Medusa, Dein Antlitz, ach, vermisse ich

Medusa, Dein Antlitz, ach, vermisse ich


Oliver Tepel über „Medusa – Bijoux et tabous“ im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, bis 5.11.

Ein roter Mund, verführerisch geschwungene Konturen, die Lippen leicht geöffnet. So lockt man auf Plakaten, primäre Reize vor tiefschwarzem Hintergrund. Worum geht es denn? Während ich mich dem Poster nähere, verändert sich der Mund. Vor meinen Augen erscheint die perlweisse Zahnreihe bald als scharfkantiges Haifischgebiss, dann, nach dem Überqueren der Straße ist es zum Antliz eines schaurigen Ekels mutiert, seine Zähne, nun tatsächlich als Perlen erkennbar, will es mir vor die Füße spucken, derweil die Lippen in der kristallinen Kälte geschliffener Saphire erstarren, gleich altem Lippenstift auf rissiger Haut, um alsbald wie Putz von einer Wand zu bröckeln. Grausiger Zerfall des Schönen in wenigen Schritten. Doch Salvador Dalis Brosche illustriert nur die nun zu lesenden Worte „Medusa – Juwelen und Tabus“ – Wenn dies so weitergeht, Schmuck, den man nicht sehen darf oder gar, dessen Anblick man nicht erträgt! Was haben die im Pariser Musée D’Art Moderne da nur für eine faszinierende Ausstellung erdacht?

Reproduction d’une oeuvre de Salvador Dalí par Henryk Kaston, Broche Ruby Lips, années 1970-80 Broche Or 18 carats, rubis, perles de culture Miami, Collection particulière © Photo : Robin Hill

Im schmalen Treppenaufgang flirrt hellrotes Licht, das insektoide Surren in der Luft lässt riesige Libellen erahnen, angstvoll blicke ich nach oben, es sind Neonröhren, sie blenden die Augen. Nein, schau nicht hin! Die Arbeit der schweizerischen Künstlerin Mai-Thu Perret verbildlicht die Gefahr des Antlitz‘ welches nicht gesehen werden darf. Zugleich macht sie klar, daß wir in dieser Konstellation alle Orpheus sind, eben doch vom Reiz des verbotenen Blicks getrieben. Sonst, mal ganz ehrlich liebe Anderen, die sie mit mir durch die weitläufigen Ausstellungsräume gehen, wären wir doch gar nicht hier.

Was wir sehen, sind viele kleine Dinge, etwas eigentümlich in von zwei Seiten begehbaren, aber nur von einer Seite einsichtigen Plexiglasvitrinen präsentiert. Aber was es da alles zu entdecken gibt! Kennen sie den Schmuck, welchen Claus Bury anfertigte, bevor ihn architektonische Großplastiken in der Kunstwelt bekannt machten? Ringe, deren Kopf mal an einen Motorblock, dann an einen Schminktisch erinnern, deren Farben nicht funkeln, sondern klare Akzente setzen und zugleich in rätselhafte, dreidimensionale Strukturen eingefügt sind. Die Macht, die diese Ringe repräsentieren, zeigt sich unmittelbar, zugleich akzentuieren sie jene Albernheit der Überhöhung, der ihren Gestus nur noch gefährlicher erscheinen lässt. Die Gang aus Kubricks „Clockwork Orange“ hätte Burys Kreationen zu schätzen gewusst.

Meret Oppenheim, Bracelet, 1935, Fourrure, métal. Pièce unique. Paris, collection particulière © Meret Oppenheim © ADAGP, Paris 2017

