Im Zeichen der Macht

Im Zeichen der Macht


Oliver Tepel über „Kunst, Kalkül, Kommerz – Tizian und Tintoretto in der Druckgraphik“ (bis 28.07.)“ & „Der Diplomat von Venedig. Tintorettos Bildnis des Paolo Tiepolo“ (bis 15.09.) im Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud

Auch vor dem Zeitalter der Freien Kunst mussten Künstler sehen, wie sie über die Runden kommen. Den frisch in den Künstlerstand erhobenen Malern der Renaissance standen dabei zwei neue Möglichkeiten zur Verfügung. Zum Einen bedeuteten bürgerliche Auftraggeber eine völlig neue und bald enorm prosperierende Einnahmequelle zudem wuchs mit ihnen die Nachfrage nach einem neuen Sujet: dem des Portraits, nicht eigebunden in ein biblisches Szenario, sondern als unmittelbare Präsentation des Selbst. Zum Anderen entwickelten sich verschiedene Möglichkeiten der Reproduktion auf der Basis der jungen Drucktechnik, insbesondere der des Kupferstichs. Sie mehrten nicht nur den Ruf eines Künstlers, sondern waren selbst auch Ware. Jene, die nach den gemalten Vorgaben exakte Kopien erstellen konnten, ob in Holz oder auf Kupfer, wurden selber zu bekannten und gefragten Künstlern. Daß in jener Zeit auch eine bis heute nicht verebbende Copyright Debatte einsetzte, sei nur am Rande erwähnt, denn unser eigentliches Thema ist: Tintoretto – Nein, kein millionenschwerer Überblick, der Direktoren, Kuratoren und Versicherungsmitarbeitern schlaflose Nächte bereitet, sondern ein kleiner Fokus auf die erwähnten Neuerungen in seinem Namen, nebst einer Geschichte aus der Welt staatlicher Kunstsammlungen.

Lorenzo Lotto und Tizian arbeiten ungefähr parallel an der Etablierung des Portraits als ernsthaftem Genre der Hochrenaissance. Lottos feinsinnige Expression wird gekontert von Tizians leichtem und reduzierten Stil. Tizian konnte es sich leisten, denn von ihm portraitiert zu werden, bedeutete per sé eine hohe Auszeichnung wie wohl auch eine größere finanzielle Investition. Doch Tizians Werk war keinesfalls Accessoire einer reichen Oberschicht, sondern ihm gelang, etwas ins Bild zu bringen, was insbesondere den männlichen Auftraggebern enorm wichtig gewesen sein mag: der Ausdruck repräsentativer Macht. Im Spiel mit der Freude an psychologisierender Tiefe in den Antlitzen, schuf Tizian Portraits als Statement mit hartem Blick aus dunklen Augen, energischen Mündern und klaren Gesten, vielleicht konstruierte er mehr als seine vom Abbild faszinierten Konkurrenten, doch dies bleibt Spekulation. Fakt ist, daß er dem Motiv (wenn nicht gar Untergenre) des Sitzportraits, welches oftmals hochrangige Persönlichkeiten inszenierte, eine Venezianische Variante hinzufügte, Dogen posierten nun vor einem Fenster, welches, im Anschnitt dargestellt, den Blick in die Welt offerierte, ein Raum für Symbole und Bedeutungen.

