Besprechung Neuerscheinung: Artur Żmijewski »Körper in Aufruhr«

Besprechung
Neuerscheinung: Artur Żmijewski »Körper in Aufruhr«


Gespräche mit Künstlern, Hrsg.: Berliner Künstlerprogramm/ DAAD und CSW Kronika, Bytom. Berlin 2011. 360 S. mit ca. 100 Abb., brosch.

Die Ratlosigkeit über das Nichtfunktionieren der gesellschaftlichen Bezüge der 6. Berlin Biennale unter der Leitung von Kathrin Romberg war noch nicht verflogen, da wurde schon der Leiter der nächsten Biennale bekannt gegeben: Artur Żmijewski, ein der deutschen Öffentlichkeit aus zahlreichen Ausstellungen bekannter polnischer Künstler. Auch er ist an gesellschaftlichen Bezügen der Kunst interessiert. Doch was für ein Unterschied.

Während sich Romberg auf eine kritische Beschreibung der Realität, auf dokumentarische Verfahren mit einem Hauch von institutioneller Kritik verließ, bevorzugt Żmijewski theatralische Inszenierungen, soziale Experimente und Bilder, die bis dahin undenkbare Assoziationen hervorrufen. Das wird bereits aus der von ihm zusammengestellten und nun auch ins Deutsche übersetzten Publikation „Körper in Aufruhr, Gespräche mit Künstlern“, deutlich, die – wie man hoffen möchte – einiges der kommenden Biennale vorwegnimmt.

Bereits in Polen veröffentlicht, ist dieses lesenswerte Buch eine Sammlung von Interviews, die Żmijewski mit seinen polnischen Kollegen und Kolleginnen innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre führte. Fünfzehn sind es, darunter auch der Lehrer von Żmijewski, der polnische Bildhauer Grzegorz Kowalski. Seit 1985 unterrichtet Kowalski an der Warschauer Kunstakademie. Sein unorthodoxer Unterricht und vor allem seine Meinung, ein Künstler solle in der Lage sein, auch in einem Zustand extremer Unsicherheit und Instabilität und selbst bei fehlender Unterstützung produktiv zu bleiben, zog in einem Land, in dem es kaum Unterstützung für junge Kunst gibt, viele an. Es ist kein Zufall, dass zahlreiche der heute bekannten polnischen Künstler und Künstlerinnen aus seiner Klasse kommen.

Den Gesprächen vorangestellt ist Żmijewskis Essay mit dem bezeichnenden Titel „Angewandte Gesellschaftskunst“. In Polen hat dieser Text Diskussion hervorgerufen und man möchte hoffen, dass er auch in Deutschland nicht unbemerkt bleibt. Er ist als eine kritische Auseinandersetzung mit der von vielen Künstlern, Kritikern und vor allem Kuratoren gepflegten Praxis der Fetischisierung ihrer Aktivitäten angelegt. So warnt Żmijewski vor der Forderung nach „ideologischer Sauberkeit“, weil sie die Kunst dadurch aus dem gelebten Leben hinauskatapultiert.


Auch die Institutionskritik ist ihm nicht geheuer. „Institutionskritiker haben die Kontrolle über die Definition der Interessensgebiete der Kunst übernommen“, schreibt er, wofür sie jedoch mit ihrer Wirkungslosigkeit bezahlt haben. Einige Strategien der Kunst, wie die der Skandalisierung und der Provokation haben sich seiner Meinung nach längst gesellschaftlich etabliert. Doch wie kann die gesellschaftliche Wirksamkeit der Kunst zurück gewonnen werden? Indem die Kunst zum „Virus“ wird und so den gesellschaftlichen Körper wie bei einer Infektion zwingt, Gegenstoffe zu entwickeln. Infektionen sind für Żmijewski grundsätzlich zu begrüßen, weil sie „eine Vorstellung von Veränderung, von Einflussnahmen in Gang setzen.“ Durch den Einsatz von Intuition und Fantasie wird Kunst zu einem solchen Virus.

„Soll (die Kunst) eine politische Diskussion führen,“ fragt Żmijewski, „die dem philosophischen oder soziologischen Diskurs immer unterlegen bleiben wird? Die Antwort heißt: Ja, sie soll eine solche Diskussion führen. Eine wertvolle Diskussion, die sich anderer Strategien zu bedienen weiß und mit der Intuition, der Imagination und der Vorahnung per Du ist.“ Und  weiter: „Die Kunst ermöglicht es den Menschen, ähnlich wie die Psychoanalyse, auf einer unbewussten Ebene an jenen Problemen zu arbeiten, an denen bewusst zu arbeiten sie noch nicht bereit sind“.

Diesem Essay folgen mehrere Interviews mit dem Künstler Paweł Althamer, der sich als Künstler mit seinen Werkstätten für an Multiple Sklerose Erkrankte oder für Kinder der sozialen Herausforderung immer wieder stellt. Außerdem mit Zbigniew Libera, einem Künstler, der mit 20 Jahren seine sterbende Großmutter pflegte, seine Pflege mit der Kamera dokumentierte und so die Kunst um einen überwältigendes Zeugnis von Verfall, Intimität, Zärtlichkeit aber auch Ekel und Abneigung bereicherte. Leider noch wenig bekannt in Deutschland ist die Künstlerin Katarzyna Kozyra, deren Filme und Aktionen der Frage nach sexueller, gesellschaftlicher und sozialer Identität der Körper schonungslos nachgehen. Selten spricht jemand so offen über diese Fragen.

Überhaupt sind die Gespräche, die Żmijewski in dieser Publikation führt, sehr schonungslos. Über Gott, den Tod, die Religiosität, die Ängste, das Ausscheiden und immer wieder über die Sexualität, aber auch über Kinder – Althamer beispielsweise ist mehrfacher Vater – wird hier gesprochen. Tabus scheinen diese Künstler und Künstlerinnen kaum zu kennen, wohl aber ein Bedürfnis nach Religiosität oder – wie Żmijewski auch sagt, „nach einem Gefühl von Transzendenz“. Und eines kann man ihnen ganz bestimmt nicht absprechen: Die Sorge um einen sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft, in der sie leben. Dabei ist ihnen, wie auch dem Leiter der kommenden Berlin Biennale eine Fetischisierung der eigenen Aktivitäten fremd. Man darf  auf die Biennale gespannt sein – eine Vorahnung, wie sie sein könnte, gibt diese Publikation allemal.

Noemi Smolik


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