicht als in Stein gemeißelte Wahrheit. „du sollst dir kein Bild machen“ – so affirmativ ist Tilo Riedel selten, aber der Satz geht weiter „und auch kein jpg du Arsch“. Der Kommentar gehört zu einer Arbeit, bei der er eines seiner eigenen Bilder schwarz übermalt hat.  In der Ausstellung misch sich alles mit allem, Neueres und Älteres. Ein mit bunten Farben begossener schwarzer Pudel ist 2012 entstanden („Begossen sein“), zeitgleich mit einem Plakattext gleichen Titels. Wenn es sich bei diesem Text auch nicht gerade um einen typischen Riedel-Text handelt, so öffnet er doch eine Tür zu seinem anderen Arbeitsfeld, seiner Dichtung. Riedels Vielseitigkeit ist erstaunlich. Das Medium – Fotografie, Grafik, Malerei, Skulptur oder Text – ist das jeweils zum Einsatz kommende Vehikel, mit dem er diesen einen, intensiv erlebten Augenblick festhält, wenn sich durch einen Gegenstand, ein Bild oder ein Wort völlig neue Wege und Räume öffnen.


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