Dieses Sehnen


Sehnsucht nach Farbe – Moreau, Matisse und Co., bis 13.1. im Clemens-Sels-Museum Neuss

Ein Zerren, die Verheißung tausender Möglichkeiten des Ausdrucks. Weit mehr nur als Befindlichkeiten: Der Aufbruch ins Unbekannte. Mit dieser Perspektive mag manch Kunststudent um 1890 auf seine Berufung geblickt haben. Die Zeit gab ihm allen Anlass. Was auch immer in jenes prekäre und von Armut bedrohte Leben drängte, so wohl kaum die sichere Erfüllung bürgerlicher Träume. Die den aktuellsten Entwicklungen zugewandten Kunststudenten jener Tage konnten nicht mit etwas Glück und einigem Können auf den Applaus im Salon hoffen. Vielleicht war es das Echo aus Henri Murgers „Scènes de la Vie de Bohème“, welches einen neuen Künstlertypus hervorbrachte, vielleicht war es einfach eine Begeisterung für die sich abzeichnenden Möglichkeiten des künstlerischen Experiments der Avantgarden, was auch immer diese jungen Künstler bewegte, sie versuchten ab 1891 an der Pariser École des Beaux-Arts in die Klasse von Gustave Moreau zu gelangen, der dort die Nachfolge Elie Delaunays angetreten hatte.

 

Der junge Autor und Kunstkritiker Claude Roger-Marx schrieb 1896: „Alle, die ihre Individualität entwickeln wollen, haben sich um Moreau geschart.“ – Roger-Marx war vorbelastet, stand mit Moreau in Korrespondenz, aber blickte auch hellwach in das aktuelle Geschehen. Zudem war es offensichtlich: Moreau ließ seine Schüler malen, wo sie eigentlich bei ihm nur zeichnen sollten und er gestattete ihnen, nahezu die Antithese seiner eigenen Kunst zu entwerfen. Zumindest muss es ihm selber so erschienen sein. Zu Beginn der Moderne zieht der Disput zwischen klassischer und antiklassischer Kunst eine scharfe Grenze. Nur vorsichtig wagten erste Kunsthistoriker eine Neubewertung der, jahrhundertelang geringgeschätzten manieristischen Malerei. Daß fast 90 Jahre später Werner Hofmann in seiner Ausstellung „Labyrinth des Manierismus“ auch Werke Moreaus zeigen wird, hätte den Meister wohl eher erbost. Er, der sich in seinen späteren Jahren vor allem religiöser und mythologischer Thematik zuwandte, verstand sein Schaffen als klassisch – auch wenn er, wie in einem der ausgestellten Werke, die Hauptfigur in der Leere des unteren Bilddrittels mit dem dunklen Boden verschmelzen lässt und einen dramatischen, kosmischen Feuerball ins Zentrum aller Aufmerksamkeit setzt. Dennoch warnt er seine Studenten, daß die Manierismen eines Stils sich nach einer gewissen Zeit gegen ihn wenden. Zugleich aber lässt er sie experimentieren.

 

Dieses Spannungsverhältnis kennzeichnet die Ausstellung „Sehnsucht nach Farbe“. Wir sehen die Spuren des Lehrers Moreau im Werk seiner Studenten. Wir erkennen bald: Matisse war nicht gemacht um Seestücke zu malen. Wozu er gemacht war, belegen diverse Zeichnungen und Drucke. Die Ausstellung zeigt sowohl Studien und Übungen von Georges Rouault oder Charles Camoin, wie auch in einem eigenen Raum die vollendeten Werke der jungen Fauvisten aus Moreaus Klasse. Eine Leistungsschau in Farbenpracht, dort offenbart sich die Sehnsucht und lässt flirrende Sommerlandschaften, wie scheinbar aus sich energetisch glühende Figuren entstehen. Ob Moreau mit jenen Studenten glücklicher war, die offensichtlicher seinem Stil und Vorbild folgten? Ihnen gebührt ein weiterer Raum, die angekündigte Farbigkeit gilt für ihr Schaffen weit weniger, aber sehr wohl findet man silberne und goldene Schmuckhintergründe und das Spiel feiner Details. In dieser Technik sehen wir Edgar Maxences zarte Portraits, wie auch Versuche an den drastischen Momenten der religiösen und mythologischen Themen, deren Grausamkeiten Moreau in scheinbar abwesender Grazie realisierte.

