Norbert Kricke im Skulpturenpark Waldfrieden

Norbert Kricke im Skulpturenpark Waldfrieden


Skulpturenpark Waldfrieden / Cragg Foundation, Hirschstr. 12, 42285 Wuppertal, 8. April – 10. Juli 2011


Auf die Frage, ob Norbert Kricke (1922 – 1984) denn jungen Künstlern heute noch etwas zu sagen habe, antwortet der Initiator, Hausherr, Bildhauer und Kurator Tony Cragg mit Nachdruck: Er repräsentiere eine Epoche, in der die Kunst für einen Künstler noch mehr im Mittelpunkt stand.
In der man sich Zeit gelassen habe, über Beobachtung und Reflexion zu einer adäquaten Umsetzung  zu finden. Dagegen setzten sich heute die schnellen, einfachen Lösungen durch. Hier spricht der Professor und Rektor der Düsseldorfer Akademie, der mit dem Freund und Amtsvorgänger (Norbert Kricke war 1972 – 1981 Rektor der Düsseldorfer Akademie, an der er seit 1964 lehrte) das ambitionierte Interesse am Nachwuchs teilt.

Damit ist Cragg aber auch schon mitten im Thema, denn die Suche nach einem Ausdruck der Spannungsverhältnisse zwischen Raum und Zeit bestimmte zeitlebens Norbert Krickes sehr eigenständige Entwicklung. Nach Kriegsende war das Menschenbild und damit die Bildhauerei in eine fundamentale Krise geraten und schwankte zwischen übersteigertem Heroismus und tiefer Depression. Kricke erkannte schon früh seine Unvereinbarkeit mit den herrschenden Strömungen und entdeckte in Hans Uhlmann (1900 – 1975), dessen ungegenständliche Metallplastiken in der NS-Zeit als „entartet“ galten und erst nach 1945 gezeigt werden konnten, eine wesensverwandte Haltung. Er fand mit dem einfachen Material Draht einen Weg, das klassische Volumen in eine lineare Bewegung aufzulösen. Nun führt die Ausstellung mit einer eher kleinen Auswahl von insgesamt 14 Exponaten aus allen Schaffensphasen ausgesuchte Arbeiten zusammen, die einen überaus gewinnbringenden Überblick über das energetische Spektrum dieses Lebenswerkes ermöglichen.

Die wunderbar klar strukturierte, lichtdurchflutete Ausstellungshalle wirkt mit zehn Kleinplastiken auf Sockeln in lockerer Verteilung nicht unbedingt überfüllt. Aber die Arbeiten haben es in sich. Jede einzelne davon ist ein Wunder an Präzision – in der Gesamtschau spielen sich die verschiedenen Positionen die Bälle zu: Solopartien vereinigen sich zur Choreographie, die den Raum durchwirbelt, vor- und zurückwogt, fließende Arabesken und pfeilschnelle Linien in die Luft schreibt. Dabei ist es äußerst aufschlussreich, wie sich die rechtwinklige Geometrie der frühesten Raumplastik aus dem Jahr 1950 über eine schon bald erfolgte Dynamisierung durch den spitzen Winkel im freien Linienspiel der 60er Jahre verliert, um in den 70er und 80er Jahren wieder zurück zur präzisen Balance von Waag- und Senkrechte zu finden. In der voll verglasten Halle ist es schlechterdings nicht möglich, die Arbeiten ohne das Wechselspiel von Licht und Schatten und der Farben und Formen der rundum sich auftürmenden Natur wahrzunehmen. Durch diese vielfältigen Bezüge entsteht eine dichte  Konzentration, die den Raum belebt und tatsächlich ausfüllt.

Zwei der  insgesamt vier großen Außenplastiken sind in unmittelbarer Nachbarschaft platziert und erlauben einen direkten Vergleich. Und veranschaulichen souverän, dass im Großen dieselbe Leichtigkeit möglich ist wie im Kleinen. Raumbeherrschung hat hier nichts mit Monumentalität zu tun, sondern mit sehr subtiler, man möchte meinen, millimetergenauer Austarierung. Ein geradezu didaktisches Exempel zum Thema Präsentation liefert die „Raumplastik Große Fließende H“ (1969), die von ihrem ursprünglichen Standort am Düsseldorfer museum kunst palast hierher verpflanzt wurde, wo sie – mit neuem, sehr viel niedrigerem Sockel ausgestattet – endlich zu ihrer vollen Entfaltung findet. Völlig anderer Natur sind die in einem einzigen dicken Strang gebündelten Energien der „Raumplastik Große Kurve, 2/1980“, die sich vis-à-vis der Villa Waldfrieden aus der Rasenfläche emporrichtet. Sie nimmt die  fließenden Formen der vom Farbfabrikanten Kurt Herberts 1948 erbauten, anthroposophischen Architektur auf und setzt ihr doch die Härte des Edelstahls entgegen. Ob sie als Dauerleihgabe bleiben kann, wie Thomas Schüttes nicht unweit davon platzierte Bronze „Vater Staat“, ist ungewiss.

Auf dem wohltuend sparsam mit Skulpturen besetzten, hügeligen und größtenteils bewaldeten Gelände kommt eine Arbeit nur zur Aufstellung, wenn sie ihren idealen Platz gefunden hat. Der unermüdliche Tony Cragg denkt schon an Erweiterung des Geländes und auch eine zweite Ausstellungshalle ist geplant. Hier geht es nicht „nur“ um Skulptur, sondern um den Raum, der sich im Dialog zwischen Kunst, Landschaft und Architektur eröffnet. Diese ganzheitliche Sichtweise scheint jetzt auch in Köln auf den Weg gebracht, wo Friedrich Meschede mit seiner Neugestaltung des Stoffel´schen Skulpturenparks unter anderem durch einen neu errichteten Gartenpavillon (Architekt: Sou Fujimoto) die strukturelle Gliederung des schwierigen innerstädtischen Geländes ins Visier nimmt. Auch wenn sich das Kölner Modell durch ein anderes, stärker an der Vielfalt der Positionen orientiertes Konzept ausweist, zeigt der Vergleich einmal mehr, dass weniger nicht nur mehr sein kann sondern den Skulpturen auch nicht gedient ist, wenn sie den Blick in die Landschaft versperren.

In Wuppertal werden übers Jahr immerhin rund 30.000 Besucher gezählt, die teilweise auch von den Konzertreihen zu zeitgenössischer klassischer Musik und Free Jazz angezogen werden. Die aktuelle Ausstellung ist bereits die siebte seit der Eröffnung des Skulpturenparks im September 2008. Nach Mario Merz, Eduardo Chillida, Jean Dubuffet, John Chamberlain, Richard Long, Jean Tinguely und eben Norbert Kricke freut sich der Hausherr schon darauf, in Zukunft mit jüngeren Positionen eine neue Richtung einzuschlagen.

Sabine Elsa Müller


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