Neu aber nicht für immer im Museum Ludwig


Sabine Elsa Müller über „Not Yet Titled. Neu und für immer im Museum Ludwig“, Louise Lawler „Adjusted“, Museum Ludwig, bis 26.1.14 und den unerwarteten Weggang von Philipp Kaiser

Während man gerade noch an diesem Text über die neuen Ausstellungen im Museum Ludwig schreibt, ist es schon wieder passiert: Der Direktor des Museum Ludwig erklärt, Ende Februar 2014 nach nur einem Jahr sein Amt niederzulegen. Noch ein Hoffnungsträger weg! Karin Beyer, Andreas Blühm, Søren Grammel – alle schmissen. Letzterer ebenfalls sehr überraschend und nach nur kurzer Zeit im Kölnischen Kunstverein. Schnell ist der berühmte Satz von den Ratten parat, die das sinkende Schiff verlassen. Aber wie vergleichbar sind diese Weggänge tatsächlich? Zugegeben, die Stadtoberen behandeln die Kultur nicht immer gut. Aber hatte Kaiser Grund zur Klage? Dergleichen ist nicht bekannt. Nein, die Stadt selbst soll schuld sein, unser geliebtes Köln! Das trifft schwer.

Was steckt also dahinter? Kann es wirklich sein, dass Philipp Kaiser seinen Job „nur“ aufgibt, um seiner Frau und seinen beiden Töchtern nahe zu sein, die in Köln nicht heimisch wurden und nach Amerika zurückgekehrt sind, wie der Express berichtet? Dass er tatsächlich die Familie über seine beruflichen Ambitionen stellt? Wenn dem so ist, würde er damit eine Zeitenwende einläuten. Sicherlich, einfach ist es nicht für die Familien der kreuz und quer die Länder wie die Orte ihrer Tätigkeit wechselnden Kuratoren und Museumsleute. Aber das war eben der Preis. Ließ nicht die Furcht vor dem Karriereknick so manchen die eigenen Zweifel beiseite wischen, mehr oder weniger bewusst das Risiko, dass die Familie letztlich auf der Strecke bleibt, in Kauf nehmend? Vielleicht sind die Fälle, in denen eine lukrative Position zugunsten eines intakten Familienlebens ausgeschlagen wurde, gar nicht so selten. Aber hat man im angeheizten Klima des internationalen Direktorenkarussells schon davon gehört? Und wenn, waren es bisher nicht eher die Frauen, die zurückruderten?

Leicht kann Philipp Kaiser der Abschied aus Köln dennoch nicht fallen. Oder sagen wir besser – der Abschied vom Museum Ludwig. Es ist keine Kleinigkeit, ein solches Haus von Grund auf umzukrempeln, wie es ihm in seiner kurzen Amtszeit seit dem 1. November 2012 gelungen ist. Und vor allem: Der Erfolg blieb nicht aus. Die Besucher kamen zahlreich, die Presse berichtete durchaus positiv. Wir reihen uns ein, auch wenn dieser Lob-, an dieser Stelle also zum Abgesang wird. Die beiden noch bis zum 26. Januar 2014 laufenden Ausstellungen sollte man wirklich nicht verpassen!

Die überraschende komplette Schließung des Museum Ludwig für gut einen Monat zur Neuordnung der Sammlung war schon ungewöhnlich genug und gab einen Vorgeschmack von der konsequenten Vorgehensweise des neuen Direktors. Als am 10. Oktober Neupräsentation und Louise-Lawler-Ausstellung gemeinsam ihre Tore öffneten, wurde schnell klar, dass die Erwartungen nicht zu hoch gesetzt waren. Etwa die Hälfte der Exponate wurde ausgetauscht, aber auch seit langem vertraute Arbeiten erscheinen in neuem Licht. Nichts blieb an seinem angestammten Ort. Davon profitiert besonders die Pop Art, die aus dem Untergeschoss nach oben ins 2. OG wanderte. Und mit Louise Lawlers „Adjusted“ liefert er den Kommentar zur Ausstellung gleich mit. Lawler (geboren 1947 in New York, wo sie auch heute noch lebt) tritt auf als Kronzeugin, die oft ironisch, aber auch kritisch, in jedem Fall erhellend ihre eigenen Beobachtungen beisteuert. So dass sich die Neupräsentation von Anfang an nicht als ein „von höheren Wesen“ festgelegter Kanon der relevanten Kunst des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts vorstellt, sondern als Möglichkeit, als sinnstiftende Auswahl, die durch die Verkettung vieler kleiner und großer Geschichten, Zufälle und Synergien so zustande kam und auch ganz anders hätte aussehen können.