Tizian soll auch, zumindest für eine kurze Zeit Lehrmeister Tintorettos gewesen sein und ihn, aus Eifersucht oder Kalkulation, bald verstoßen haben. Fürchtete er das Talent des Jungen? Oder ist dies lediglich eine Legende der Kunstgeschichte? Auch Tintoretto portraitierte venezianische Dogen, er war, weit mehr als Tizian, wirtschaftlich angewiesen auf solche Aufträge und doch auch in Venedig geschätzt genug, dass sein Signet unter einem Bild einen Wert an sich darstellte. So sind nicht alle seine Portraits Meisterwerke, sondern durchaus Produkte einer routinierten Werkstattarbeit. Warum ich das alles schreibe? Das Wallraf in Köln präsentiert in diesen Tagen eine beeindruckende Schenkung. Es handelt sich um Tintorettos Portrait des Paolo Tiepolo, ein bedeutender Diplomat und Staatsmann, Vertreter der Interessen Venedigs in Spanien und Rom, sowie Prokurator und Vorsitzender des Gesundheitsamtes des Staates Venedig zu Zeiten der schweren Pest Epidemie Mitte bis Ende der 1570er Jahre. Stilistisch lässt sich Tintorettos undatiertes Portrait in diese Zeit einordnen. Doch wie kommt das Werk nun ins Wallraf-Richartz-Museum? Auf seinem langen Weg gelangte es von Venedig nach England und 1939 wieder zurück ins faschistische Italien und wurde von dort 1941 nach Deutschland verkauft. Es sollte einen Platz in Hitlers „Führermuseum“ in Linz bekommen, doch zum Glück verlief die Geschichte anders. In einem Salzbergwerk am Altauersee erlebt es den Sturz der Nationalsozialisten und wird für Jahre in München archiviert. Bis das Werk einen Ruf aus dem Bundeskanzleramt erhält: 1967 wird es im Büro von Bundeskanzler Kiesinger aufgehängt und bleibt dort, als Willy Brandt die Kanzlerschaft übernimmt. In seiner aktuellen Präsentation im Wallraf wird jener Phase besondere Aufmerksamkeit geschenkt, erscheint es doch in einer Photographie von Jupp Heinrich Darchinger 1970 höchst prominent, wenngleich im Hintergrund, auf einem Titel des Magazins Der Spiegel. Im Vordergrund: Egon Bahr zur Zeit seiner entspannungspolitschen Mission, hinter Bahr der Kanzler, anscheinend in ein Schriftstück vertieft. Wahrscheinlich war es Helmut Schmidt, der spätestens beim Auszug aus dem Palais Schaumburg 1976 auf das Bild verzichtete, so daß es 2011 vom Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen sieben Museen angeboten wurde – auf diese Weise gelangte es nach Köln. Welchen Sinn aber macht seine schillernde Geschichte, wie es noch einmal an der Macht partizipierte und die rheinische BRD jenen repräsentierte, die Eintritt zum Büro des Kanzlers bekamen? Welchen Sinn mag man aus seiner vorhergehende Bestimmung als Teil von Hitlers „Sonderauftrag Linz“ lesen? Vielleicht kaum mehr als die, dass die Insignien persönlicher Macht als Kunstwerke ihre spezifische Bedeutung überdauern und dennoch offenbar einen Gestus oder eine Pose generieren konnten, die auch noch 400 Jahre später Wirksamkeit behält. Dies ist nicht allein Tintorettos Verdienst, doch sicher maßgeblich seinem Können zuzuschreiben. Tiepolos Pose hatten andere erfunden, doch dieser wachsame, ernste Blick aus den Augenwinkeln, der ungebeugte, klare und doch auch etwas geheimnisvolle Gesichtsausdruck sind Zeichen Tintorettos Meisterschaft, darin gar so klar und eindrucksvoll, daß die Mängel des Bildes erst beim zweiten Blick offenbar werden: Tiepolos Hände wurden offenbar von Schülern, vielleicht gar (wie wahrscheinlich auch der Bildhintergrund) von seiner Tochter Marietta gemalt. Der gut 50% des Bildraums einnehmende Dogenmantel erscheint flüchtig ausgeführt, ja im Vergleich so grob, daß das Werk mitunter als „unvollendet“ beschrieben wurde. Vielleicht war es auch ein Zeichen des Zeitgeschmacks, das Symbol einer schweren Phase oder eben das, was der Auftraggeber für eine bestimmte Summe erwarten konnte. Immerhin wurde für den Mantel Realgar als Pigment verwendet, jenes Arsensulfid, welches die kostbaren Orangetöne kreieren konnte, die seit Tizian in Mode waren. Doch dieses Geheimnis wird dem Bild wohl bleiben, während es sich als eine hoch interessante Ergänzung in die Sammlung des Wallraf Richards einreiht.

