Besprechung
Farbe bekennen. Was Kunst macht


Nelly Gawellek über „Farbe bekennen“ im MARTa Herford

Es käme wahrscheinlich eine ganz schön lange Liste heraus, würde man alle Ausstellungen der letzten Jahre zusammentragen, die sich um die große Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft drehten. Aber wie oft kann man eigentlich noch „politische Kunst” sagen, bevor die Phrase hohl wird?

Das MARTa Herford holt in einer Zeit des Misstrauens – an der Politik, den Banken, am Wetter – das Thema Glaubwürdigkeit auf die Agenda. Das Bekenntnis eines „leidenschaftlichen Glaubens an die besondere Kraft der Kunst”, das diese Ausstellung den elf ausgewählten gesellschaftskritischen Positionen zugrunde legt, klingt dabei schon beinahe esoterisch und schraubt zugleich die Ansprüche hoch. Ist Kunst unser Hoffnungsschimmer an einem trüben, vom Zweifel an den Machenschaften von Politik, Medien und Wirtschaft verdunkelten Horizont? Wenn wir nichts und Niemandem mehr glauben können, dann wenigstens der Kunst? Ich frage mich, ob wir ihr damit zuviel zumuten – oder vielleicht zu wenig. Muss Kunst tatsächlich erst gesellschaftliches Engagement beweisen, um glaubwürdig und relevant zu sein? Oder schränken wir sie mit solchen Ansprüchen ein und spannen sie am Ende vor den Karren der Institutionen, die in Zeiten sparsamer Kommunen ihre gesellschaftliche Stellung behaupten müssen? Und überhaupt: Gibt es nach Berlin Biennale, documenta 13 und dem Steirischen Herbst, um nur die Top 3 des letzten Jahres zu nennen, etwas, das noch nicht gesagt, gemacht, lecture-performed wurde?

 

„Farbe bekennen – Was Kunst macht” zeigt tatsächlich einige bekannte Positionen und künstlerische Strategien und auch ein paar der Protagonisten der oben genannten Ausstellungen. Die sensibel gehängte Präsentation rund um Themen wie Krieg, Gewalt und Profitgier ist nichtsdestotrotz einen Ausflug zum spektakulären Gehry Gebäude wert, denn sie wirft Fragen über die Relevanz von Kunst auf, auch wenn diese wiederum die kuratorische Haltung (Kunst macht was. Farbe bekennen!) hinterfragen: Muss Kunst überhaupt etwas machen? Stellung beziehen? Können und sollen wir ihr wirklich uneingeschränkt glauben?

Vielen der ausgestellten Künstler kann und will man die Aufrichtigkeit auf jeden Fall nicht abstreiten: Vom ersten Raum, der wie ein Transitbereich funktioniert, und in dem kleine Objekte von Peter Sauerer in die Ausstellungsarchitektur einführen (man sollte mal nach oben oder unten schauen, oder in eine kleine Kiste!) kommt man in die Ausstellungshalle, wo man als Erstes sein eigenes Spiegelbild sieht, von Sam Durant mit Graffiti beschmiert: „Don’t see me as I am see me as I long to be”. Welche Rolle spielen wir eigentlich jeden Tag und können wir uns dabei selbst noch ehrlich in die Augen schauen? fragt uns der amerikanische Künstler.

Die Berliner Künstlerin Brigitte Waldach arbeitet in ihrer Raum-Installation subtil-sinnlich: Grafische Muster am Boden und Gummi-Schnüre, die sich wie Lichtstrahlen von am Boden liegenden sechs-eckigen Sockeln zur Decke aufspannen – Dass es um Gewalt geht, bemerkt man erst im Gefühl des „Eingesperrtseins”, wenn man eine der Waben betritt und die Lautsprecherbeschallung hört, die mit gesprochenen Texten aus unterschiedlichen Zusammenhängen Žižeks Abhandlung über die sechs Grundformen der Gewalt folgt. Das sitzt, und man hätte es vielleicht dabei belassen sollen. Mit der Mitmach-Malwand, an der die Besucher ihre Gedanken hinterlassen können, verliert der Raum allerdings an Schärfe.

