Besprechung
Mission: Kunststaat statt Staatskunst


„Nur hier“, Sammlung zeit-
genössischer Kunst der Bundes-
republik Deutschland in der Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn, bis 14. April

„Hier ist das Geld, jetzt machen Sie mal was damit!“ Wahrscheinlich war das nicht der Wortlaut, mit dem Anne-Marie Bonnet, Hans-Jörg Clement, Yilmaz Dziewior und Ingrid Mössinger in ihr Amt eingesetzt wurden. Ihre Aufgabe läuft aber ungefähr auf diesen Imperativ hinaus. Denn dieses Team aus einer Professorin, zwei Museumsleuten und einem Stiftungsvertreter bildete in den vergangenen Jahren die sogenannte Ankaufskommission der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland. Diese seit 1970 aufgebaute staatliche Sammlung hat keinen festen Ort, sondern verleiht ihre Stücke an Bundeseinrichtungen und Museen. Eine Artothek auf höherem Niveau sozusagen, die natürlich keinen geringeren Anspruch hat als „ein Spiegel der aktuellen nationalen und internationalen Kunstproduktion in Deutschland“ zu sein.

 

Rund zwei Millionen Euro hatten die Experten zur Verfügung. Für unsereins ist das zweifellos viel Geld, aber es ist kein Geheimnis, dass man mit dieser Summe auf dem Kunstmarkt nicht mit investitionswilligen Oligarchen konkurrieren kann. Ein vielleicht angenehmer Nebeneffekt dieser Begrenzung ist es, dass die unvermeidlichen Staatskünstler wie Baselitz oder Richter – der immerhin schon riesige schwarz-rot-goldene Tafeln in den Eingangsbereich des Bundestags hängen durfte – in der Sammlung kaum vertreten sind. Aus dem Fundus der 234 Werke, deren Ankauf die Kommission in ihrer von 2007 bis 2011 dauernden Amtszeit befürwortete, werden in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle 100 Werke von 78 Künstlerinnen und Künstlern gezeigt.

Positiv in Rechnung stellen darf man der Kommission, dass die früher noch erwartbare Flachware, sprich selbstgenügsame oder auch großformatig-heroische Malerei, ihre Auswahl keineswegs mehr dominiert, obwohl die doch für den bundeseigenen Leihverkehr sicher bevorzugt werden würde. Unhierarchisch, ohne Zentrum und Mitte ist die Bonner Ausstellung, und womöglich ist das ihre Stärke. Nicht nur, dass so die Pluralität, die vielleicht einzige eindeutige Eigenschaft der gegenwärtigen Kunstproduktion, zu ihrem Recht kommt. Bemerkenswerterweise hat man bei den Korrespondenzen und Beziehungen, die sich hier zwischen den einzelnen Werken ergeben, oft das Gefühl, sie resultierten eher aus den Bewegungen der Kunstproduktion, die in der Ausstellung nun ungeplant und ihrem jeweiligen Bedeutungsüberschuss auch gar nicht einplanbar aufeinanderstoßen, als aus einer didaktisch angelegten Auswahl.

Schon vor der Einlasskontrolle stößt man auf den „Carpet“ von Michael Beutler. Das Werk darf, so erfährt man im Wandtext, je nach Ausstellungszusammenhang unterschiedlich drapiert werden und versteht sich so als großformatige Frage- und Problemstellung an den Kuratorenberuf. Im Bonner Museum lappt der grobe Stoff nun dem die Treppe hinaufkommenden Besucher entgegen und kann als Beteuerung der Macher verstanden werden, man wisse schon darum, wie problematisch solche Überblicksausstellungen sein können.

 

Ansonsten steht Historizität hoch im Kurs, dabei neben Grundsatzfragen und dem Thema Nationalsozialismus besonders auch die DDR, so als ob der Bund hier immer noch etwas nachzuholen hätte. Bemerkenswert weit über sich selbst hinaus weist der Linoldruck „Brandt / Guillaume“ von Thomas Kilpper. Der Künstler schnitt Bilder wie dieses direkt in den Fußboden eines ehemaligen Staatssicherheitsgebäudes. Diese am Ort vollzogenen Eingriffe wurden dann zu Druckvorlagen für bewegliche Bilder, wie das in der Ausstellung gezeigte. Ein nicht weit davon zu sehender Lichtkasten von Ecke Bonk mit einem spektakulär aufpolierten realsozialistischen Gefährt („Trabant E Klasse – Solve et Coagula“) lässt ungeklärte Fragen über das Verhältnis von geteiltem und vereinigten Deutschland wieder an die Oberfläche kommen.

