Besprechung Modell Kunstverein

Besprechung
Modell Kunstverein


Magdalena Kröner über „Modell Kunstverein“ im Neuen Aachener Kunstverein, bis 8. März 2015

In jüngster Zeit ist viel über die deutschen Kunstvereine geschrieben worden, und das, was geschrieben wurde, war nicht gut. Die zunehmende Nähe zum Kunstmarkt wurde moniert und unlautere Strategien entlarvt: die Terminierung von Ausstellungen im Umfeld wichtiger Messen, Übernahme von Kosten oder Logistik durch Galerien. Mancher titelte nüchtern „Man braucht sich“ aber auch die bange Frage „Quo vadis, Kunstverein?“ wurde laut.

Die Aachener Ausstellung „Modell Kunstverein“ kommt also genau zum richtigen Zeitpunkt: die historische Legitimation der im frühen 19. Jahrhundert gegründeten Kunstvereine als bürgerliches Gegenmodell zum vorherrschenden Adelsgeschmack ist längst passé; Deutschlands mehr als 300 Kunstvereine müssen mit immer weniger Geld auskommen und in zunehmender Konkurrenz zu Kunsthallen und Museen arbeiten, die ebensosehr um die sogenannt „junge“ Kunst buhlen wie sie selbst. Das Ganze geschieht zudem in einer immer stärker internationalisierten Szene mit einem globalen Appetit auf Zeitgenössisches, was Kosten- und Wettbewerbsdruck zusätzlich erhöht. Vor diesem Hintergrund versucht Leiter Ben Kaufmann nun eine kritische Positionsbestimmung der international einzigartigen deutschen Institution Kunstverein.

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Ausstellungsansicht „Modell Kunstverein“ Neuer Aachener Kunstverein, 2015

Das Zentrum der Ausstellung bildet das Projekt „Eine Gesellschaft des Geschmacks“ der amerikanischen Künstlerin Andrea Fraser. Die wurde damit bekannt, sich quasi als Geheimagentin in die Strukturen der Kunstszene zu begeben, um sie von innen heraus zu entlarven. Im Jahr 1993 befragte sie die Vorstandsmitglieder des Münchener Kunstvereins auf künstlerische und ästhetische Vorlieben hin und machte aus den anonymisierten Aufzeichnungen eine Toncollage. Sie lieh sich außerdem Kunstwerke aus dem Besitz der Mitglieder aus und fügte daraus eine Ausstellung zusammen, die ein kritisches Portrait der Institution zeichnete.

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Art & Language, 2012, Courtesy Künstler, Galerie KadelWilborn, Düsseldorf

So spezifisch wie Frasers, auf das System Kunstverein gerichtete Arbeit sind die anderen, hier gezeigten Positionen nicht, die sich aus unterschiedlichen Warten der Institutionskritik widmen: so haben Art & Language eine Karaoke-Bühne eingerichtet, die die üblicherweise passiven Betrachter von Kunst im White Cube animieren soll, aktiv zu werden. Doch niemand singt in die bereitgestellten Mikrofone. Gegenüber hängen vollgekritzelte Zettel des britischen Künstlerkollektivs BANK an der Wand: Einladungen zu Ausstellungen in Galerien, im MoMA oder P.S.1, die jemand mit respektlosen Kommentaren versehen hat. Das ist unterhaltsam und witzig, aber es macht die kritische Folie, die man hier um das Thema spannen will, auch ein wenig unscharf: Kann es sein, dass es außer Frasers mittlerweile mehr als zwanzig Jahre alten Arbeit keine künstlerische Position gibt, die sich kritisch mit dem Modell Kunstverein auseinandersetzt? Was ist da los?

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BANK, 1990-98, Courtesy Artists and Galleria Norma Mangione, Turin

Zu froh scheinen Künstler heutzutage zu sein, überhaupt in einem Kunstverein gezeigt zu werden. Schließlich gilt die erste institutionelle Ausstellung eines Künstlers immer noch als Prädikat, das sich zumeist ohne Umwege in Preissteigerungen des eigenen Werks übersetzen lässt. Zu wichtig ist die Station Kunstverein auch für Kuratoren. Ob Bonn, Berlin, Frankfurt oder Köln: fast alle Chefs wichtiger deutscher Museen haben einst einen Kunstverein geleitet. Will sich hier also niemand mit niemandem anlegen?

