Man Ray. L. Fritz Gruber Archiv.


Oliver Tepel über „Man Ray. L. Fritz Gruber Archiv. Das besondere Archiv einer außergewöhnlichen Beziehung“ im Museum Ludwig , Köln, bis 5. Mai

Dies hätte früher geschrieben werden sollen.

Doch pünktlich mit dem Aufklang des Strassenkarnevals schickte eine hartnäckige Erkältung den Rezensenten ins Bett. Also kein: „Ich han im Museum nix jesinn, ich han nämlisch ming neue Man Ray Ban Brell op der Nas jedrage“. – Tatsächlich kam just der gegenteilige Effekt zum Tragen. Zeit verstrich und die Bilder der Ausstellung entwickelten, wo es ihnen möglich war, ein Eigenleben.

Nicht immer glückt eine neuerliche Belebung. Viele Bilder Man Rays sind einfach zu sehr Altvertraute im Fundus des Populären, so daß es eines Innehaltens bedarf, um sich vor dem gerahmten Werk an der Wand die Originalität jenes speziellen Abzugs oder jener Version zu vergegenwärtigen. Und auch dann distanziert den Betrachter etwas, tatsächlich ist es eine Qualität seiner Bildsprache: Man Rays Werk hat längst einen ikonischen Charakter. Er schuf in enormer Dichte Klassiker der Photographiekunst. Werke, die vielleicht von Anfang an diese Aura hatten. Nicht im Sinne eine Klassizismus, sondern aufgrund ihrer Kraft. Der Surrealismus liebte die Photographie und die Photographie liebt bis heute den Surrealismus. Als er sich als Stil manifestierte, fand er in den Lichtbildern und ihren Möglichkeiten ein so enorm passendes Medium, daß man es kaum als Zufall verstehen kann, wie die eigentlich völlig unabhängigen Entwicklungen einer Technik und einer Idee zeitlich so perfekt zusammentrafen. Erst während der 80er wuchs die Anerkennung dieses Umstandes, ja überhaupt der enormen Bedeutung der Photographie für den Surrealismus.

Doch da waren viele Man Ray Arbeiten längst Postkartenmotive oder sie zierten Buchumschläge. Ganz im Stillen hatten sie sich etabliert, weit mehr, als es dem Künstler selber lieb sein konnte. In seinem Austausch mit L. Fritz Gruber klang schon während der 60er an, daß die Leute mehr Interesse an seinen alten Arbeiten hätten. Bei aller unterstellten Freude über die Einnahmemöglichkeiten, sicher keine befriedigende Situation für einen Schaffenden.

L. Fritz Gruber, seine Sammlung und das nach ihm benannte Archiv sind der Anlass dieser Ausstellung. Und auf diese Weise auch eine Erinnerung an jene Kölner Katastrophe, die man den Menschen immer noch als Geschichte des „gierigen Poliers“ verkauft. Neben zweier Menschenleben riss der Einsturz des Stadtarchivs unter anderem auch die Gesamtheit des L. Fritz Gruber Archivs mit in die Tiefe. Doch die komplette Man Ray Sammlung, Werke und Korrespondenz, Kataloge und Erinnerungsstücke, waren im Haus der Grubers aufbewahrt. Das Museum Ludwig kaufte sie nun an – als Grundlage weiterer Forschung und eben auch Anlass dieser Ausstellung. Die Forschung findet einzigartiges Material, da das Ehepaar Gruber weit über ein Sammlerinteresse hinausreichend, eine langjährige, nahe Beziehung zu Man Ray pflegte. Die Intimität dieser Beziehung reflektiert diese Sammlung.

Dies ist umso erstaunlicher, da ein Großteil der gezeigten Arbeiten Rays wohlbekannte Portraitphotographien, etwa von Lee Miller, Max Ernst oder Picasso, sowie eine ganze Reihe seiner Rayographien umfasst. Es wirkt wie Wiedersehen alter Bekannter. Doch davor, im ersten Raum, liefern Photographien von Herbert Molderings einen detailreichen Einblick in Man Rays Studio, zugleich seine Wohnung, in der Rue Férou. Ein Leben in selbstgestalteten, einfachen Möbeln und umgeben von einer Fülle visueller Eindrücke, Kunstwerke, Figuren. Fundstücke, setzkästengleichen Regalen, ein Meer aus Geschichten und Leben. Als eine Art zweiter Himmel zieht sich ein großes weisses Tuch durch den hohen, umfunktionierten Raum und diffundiert das von Oben einfallende Licht. Dieses „Wunderland“, wie es Gruber nannte, bewegt die Imagination, man balanciert entlang romantischer Künstlerklischees wie auch der Ahnung, daß dies kein Leben ins Saus und Braus war.

Ein Blick auf Grubers komplette Sammlung der Publikationen von Man Ray, darunter die legendäre Edition „La photographie n’est pas l’art“ aus dem Jahr 1937, sowie Einblicke in die Korrespondenz komplettieren die Ausstellung. In einem der Briefe erläutert Ray etwa, wie die Violinschlüssel auf seinem Rückenportrait von Kiki als „Violon d’Ingres“ mittels einer Schablonentechnik eingesetzt wurden. Es sind die Details, die diese Ausstellung besonders sehenswert machen. Vor einer Wand voller Kontaktabzüge seiner bekannten Portraits wird auf deren beschriftete Rückseiten verwiesen, Kommentare zu dem Portraitierten oder dem Werk und eine seltsame Notiz in roter Farbe. Erst scheint es wie ein Bewertungschlüssel von 1 – 20 seiner Arbeiten, bis man, vielleicht eher erschrocken als amüsiert, es als eine Bewertung der Portraitierten selber erkennt. Ich mag nicht den irritierenden Nachhall jener, offenbar Anfang der 60er aufgetragenen Taxierungen verschweigen. Aber auch dies kennzeichnet die Nähe oder zumindest die neuen Perspektiven, welche jene Ausstellung und ihr kleiner Einblick in das Man Ray Archiv L. Fritz Gruber hinterlassen.

Oliver Tepel


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