Im Spannungsfeld DDR bewegt sich ebenso Ulrike Kuschels konzeptuelle Arbeit „Im Gedenken an“. Sie besteht aus einer dicht gehängten Sammlung von Kalenderblättern aus DDR-Zeitungen, an denen nachvollzogen werden kann, wie über die offiziellen Medien eine Vielzahl von sozialistischen Feier- und Gedenktagen im Bewusstsein verankert werden sollte. Als knappen, nachträglichen Kommentar hat Kuschel allerdings noch die Namen von Opfern des Regimes in die Zeilen gesetzt. So wie Kuschels Kalenderkolummnen an Hanne Darboven erinnern können, mag auch Sven Johnes nagelbewehrte Bilderreihe „Demmin“ das Wiedererkennen einfordern („Wenn das mal kein Uecker-Schüler ist“, sagt ein Ausstellungsbesucher zu seiner Begleitung). Doch auch hier wird die modernistische Praxis zielstrebig überschrieben: Erst bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die schwachgrauen Schatten, die auf dem Leinwandgrund die Johneschen Nägelschwärme umfloren, Landkartenausschnitte sind. Die Nägel visualisieren hier symbolisch die Selbstmordfälle in einer mecklenburgischen Ortschaft zum Kriegsende 1945.

Harun Farockis Zweikanalvideos der Serie „Ernste Spiele“ beschäftigen sich mit Krisenschauplätzen der Gegenwart, genauer gesagt mit den Einsätzen von US-Soldaten und deren videospielgestützer Vor- und Nachbereitung. Hier ist zu sehen, wie ein Ausbilder gewissenhaft Talibanfiguren im Gelände platziert, die die jungen Marines anschließend bekämpfen dürfen. Als einer der alliierten Kombattanten den virtuellen Tod stirbt, wird das lakonisch kommentiert („Watson is down“, auch der Titel eines der Videos) – es ist halt nur ein Spiel, noch. Daneben ist Farockis Arbeit so etwas wie Medienkunst zweiter Ordnung: Es geht nicht nur um die Medialität des Werkes selbst, vielmehr werden Fragen gestellt, die mit den Medien erst in die Welt gekommen sind. Mit Thomas Locher lässt sich das Politische auch im Alltag identifizieren. „Nur hier“ zeigt ein Werk aus Lochers „Politics of Communication“-Serie, er bringt dort typische Anordnungen von Büromobiliar wie die berüchtigte Asymmetrie zwischen Chefsessel und Besucherstuhl ins Bild, begleitet von kommunikationstheoretischen Postulaten. Das ganze erscheint in einer Hinweistafel-Optik, die sich die Insignien des Offiziellen und Abgesicherten aneignet und gleichzeitig zur Disposition stellt.

 

Wie bei den meisten Ausstellungen im Obergeschoss der Bundeskunsthalle übersieht man leicht den Raum gleich links vom Eingang. Im hinteren Bereich des länglichen Saals tut sich aber eine Schlüsselstelle der Ausstellung auf. Hier hängt nicht nur Claus Richters ironische Werbetafel „Solid golden age (3)“, der der lockende Ausstellungstitel „Nur hier“ entnommen ist. Gleich daneben schließt Hans-Peter Feldmanns Serie „100 Jahre“ an, die in ebenso vielen Bildern das Vergehen von Lebenszeit darstellt. Es ist eine so berühmte wie immer noch bedrückende Arbeit des großen Bildersammlers, der das Plakatmotiv der Ausstellung entnommen ist. Obwohl die Ankäufe der Sammlung sich natürlich überwiegend aus der jeweils gerade aktuellen Gegenwartskunst rekrutieren, sagen die wenigen älteren Werke auch etwas über Rezeptionsgeschichten aus. Mary Bauermeister, zuletzt unter anderem durch ein autobiographisches Buch wieder stark im Gespräch, ist mit zwei „Tag in New York“ betitelten Objektkästen vertreten. Mit Ludwig Gosewitz zieht noch ein weiterer lose mit Fluxus assoziierter Künstler in die staatliche Sammlung ein, zu sehen ist hier die präzise arrangierte Buchstabenkolonne „A-E-I-O-U“.

Natürlich kann man aus dieser Ausstellung aber nicht ohne das Gefühl eines vagen Defizits herausgehen, denn es fehlt eben vieles von der Kunst, die zurzeit vielleicht gerade die gegenwärtigste ist. Was ist mit jenen Künstlerinnen und Künstlern, die sich unmittelbar mit Stadt und gesellschaftlicher Dynamik auseinandersetzen oder Sound und Performance zu ihrem Material machen? Wenn die Ankäufe der Kommission tatsächlich hauptsächlich auf den Kunstmessen in London, Basel und Köln getätigt werden, wie es das Begleitmaterial behauptet, dann fiele schon von vornherein aus, was sich nicht gut in einer Messekoje macht. Trotzdem: „Nur hier“ ist ein sehr guter, entdeckungsreicher Querschnitt, der sich den Limitierungen des eigenen Ansatzes stellt. Damit reicht die Ausstellung in mancher Hinsicht weiter, als viele der zeitdiagnostisch gemeinten Großschauen, die zu oft doch nur die privaten Obsessionen ihrer Macher ausstellen.


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