Oder wir sehen eine sehr entzückende gekrönte Mausedame auf einem Ring von Lydia Courteille, sie knabbert an einer goldenen Perle. Daneben eine dem Jugendstil vorgreifende erotische Szenerie, deren Details sich erst im Blick durch ein Vergrößerungsglas offenbaren. Nicht fern davon liegt ein ornamental verzierter Handspiegel aus der Zeit der Incroyables, der ersten modischen Dandys, ein goldbeknaufter Spazierstock ist ebenso zu sehen, beide Objekte erscheinen vielleicht nicht zufällig auch als Waffen verwendbar. Dann reisen wir in die Hochmoderne, Punk, eine vergoldete Sicherheitsnadel, ja da hat die Mode mal wieder einen Trend aus dem Untergrund bestohlen, ach, sie ist auch noch von Cartier! Frechheit! Und, huch, von 1936. Greil Marcus mag diese Brosche vielleicht damals in sein Sinnen über die Beziehung von Dada und Surrealismus zu Punk miteingeschlossen haben. Gegenüber hängt die Gouache eines, an eine Dornenkrone erinernden zarten Diadems vom Maison Fontana, Disteln spriessen aus den dünnen Stengeln des Diademreifs. Eine metallene Brosche von Jay DeFeo auf einem in seiner Kontur berissenen Blatt Papier will gar nicht mehr aus dem Kontext entfernt und getragen werden, sie erinnert an die Avantgarde der 20er und ihre Roboter-Fantasien die in Solange Azagury-Partidges „Secret garden“ zu kleinen Elfen mutierten, unsichtbar für uns bewohnen sie ein winziges, orientalisch inspiriertes Zimmer; Polly Pocket für jenen Zauber, dem erwachsene Kinder erliegen, auf einer Seerose aus Quarz. Ein sich im Spiegel betrachtender Totenschädel führt uns fast zu Claus Bury zurück, doch Manfred Bischoffs philosophische Maschine in Ringform, „René Descartes“ betitelt, ist in ihrer Sinnhaftigkeit leichter zu entschlüsseln. Ganz anders als sein Goldring plus Collage „Die zwei Fragen des Pierre Bonnard“ von 1993, der die Köpfe eines Hasens und eines Schafs im Dialog zeigt, während die Collage aus Kalligraphie, Text und entwurfsähnlichen Zeichnungen ein Rätsel aufgibt, dessen Lösung des langen, sinnierenden Verweilens bedürfte.

Vivienne Westwood Crown, Royal Blue Velvet, Jewelled Crown With Orb and Fur, collection « Gold Label », automne/hiver 2000-2001 Or jaune, or blanc, velours, faux cristaux, perles de plastique, fausse hermine © Vivienne Westwood Ltd

Doch geht es weiter zu einem kleinen mechanischen Musikautomaten aus der Zeit um 1810, dessen Klingen wir nicht hören, der uns aber den Blick auf ein offenbar ebenfalls mechanisch bewegbares Paar beim Tête-à-Tête preisgibt. Und Johanna Stolfis „Collier-casque de relaxation“ von 2010 ist in Wahrheit ein surrealer Kopfhörer, in dessen Muscheln man nichts als das Meer rauschen hören kann (weniger romantische Stimmen meinen, es sei nur das eigene Blut) – der Muschelkopfhörer erscheint wie ein Kommentar zur Compilation „The Fruit of the Original Sin“ auf dem Label Les Disques du Crépuscule von 1981. Klassiker, wie eine Spange in streng zartem Schneeglöckchen Dekor, dessen Perlmuttweiss in ein zartes Grün verläuft und das aggressive Grün des Fruchtstands der Haselnuss in René Laliques Collier „Noisette“ fehlen ebensowenig, wie der Hinweis, daß Lalique, der sich auf Spaziergängen zu seinem Werk inspirieren ließ, nicht nur eine neue Emailliertechnik erfand, sondern den Weg zum Kunstwerk, hier „bijou d’expression personelle“ genannt, längst beschritten hatte.

Faux ongles en palladium et diamants, brevet déposé par Mellerio en 1953 Collection Mellerio © Mellerio