Lawler eröffnet die lange Galerie ihrer Fotografien mit einer Arbeit zu einem der bekanntesten Werke des Museum Ludwig, Andy Warhols „Do It Yourself (Landscape)“ von 1962. Der Titel, „16“, bezieht sich auf die Zahl, die im Bildausschnitt die linke obere Ecke markiert. Warhols „Malen nach Zahlen“-Adaption hat sich soweit aus dem Bildzentrum herausgeschoben, dass die leicht ramponierte Rahmenleiste fast in die Bildmitte rutscht. Das klobige Museumsschild rechts daneben konkurriert nicht nur in semantischer Hinsicht mit dem zahlengespickten Gemälde. Lawlers Schnappschuss von 1985 – aus der Zeit, als die Ludwig-Sammlung noch in den alten Räumen An der Rechtsschule, dem heutigen Museum für Angewandte Kunst untergebracht war – ist viel mehr als eine ironische Zurschaustellung des bedauernswert lieblosen Umgangs mit den eigenen Schätzen. Er dokumentiert eine Auseinandersetzung mit Warhols Werk, seiner Art der Appropriation, indem sie ihn bis hin zur lapidaren Betitelung imitiert und damit gleichsam wieder in den Bereich der Massenkultur zurückführt. Spätestens bei der Begegnung mit dem „Original“ in der Pop Art Abteilung zwei Etagen höher wird diese zugespitzte Sichtweise dazu beitragen, dass sich die Wertigkeiten und Unterscheidungen von Original und Fälschung eine gründlichere Überprüfung gefallen lassen müssen.

Auf der zweiten Etage gibt es nicht nur so verblüffende Wiederbegegnungen wie mit Edward Kienholz´ „Portable War Memorial“ von 1968: Die Arbeit ist so positioniert, dass man ihr ganz unerwartet unvermittelt gegenübertritt und von dem schaurigen 1:1 Kriegs-Szenario mit voller Wucht getroffen wird. Irene und Peter Ludwigs einzigartige Sammlung amerikanischer Pop Art der fünfziger und sechziger Jahren kreist nicht länger nur um sich selbst und ihre raunende Berühmtheit. Es sind ja alles Ikonen, diese Warhols und Rauschenbergs, Johns und Lichtensteins. Philipp Kaiser holt sie von ihrer etwas angestaubten Höhe herab und bringt sie zum Sprechen, indem er Beziehungen herstellt. Vor der weit ihre Flügel ausbreitenden Kartonassemblage „Radiant White“ von Robert Rauschenberg (1971) wirkt Marcel Duchamps sich ewig um die eigene Achse drehendes Fahrradrad (1964) sehr intim und auf sich selbst fokussiert. Andy Warhols Siebdrucke von Elvis oder Jacky zeigen eine erschreckende Verletzlichkeit in ihrer direkten Nachbarschaft zur pink-gelben Affirmationsästhetik seiner Kuhtapete.

Aber nicht nur die Werke treten in Dialog – sie beziehen die Besucher in diese Relativierungen mit ein. Philipp Kaiser, der von seinem Posten als senior curator am Museum of Contemporary Art von Los Angeles nach Köln wechselte, blickt aus einer konzeptuellen, sehr genau auf formale Bezüge und präzise Präsentation achtenden Perspektive auf die Kunst. Dass Film und Fotografie nicht nur bei den jüngsten, von ihm selbst verantworteten Ankäufen, sondern auch in der Gesamtpräsentation ein größeres Gewicht erhalten, entspricht dem zeitgemäßen Standard. Die nun wirklich nicht mehr neuen „Neuen Medien“ machen den klassischen Medien den Rang aber keinesfalls streitig. Fotografie, Video, Installation, Malerei und Skulptur bestehen gleichberechtigt nebeneinander und miteinander. Ein paar eher abseits liegende, kleinere Räume in der ersten Etage bringen das auf den Punkt. Martin Kippenberger und Monika Baer beschäftigen sich durchaus mit Malerei, aber ihre Bilder geben sich ironisch gebrochen und transportieren ihre eigene Infragestellung gleich mit. Auf dem großen Triptychon von Georg Herold imitieren Kaviarkügelchen und wolkige Zahlenkolonnen den malerischen Gestus. Rosemarie Trockel ist mit Arbeiten auf Papier vertreten, aber auch mit wichtigen Beiträgen zur Skulptur wie ihrem herdplattenbestückten minimalistischen Kubus „6 Richtige“ (1988) oder „Arm“ von 2005. Vieles aus dieser Abteilung, zu der außerdem Marcel Odenbachs Video „Sich selbst bei Laune halten“ aus dem Deutschen Herbst 1977 und die berührende Videoinstallation „Ich werde der Letzte sein“ (2009) von Kai Althoff gehören, stammen aus Ankäufen der Ära König, wurden aber noch nie gezeigt.

