Besprechung Bridget Riley

Besprechung
Bridget Riley


Ein Fest für’s Auge. Bridget Riley im Museum für Gegenwartskunst Siegen, 1.7.– 11.11.2012. Von Sabine Elsa Müller.

Die 1931 in London geborene Künstlerin Bridget Riley wurde soeben mit dem 12. Rubenspreis der Stadt Siegen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Im Museum für Gegenwartskunst wird sie aus diesem Anlass mit einer Ausstellung gewürdigt.
Das an- und abschwellende Gewoge der Farben spült mal die roten, mal die grünen Farbtöne nach vorne und lässt einzelne Farbstreifen regelrecht in den Raum marschieren. Kommt man näher heran, entdeckt man am linken Bildrand einen kleinen Farbversprung, der über eine bonbonfarbene Abfolge von Rosa, Himmelblau, Hellgrün und Sonnengelb milde verebbt, bis ein beherzter Rot-Grün-Kontrast wieder einen kräftigeren Akkord anschlägt und so fort. „Saraband“ aus dem Jahr 1985 ist geprägt durch heitere, sommerliche Farben, die sich gegenseitig „anheizen“ und aus einer eher sanften Modulation heraus in heftige, glühende Vibration geraten. Man könnte auch von Harmoniewechseln sprechen, wie sie für die Sarabande, die Tanzform aus dem Barock, typisch sind. Rileys „Saraband“ eröffnet mit weiteren Streifenbildern wie „Après Midi“ (1981) und „Serenissima“ (1982) den Reigen der Arbeiten aus den 80er Jahren bis heute, und der Besucher tut gut daran, sich in dieser Ausstellung von der Idee einer Choreographie leiten zu lassen.

Das bedeutet in jedem einzelnen Fall, die wechselhafte Gestalt der Bilder vor allem aus der Bewegung heraus wahrzunehmen, sie mal von ganz nah, mal aus der Distanz zu beobachten. Bisweilen macht sich wie eine blitzschnelle Veränderung aus den Augenwinkeln bemerkbar, was sich von einem festen Blickpunkt aus entzieht. Die Bilder werfen sich gegenseitig die Bälle zu. Ausgefeilte Korrespondenzen zwischen großen, teilweise monumentalen Arbeiten und ein spannungsreicher Wechsel mit intimen Räumen, in denen Entwürfe, Gouachen und Siebdrucke gezeigt werden, machen die Präsentation zur springlebendigen Performance, bei der scheinbar dieselben Farben immer wieder zu neuen, überraschenden Kombinationen finden. Das Verblüffende dabei ist, dass diese Bilder niemals altern. Das macht der Blick aus dem ersten Raum, der fast triumphierend auf das jüngste Werk,„Rajasthan“, trifft, unmissverständlich klar. Dreißig Jahre liegen zwischen den Streifenbildern und dem über 2 x 4 Meter großen Wandgemälde, bei dem es sich bereits um eine Leihgabe, und zwar aus der Staatsgalerie Stuttgart handelt, obwohl es erst aus diesem Jahr stammt.

Die opulente, festliche und generöse Ausstrahlung der Arbeiten lässt es kaum für möglich halten, dass Bridget Riley wegen ihrer Malerei einst heftig angegriffen wurde. Zwar gelang ihr in der legendären Ausstellung „The Responsive Eye“ im Museum of Modern Art in New York bereits 1965 der Durchbruch mit ihren aus einfachen, geometrischen Elementen aufgebauten Strukturen in Schwarz, Weiß und gelegentlichem Grau. Aber ihre wegen der flirrenden Effekte der „Op Art“ zugeschlagene Kunst wurde auch als aggressiv, unzumutbar und vordergründig provozierend abgelehnt. Dabei waren es damals dieselben Fragen, die sie heute noch antreiben: Wie lässt sich das Sehen und damit die Erkenntnis als etwas Plötzliches, Überraschendes und nicht Lenkbares mit den Mitteln der Malerei erforschen? Erst 1967, nach vielen Jahren der Beschränkung auf Schwarz und Weiß, wagte sich Riley an die Farbe. Doch kommt es 1980, infolge einer Reise nach Ägypten und dem Kennenlernen der „Ägyptischen Palette“ zu einer Zäsur, die ihre Farbpalette bis heute bestimmt, weshalb die Ausstellung hier einsetzt.