All dies Gezeigte ist in vier Themenbereiche eingeteilt „Identitäten und Subversionen“, „Werte und Gegen-Werte“, „Körper und Skulpturen“ sowie „Riten und Funktionen“ so leicht es erscheint, diese mit Sinn zu füllen, so leicht rieselt er auch wieder durch die nicht sehr dichten Kategorien aus scheinbaren Oppositionen. Aber die Überschriften bieten viel Platz für angetheoretischte Überlegungen, die sich trotz vielfältiger Zuweisungen ungetrennter sozialer und biologischer Geschlechter, als gute Gefäße für Gender Studies, Post Colonial Studies und Reste marodierender Französischer Philosophie erweisen, trotz oder wegen des nicht so dichten Bodens. Das interessiert sie wenig? Sie möchten weiter dem Zauber der sowohl sprachlos machenden, wie zu vielerlei Gedanken anregenden Schmuckstücken folgen? – Dann haben auch sie, wie ich, verführt von den eigenen Augen das Thema der Ausstellung vergessen. Medusa – ja wo war sie nun? In den thematisch zugeordneten Werken aktueller Künstler? Oder vielleicht in der sich dabei manifestierenden, stoisch konservativen Trennung von Kunst und Handwerk, deren Grenzen, so beweist die Ausstellung doch aufs Wundervollste, keinen Ring aus dem Kaugummiautomaten mehr wert sind. Nein, denn dieses Erkennen ist das eines belebenden Blickes, nicht des entsetzten. Oder ist die wahre Medusa kein lauter Schrecken, keine Männerphantasie der schlangenhaarumwobenen Fratze eines verführerischen Grauens, sondern etwas kleines, wie Peter Bauhuis „Fussel“ Brosche? Vielleicht aber nicht weniger resistent gegenüber dem Impuls, sie mit einer lockeren Handbewegung wegzuwischen.

Anni Albers et Alexander Reed, Reconstitution de Drain Strainer Piece, 1988, Grille d’évier, trombones, chaînette, Bethany, The Josef and Anni Albers Foundation © 2017 The Josef and Anni Albers Foundation © ADAGP, Paris 2017

Wenn sie mir jenen Moment der Garstigkeit verzeihen, so würde ich mutmaßen, Medusa reckt ihr Haupt hinter den Wandtexten hervor; nicht keck, eher gleich der Analysepraxis der 70er immer wieder in einem altklugen, bevormundenden Sermon. Oh nein, Medusa ist die Lehrerin! Und sie doziert:

„The preconception of jewellery as being ‚too feminine‘ has an obvios corollary: a man should be without – or above – jewellery. This is, however, a modern construct. Jewellery was long an instrument of power, that conferred visible recognition.“

Kein Ausweg, ob ich keinen oder ob ich Schmuck trage, Medusa hält mich gefangen in Rollenbildern. Daß der Text am Ende noch „femmes fatales and women of power“ mit ins Boot des Verderbens nimmt, zeugt nurmehr vom wahren Kern der Archäologie des Grauens: Schmuck, ein Dispositiv der Macht und Verführung. Schönheit? Nein, Herrschaft und Unterwerfung. Vielleicht nur nicht in Betony Vernons „Boudoir Box“, die in einem eigens für Besucher ab 18 abgegrenzten Bereich zu sehen ist (vielleicht ist ja hier das Tabu zu finden, welches im Untertitel der Ausstellung lockt). Die verchromten Entitäten der sinnlich kalten Boudoir Box erinnern daran, wovon die französische Theorie früher einmal maßgeblich berichtete: von Wandel und Verwandlung, von Auswegen und neuen Sprachen. Doch heute sehen wir nichts mehr davon im Schmuck, egal wie deutlich er uns diese Möglichkeiten vorführt. Nein, Kuratorin Anne Dressen, eine ausgewiesene Expertin ihres Themas, erkennt in jedem der gezeigten Objekte Medusa!

Ich weiß, derartige Assoziationen sind gemein und die Texte zu den Objekten beinhalten sehr wohl auch interessante Informationen. Aber selbst diese verstärken am Ende lediglich die offene Verwunderung, wie eine höchst umfangreiche und in ihren Exponaten so enorm sehenswerte Ausstellung derart komplett ihr Thema aus den Augen verlieren konnte. Vielleicht aus Angst, das Medusenhaupt wirklich zu erspähen?

Artikelbild: Betony Vernon, Coffret et accessoires érotiques The Boudoir Box (fermé), 1999-2000, Argent massif, cuir, plumes, 69 x 33 x 19 cm, Collection de l’artiste © Betony Vernon


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