Eine weitere Künstlerin aus der Generation von Louise Lawler, die 1945 in New Jersey geborene Barbara Kruger, erhält ebenfalls einen großen Auftritt. Ihre multimediale Installation von 1994/95 ist in den überdimensionierten Oberlichtsaal in der 1. Etage eingezogen, der als „Heldensaal“ einstmals den sogenannten Malerfürsten Baselitz, Immendorff oder Penck zugedacht war. Jetzt ist der gesamte Raum mit den für Kruger typischen grob gerasterten Medienbildern in schwarzweiß und den blockhaften Schriftbändern auf rotem Grund ausgekleidet. Aus Lautsprechern prasseln Hetz- und Hasstiraden auf den Besucher herab, unterbrochen von hymnischen Musikfetzen. „We are the People“ schallt es herab, „All they care about is money“ ist der zynische Kommentar der Schlagzeilen dazu.

Der großzügige, auf etwa eine Million Euro im Jahr geschätzte Ankaufsetat lässt viel Spielraum, um den noblen Bestand weiter auszubauen. Unter den Neuankäufen findet sich vieles, das nicht taufrisch aus den Ateliers weggekauft wurde, sondern schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Vor allem die siebziger Jahre werden von Kaiser neu bewertet. Dazu gehören die Foto- und Diaserie von Candida Höfer, „Türken in Deutschland“ von 1973-78 oder Allan Sekulas 25 Tintenstrahldrucke zur Kultur der Arbeit von 1972. Im leer geräumten Untergeschoss wurde Platz geschaffen für einen erratischen Block, der für einen Moment die Zeit anhält im Strudel der Eindrücke. Michael Heizers Großprojektion „Actual Size (Elsinore)“ von 1970 zielt auf unbewegliche Konfrontation. In Lebensgröße stellt sich ein riesiger Findling dem Besucher entgegen und lässt eine Ahnung von der Größe der Natur aufkommen. Die Wirkung dieser Arbeit hat sich seit 1970 sicherlich beträchtlich potenziert in dem Maße, wie die Entfremdung des Menschen von der Natur zugenommen hat.

Am anderen Ende des Parcours bildet die 2-Kanal-Installation „All that Is Solid Melts into Air“ (2008) von Mark Boulos den vorläufigen Abschluss. Gezeigt werden zwei Lager, die an weit voneinander entfernten Punkten der Welt in den Kampf um die Kontrolle der Ölreserven verwickelt sind. Auf der einen Seite Händler der Finanzzentrale in Chicago an einem entscheidenden Tag, dem ersten Tag der Kreditkrise 2008. Direkt gegenüber Fischer aus Nigeria, die einer militanten Gruppe zur Befreiung des Niger Deltas von den Öl-Konzernen angehören. Die beiden Gruppierungen werden in dieser Gegenüberstellung zu Gegnern auf Augenhöhe, deren Kampf gleichwohl auf beiden Seiten zum Scheitern verurteilt zu sein scheint.

Philipp Kaiser, Jahrgang 1972 und mit Abstand der jüngste Direktor in der wechselvollen Geschichte des Hauses, hat den Anschluss an die Gegenwart vollzogen. Das Hier und Jetzt präsentiert sich selbstbewusst, bereichert um das Wissen von der eigenen Geschichte. Etwas geht zu Ende und etwas Neues beginnt. Wünschen wir dem scheidenden Direktor, der nach so kurzer Zeit unseren Blick auf die Sammlung des Museum Ludwig nachhaltig verändert hat, viel Glück!


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