 

Konzeptuell arbeitet der ebenfalls in Berlin lebende Künstler Nasan Tur, der das Wort Kapitalismus einfach so oft wiederholt, bis es seine Bedeutung verliert. Ist nicht der Kapitalismus selbst eine selbstverständlich gewordene Wort- und Gedankenhülse, die wir so lange mit Erwartungen, Zweifeln, Misstrauen, aber auch mit unendlichem Glauben überhauft haben, das wir sie längst nicht mehr begreifen können? Andere nehmen dieses Thema mit Humor, wie das Pariser Kollektiv Claire Fontaine, das nebenan ihre Alternative zum Kapital erklärt. Im Video „Instructions for sharing private property” zeigt es, wie man Schlösser knackt.
Das ukrainische Kollektiv R.E.P. verlässt das Museum und versieht ein echtes Herforder Politikum, eine Bauruine mitten in der hübschen Innenstadt, mit Piktogrammen, die schlagwortartig die Meinungen der Bürger einfängt. Die naiven und spielerischen Zeichen sind eingängig und assoziativ und bilden einen charmanten kleinen Wortschatz für eine Revolution.

Thomas Hirschhorns Transparent zeigt Bilder von Kriegsopfern und abgetrennten Gliedmaßen – Handelt es sich hier um platte Provokation oder einfach nur um (glaubwürdige) Wut vor unserer alltäglichen Ignoranz? In acht Thesen macht er klar, warum es ihm wichtig ist, diese Bilder zu zeigen. Die Letzte zur Hypersensibilität trifft uns wohl alle am meisten: Die Begründung „Ich kann mir dies nicht ansehen, ich bin zu sensibel” schmettert Hirschhorn ab, als „die Bemühung einen bequemen, narzisstischen und exklusiven Abstand zur heutigen Wirklichkeit zu halten”. Dürfen wir es uns als Teil der Welt, und manchmal auch als Profiteure von Kriegen, die anderswo geführt werden, herausnehmen, uns selbst zu schonen?

Korpys/Löffler bringen in einer Plakatieraktion den Grabstein von Theo Albrecht, einem der „Aldi-Brüder”, an Plakatwände in deutschen Städten und zerren damit das private Schicksal einer Familie in die Öffentlichkeit, die immer streng zurückgezogen lebte, die trotz ihrer prägenden Rolle in der deutschen Nachkriegsgesellschaft selbst nie „Farbe bekannt hat”. Ist das künstlerischer Protest oder einfach pietätlos?
Gelungen auch Wilhelm Sasnals Portrait von Gert Wilders, Vorsitzender der niederländischen Rechtspopulisten Partij voor de Vrijheid und als solcher ausgesprochener Islamkritiker.

 

Und dann gibt es da noch Christoph Büchel, der Skulpturen von Arno Breker zu Anschauungsmaterial für einen Modellierkurs für Behinderte macht. Die Debatte über diese Arbeit ist, wenn sie bemerkt wird (sie ist nicht im Katalog gelistet und auch nicht in der Ausstellung gekennzeichnet), die Lauteste. Aber versteckt sich hinter dem Ruf nach political correctness gar eine neue Form der Ausgrenzung, die sich unter dem Deckmantel der falschen Rücksichtnahme manifestiert? Es geht hier schließlich nicht darum, Breker zu rehabilitieren, auch nicht darum, ihn durch die beiläufige Inszenierung zu verharmlosen, wahrscheinlich geht es überhaupt nicht um Breker, sondern einfach nur darum, dass moralische Standards in einer Gesellschaft verhandelbar sind und immer wieder neu verhandelt werden müssen.

Fest steht, man geht auch als abgebrühter Ausstellungsgänger mit einem ganzen Haufen Kontroversen im Kopf und auch ein paar ganz echten Gefühlen aus dieser Ausstellung … Sollte man den Verdacht gehabt haben, das System Kunst schreie mit seinem ästhetisch-politischen Engagement doch allmählich nur noch seine eigene gesellschaftliche Relevanz in die Welt hinaus, glaubt man diesem Engagement jetzt doch wieder ein bisschen mehr.

Nelly Gawellek (*1984) ist Kunsthistorikerin und lebt in Köln


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