Für Aufschluß zum Selbstverständnis sorgt die Videoaufzeichnung einer Diskussion, zu der Søren Grammel, damals Kurator des Münchner Kunstvereins, im Jahr 2003 rief. Die Fragen, die hier laut wurden, gelten nach wie vor: Arbeitet das System Kunstverein darauf hin, bestimmte Teile des Publikums auszuschließen, wenn es sich selbst dem verschreibt, was einigermaßen gestrig, aber nach wie vor mit „Avantgarde“ benannt wird? Operieren Kunstvereine gar inzestuös, wie eine Kritikerin es nennt? Und stimmt es, dass die Vorstandsmitglieder eines Kunstvereins, wie ein Ästhetikprofessor bemerkt, am liebsten nach der Devise „Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“ handeln? Und womit, fragt ein früheres Vorstandsmitglied, erreicht man eigentlich ein breites Publikum? Und will man das überhaupt?

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Ausstellungsansicht „Modell Kunstverein“ Neuer Aachener Kunstverein, 2015

In Aachen wimmelt es vor Thesen, Fragen und Kommentaren, doch es ist die gezeigte Kunst, die am deutlichsten etwas über die Zwänge aussagt, denen ein Kunstverein heute unterworfen ist, über die Nähe zum Kunstmarkt und über die Macht und vor allem ebenjenen Geschmack der Sammler, den Andrea Fraser kritisierte. In offensiv selbstreferentiellem Gestus verweist eine Wandschrift in der Ausstellung auf die „Twodo Collection“, eine Sammlergruppe, die den Neuen Aachener Kunstverein finanziell unterstützt. Die 24 Mitglieder der Gruppe einigen sich jedes Jahr auf einen gemeinsamen Ankauf; in diesem Jahr eine Serie des 1978 geborenen Künstlers Manuel Graf. Der hat sich von den „Twodo“-Sammlern Möbel und Kunstwerke ausgeliehen und kombiniert diese mit Flatscreens, auf denen knallige Computeranimationen zu sehen sind, zu einer Art universell anschlussfähiger Designkunst. „Doppelgaenger“ heißt die Serie, die den meisten Raum in der Schau einnimmt. Die offensichtliche Nähe zu Andrea Frasers Arbeit von 1993 ist verblüffend, nur dass der kritische Impuls von damals nun ins rein Affirmative gedreht wird. Was als selbstbewusste Offenlegung der Strukturen gemeint war, entlarvt das „Modell Kunstverein“ auf denkbar ungute Weise, zeigt sie doch, wie die künstlerische Auswahl in Kunstvereinen heute beeinflusst wird und was dabei herauskommen kann.

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Manuel Graf, TWODO Serie Doppelgaengers, 2015, Courtesy Künstler, TWODO Collection und Van Horn, Düsseldorf

Vor lauter flirrenden Monitoren und lärmenden Animationen droht denn auch fast die beste Arbeit der Schau, übersehen zu werden. Ganz hinten im ersten Stock läßt sich der Film „Entropy“ entdecken, für den die Künstler Michael Franz und Nadim Vardag im Jahr 2012 einen Kunstvereinsleiter, Künstler und Kritiker als Besucher auf einer Party inszenieren. In holprigem Gestus sagen die Laiendarsteller Sätze auf, die aus der Feder von Marguerite Duras, Bret Easton Ellis oder Thomas Pynchon; aus Interviews oder Songs stammen. Es geht um Entropie und Chaos und Ordnung, es klingt wahnsinnig wichtig, aber eigentlich geht es um gar nichts. „Phänomene treten nie vereinzelt auf, sie stehen immer in Beziehung zueinander“, hört man. Jemand sagt: „Ausgehend von der Vermutung, dass unser Universum ein geschlossenes System ist, bedeutet es, dass alles Leben irgendwann endet.“ Irgendwann bemerkt einer: „Am Ende ist alles eine Frage des Stils.“ Und plötzlich schließen die nur scheinbar hermetischen und sinnentleerten Sätze ein paar Kreise beim Nachdenken über die Situation der deutschen Kunstvereine.

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Michael Franz & Nadim Vardag, Entropie, 2012 (HD Film, SW, Ton, 12 min.), Courtesy: Künstler, Georg Kargl, Wien. Foto: M. Kröner

Am 28. Februar findet im NAK um 19 Uhr die Diskussionrunde  „Der Kunstverein – Anachronismus und Zukunftsmodell im Kunstbetrieb“ statt. Teilnehmer sind Sandra Dichtl (Künstlerische Leiterin Dortmunder Kunstverein), Hans-Jürgen Hafner (Direktor Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf), Lars Heller (Agentur Heller & C), Dr. Renate Puvogel (Kritikerin), Dr. Holger Kube Ventura (Direktor Frankfurter Kunstverein, 2009-2014). Moderation: Dr. Astrid Mania / Der Eintritt ist frei.

Magdalena Kröner lebt und arbeitet als Kunstkritikerin (u.a. für Frankfurter Allgemeine Zeitung, frieze, Monopol, Modern Painters) und Autorin in Düsseldorf und New York.


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