Einige Parallelen

Einige Parallelen


Einige Parallelen – Philipp Hamann, Jan Hoeft, Jens Pecho, Nicolas Pelzer.
Die Artothek in der Temporary Gallery, bis 24.2.2012


Parallelen laufen nebeneinander her und berühren sich nicht, die Arbeiten dieser vier Künstler lassen sich jedoch sehr wohl aufeinander beziehen, kritisiert Vanessa Joan Müller in ihrer Eröffnungsrede den Titel der aktuellen Ausstellung in der Tempo. Bemerkenswerte Gemeinsamkeiten konnte ich am Eröffnungsabend nicht ausmachen – großer Besucherandrang machte es fast unmöglich, sich auf die Arbeiten einzulassen. Insbesondere für die fesselnde Video-Arbeit von Philipp Hamann, lohnte da der erneute Gang in die Artothek-zu-Gast-in-der-Tempo-Ausstellung ein paar Tage später. Einige Parallelen ließen sich dabei auch noch aufspüren.

Gemeinsam ist den vier Absolventen der Kunsthochschule für Medien eine konzeptionelle Arbeitsweise, die – na ja, nicht selten in der Zeitgenössischen Kunst – Alltägliches, Erlebtes und Vorgefundenes weiterentwickelt und in neue Zusammenhänge stellt. In ihrer formalen Umsetzung und ihrer ästhetischen Erscheinung könnten die Arbeiten jedoch nicht unterschiedlicher sein.

Jan Hoeft setzt sich mit Ordnungen des Alltäglichen auseinander. Seine Videoarbeiten, Fotografien und bildhauerischen Konstruktionen – etwa aus Kanthölzern oder Rohrsystemen – waren bereits bei Glasmoog und im Generali-Ausstellungsraum EG Null zu sehen. Mit der Arbeit „Ladungen” zeigt er in der Temporary Gallery das fotografische Dokument einer Intervention. Hier platzierte er große mit schwarzer Folie ummantelte Quader, die auf Paletten stehen und damit etwa an vergessene Überreste einer Baustelle erinnern, im Straßenverkehr. Passanten und Autofahrer sind gezwungen, ihre Wege um die Gegenstände herum neu zu organisieren. In der Temporary Gallery empfindet er diese Irritation gelungen nach, indem er den Hefter mit den Fotografien auf einer überdimensionalen „Ablage” ausstellt, die durch ihre Ausmaße selbst als Skulptur und nicht mehr als Funktionsgegenstand erscheint. Der Foto-Band verschwindet auf dieser Installation, wirkt wie zufällig darauf abgelegt und deplatziert.

Jens Pecho, der ebenfalls bereits eine beachtliche Ausstellungserfahrung im Rheinland vorweisen kann, kombiniert vorgefundene Dokumente neu. Das können Live-Aufnahmen, juristische Paragraphen oder auch Liedtexte sein, die er aneinanderreiht, einander gegenüberstellt oder gleichzeitig ablaufen lässt, um damit ihre Inhalte gegeneinander auszuspielen und ins Dramatische zu steigern. Er nutzt den Ausstellungsraum als Bühne, um diese Arrangements neu aufzuführen. So stehen sich in der Ausstellung etwa zwei Plattenspieler gegenüber, die sich gegenseitig das Stück „The end” der Doors und von Nico gesungen vorspielen. Die Klangebenen vermischen sich dabei und werden zu einer neuen Komposition, die ein bisschen so klingt wie ein Preisrätsel im Radio. Man möchte sich unweigerlich auf eine der beiden Melodien konzentrieren, wird aber immer wieder durch die andere abgelenkt. Eine Metapher auf die alltägliche Reizüberflutung oder doch Symbol für die Vergänglichkeit? Denn durch die Abnutzung der Platten wird die Melodie irgendwann in ein bloßes Rauschen übergehen und damit das gesungene Versprechen vom Ende einlösen.

Nicolas Pelzers Arbeiten sind auf Trapeztischen aufgebaute Glaskonstruktionen. Eine dieser Aufbauten fungiert als eine Art Vitrine für ein Batik-Hemd, die andere, deren Sockel durch ein Tau mit dem Boden verbunden ist, wird durch Fehlen eines ausgestellten Objekts selbst zur Glasskulptur. Die Arbeiten beziehen sich auf den Ausstellungsraum und ihr eigenes Ausgestelltwerden und lenken den Blick des Ausstellungsbesuchers nicht nur durch ihre unterschiedliche Materialität und Haptik, sondern auch auf das Wechselspiel von Sichtbarkeit und Durchsichtigkeit.

Die Video-Arbeit „Er und Ich” von Philipp Hamann thematisiert einen Identitätskonflikt: Immer wieder sind die Hände einer Person zu sehen, die Familienfotos und alte Erinnerungsgegenstände – Dokumente einer Lebensgeschichte – auf einem Tisch ausbreitet. Aus dem Off erfahren wir Anekdoten zu den gezeigten Gegenständen und Bildern. Durch eine auf den ersten Blick naive, aber doch sehr komplexe Bild-im-Bild-Erzählung führt Philipp Hamann vor, wie alltäglich und doch ausschlaggebend Bilder für die Konstruktion von Geschichte, Erinnerung und Identität sind. „Der Vorrat der Kindheit” oder auch der Erfahrung aus dem man schöpft, hat dabei wesentlichen Einfluss darauf, welches „Bild” man sich von der Welt macht. Hamann gelingt damit eine interessante Überlagerung der verschiedenen Bildebenen, einerseits der konkreten Fotografie oder Zeichnung, andererseits einer gedanklichen Vorstellung von Bildern, die man auf die eigene Lebensrealität projiziert. Indem er immer wieder die Versatzstücke seines eigenen Lebenswegs und seines Bruders übereinander legt und miteinander abgleicht, nutzt er das Medium Video im doppelten, nämlich im technischen aber auch im psychologischen Sinn als Projektionsfläche für seine Erzählung. Dass es sich dabei genauso gut um eine erfundene Geschichte handeln könnte, ist für die Aussage zwar nebensächlich, führt aber eine raffinierte Wendung beim Betrachter herbei.

Viel Platz haben die befreundeten vier Künstler in der Temporary Gallery, um ihre neuen Werke zu präsentieren. Allein Jan Hoefts große, orange farbene Straßen-Poller, die übereinandergestapelt im Raum liegen, hätten den Ausstellungsraum der Artothek ausgefüllt. So aus der Verankerung herausgerissenen verweisen sie hier auch auf die unerwartet lange Baustellen-Situation im Haus Saaleck, den angestammten Artothek Räumen. Einige Parallelen eben.

Nelly Gawellek (*1984) ist Kunsthistorikerin und lebt in Köln


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