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen den Abbildungen, wie sie in einem Bildband – oder im Internet – zu sehen sind, und Rileys Gemälden im Original. Die Abbildungen im Katalog zur Siegener Ausstellung haben trotz der hohen Druckqualität sehr wenig mit den Gemälden in der Ausstellung zu tun. Statt der beachtlichen Ausmaße der Originale muss das farbige Rechteck im Katalog mit einer Seitenhöhe von maximal 30 cm vorlieb nehmen; es handelt sich um einen 4c-Farbdruck und nicht um Öl auf Leinwand, und zu sehen ist tatsächlich eine flächige Anordnung von Farben. Im Katalog lassen sich die einzelnen Felder säuberlich voneinander trennen oder zusammenzählen, alles bleibt hübsch übersichtlich und kontrolliert, und der Eindruck von „Muster“ – wenn auch eines von außerordentlichem Raffinement – lässt sich kaum verleugnen. Aber man versuche einmal, auf den Gemälden selbst die einzelnen Farben zu sortieren! Nicht, dass es grundsätzlich nicht möglich wäre, aber die Gemälde wehren sich ja gerade gegen die fixierende Vereinnahmung, hartnäckig werden sie den Blick immer wieder ablenken und kaum zur Ruhe kommen lassen. Die Interaktion der Farbe schafft einen bewegten, lebendigen Körper, der sich von der statischen Fläche längst abgekoppelt hat.

Die Dynamisierung der Leinwand wird von Bridget Riley Ende der 80er Jahre fortgesetzt über die Einführung der Diagonalen, die das bisherige räumliche Gefüge zum Einsturz bringt und statt dessen die Malerei durch eine starke, optimistische Aufwärtsbewegung kennzeichnet. Die rautenförmigen Einzelformen bilden größere, sich ineinander verzahnende Konglomerate. Schließlich führt sie mit der Kurve um 2000 ein weiteres Formelement mit starker Eigendynamik in die Komposition ein. Die neuen Formen sind sehr frei, bewegt und räumlich aktiv. Riley, die ihre visuelle „Nahrung“ ebenso in der Natur wie in der Kunstgeschichte sucht, und sich auch in fundamentalen Texten intensiv mit Malerei auseinandersetzt, nennt vor allem Cézanne im Zusammenhang mit der neu gewonnenen Freiheit. Volumen und Dreidimensionalität stoßen weiter in den Raum vor und sprengen mit den Wandbildern schließlich das rahmende Rechteck. 2007 entsteht das erste Wandgemälde, „Arcadia 1“. Auch dieses Schlüsselwerk ist in der Ausstellung zu sehen: Die aus Senkrechte, Waagrechte, Diagonale und Kurve fragmentierten Formen schieben sich aus dem rechteckigen Bildformat heraus und nehmen die weiße Wand als integralen Bestandteil des Bildes in Beschlag.

Einen weiteren Höhepunkt der Ausstellung bildet die über 16 Meter lange Wandzeichnung „Composition with Circles“: Schwarze, sich überschneidende Kreise versetzen die weiße Wand in eine visuelle Rotation, unter der sich die Raumgrenzen endgültig aufzulösen scheinen. Bei den neuesten Leinwänden aus dem Jahr 2011 zeigt sich, dass sich die Erfahrungen aus den schwarzweißen Wandzeichnungen auch ins Subtile übersetzen lassen. In zwei unterschiedlichen Gelbtönen rufen die Kreise auf weißem Grund eine kaum weniger erstaunliche Raumschwingung hervor. Wieder einmal hat Bridget Riley, mit achtzig Jahren, Neuland betreten.

Mit dem Rubenspreis der Stadt Siegen, der alle fünf Jahre an einen lebenden europäischen Maler als Anerkennung für sein Lebenswerk verliehen wird, erhält die hochdotierte Künstlerin einen weiteren, renommierten Kunstpreis. Das Besondere ist – er wird ausschließlich für Malerei vergeben. Damit knüpft der Preis, den zuletzt Sigmar Polke, Maria Lassnig und Lucian Freud erhielten, an den in Siegen geborenen Maler Peter Paul Rubens an, der, wie es in den Statuten heißt, „als Hauptmeister der europäischen Barockmalerei jene künstlerischen und europäischen Maßstäbe gesetzt hat, denen die Preisverleihung seit 1957/58 verpflichtet ist“.


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