Begleitend zur Präsentation des Bildes zeigt das Grafische Kabinett die Ausstellung „Tizian und Tintoretto in der Druckgrafik. Kunst, Kalkül und Kommerz.“ Aus Tintorettos Leben sind nur kleinere Reisen überliefert. Er sah die meisten der großen Werke seiner Zeit nie im Original und doch können wir ihn uns als einen wohl informierten Künstler vorstellen. Das ihm zugeschriebene Motto: „Von Michelangelo die Zeichnung, von Tizian die Farbe“, beschriebt jedoch auch die Grenzen der neuen Möglichkeiten: Wahrscheinlich lernte Tintoretto Michelangelo nur als einen Meister der Linie kennen: in den gedruckten Reproduktionen seiner Werke. Zugleich war Tizian nicht scheu, sein Werk auch ohne die Qualität seiner Farbigkeit verbreiten zu lassen. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ließ er Holzschnitte seiner Zeichnungen anfertigen, bewusst variierte er dabei seine Gemälde und schuf eigenhändig Interpretationen seiner Werke, die oftmals Giovanni Britto für ihn in Holz schnitt. Britto vermochte es mit einer enorm exakten parallelen Linienführung, auch Gemälde in ihren Feinheiten zu reproduzieren, musste sich aber letztlich doch den Möglichkeiten der Kupferstecher geschlagen geben. Deutlich zeigt in der Ausstellung seine Version von Tizians „Anbetung der Hirten“ die effektvollen Möglichkeiten der Umsetzung von Nachtstücken und verdeutlicht zugleich, die Begrenzungen, wenn einige Schritte weiter Cornelis Corts Kupferstiche feinste Hell/Dunkel Nuancen wiedergeben. Cort verstand es in der zweiten Hälfte des 16 Jahrhunderts, Tizians Pinselführung ins Kupfer zu übertragen. Als Meister einer neuen Industrie waren seine autorisierten Arbeiten sowohl Werbung wie Einnahmequelle. Der Senat wachte dabei über die Einhaltung der Copyrights. Ein interessanter Umstand, der die Verflechtung der Renaissancekunst mit dem aufstrebenden Bürgertum um eine bedeutsame Facette ergänzt: Kunst wurde vor den problematischen Aspekten der neuen Medien geschützt. Wer denkt, wir hätten diese oder jene durch das Internet verursachte urheberrechtliche Debatte alsbald ausgestanden, sollte sich vielleicht lieber auf 500 Jahre einstellen. Im Hinblick auf diese neuen Medien war Tintoretto tatsächlich eher der passive User, ihm lag nicht viel an der Vervielfältigung seiner eigenen Werke. Dennoch nahm sich vor allem Agostino Carracci dieser Arbeit an. Weit markttüchtiger als sein hochbegabter, malender Bruder Annibale, wurde er bald in Tat und Wirken inoffizieller Nachfolger des jung verstorbenen Cort. Beide vermochten mit den parallelen Linien ihrer Stichel nahzu analytische Reproduktionen der Werke Tizians und Tintorettos zu schaffen. Interessant wäre es zu wissen, wie sie den so grob und flüchtig ausgeführten Dogenmantel de Paolo Tiepolo aus Tintorettos Gemälde inszeniert hätten. Im Versuch einer Nachahmung seines Farbauftrags oder in einer interpretatorischen Veränderung und Angleichung an die Detailfülle Tiepolos Gesichts?

Wie enorm diese Wirkung des neuen Blicks, der Verbreitung der Werke und des Interesses seitens Kunstsammler war, kann allenfalls mit dem Aufkommen des Internets verglichen werden. Welche Anziehungskraft in diesen Linien liegt, kann aber ein jeder feststellen, der ein wenig Zeit mitbringt. Diese doppelte Ausstellung erzählt so viel über die späte Renaissance, wie über unsere Zeit, das Sammeln, Verbreiten und Bewahren von Kunst und jener Wirkung, welche über Jahrhunderte nicht verklingt und Menschen in die Museen führt. Es ist ein schöner, unmittelbarer und zugleich außerordentlich komplexer Eindruck, den uns diese Ausstellungen schenken.


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