 

 

Doch vielleicht ist es eben dieses Ausserweltliche, was in seiner ornamentalen Inszenierung Kontakt mit der Malerei des ausgehenden Mittelalters aufnimmt, welches ebenso Moreaus Verbindung mit dem Schaffen der Jungen ermöglichte: Moreau zweifelte an der reinen Ansicht, was ihn interessierte waren Innenwelten. Zugleich inszenierte er diese mal emblematisch, mal theatralisch, aber nie mit dem Pathos seiner klassizistischen Zeitgenossen. Es ist die Spannung der Décadence, wie wenig klassisch für unsere Augen, daß bezeugen die hier ausgestellten, sehr selten gezeigten Skizzen und Entwürfe, sowie durchaus experimentellen Aquarelle in denen er sich gar in überraschend grellen Farben an japanischer Stilistik versucht. Sein Schaffen bezeichnet damit auch eine Moderne, die noch nicht eilig hervorprescht, sondern die eines vom Zeitenwandel erfassten Menschen, weder hier noch dort zuhause, sondern der zweifelnde Bewohner einer Zwischenwelt.

Die langjährige Direktorin des Clemens Sels Museums, Dr. Irmgard Feldhaus hatte einen Blick für jene Aspekte der Moderne. Als sie in den 60ern so fern wie nichts erschienen, sammelte sie auch symbolistische Kunst und schuf damit eine in Nordrhein Westfalen völlig eigenständige Perspektive auf den Beginn der klassischen Moderne. Insofern lohnt sich nicht allein ein Besuch der Ausstellung, sondern auch einer der ständigen Sammlung. Es ist der Höhepunkt der Ausstellungen zum 100. Jubiläum des Museums mit seiner außerordentlichen Kunstauswahl, grundlegend geprägt von Clemens Sels mit seinem Interesse an Werken von der deutschen Frührenaissance bis hin zu den Nazarenern. So scheinen die Symbolisten in Neuss kein Zufall, sondern ein Weiterführen von Sels‘ Gespür für die Ränder und Zwischenräume. Tatsächlich verbindet „Sehnsucht nach Farbe“ nun nicht alleine geographisch „1912 – Mission Moderne“ im Kölner Wallraf-Richartz-Museum und „Im Farbenrausch – Munch, Matisse und die Expressionisten“ im Museum Folkwang in Essen. Wenn der Betrachter, vielleicht erstmals, vielleicht nochmals, ein Verständnis jener Moderne sucht, dann trifft er hier auf solche überraschenden Momente, welche vorgeprägte Perspektiven zumindest ergänzen und im besten Fall gar Lücken schaffen, Raum für neue Sichtweisen.

Aber vielleicht ist das auch gar nicht nötig, vielleicht gibt es nichts zu staunen, sondern gälte es einfach die Idee des kulturellen Erbes neu zu verorten. Alles was vor der klassischen Moderne passierte, verbleibt dann in befremdlicher Ferne und die Fauves und Expressionisten bilden unsere neue Klassik. – So erscheint es just in diesen Tagen, wenn die Plakate der rotmündigen Schwarzäugigen hier und dort Besucher anziehen. Ist es nicht interessant, daß die gemalten Frauen fast nie in der Herrenwelt der Kunstakademien jener Zeit auftauchten? Es bleibt dem Betrachter frei gestellt, sich aus der, während der letzten 70 Jahre generierten, neuen Normalität hervor zu wagen und Fragen zu stellen, vielleicht ja im Versuch, dieses alte Sehnen nachzuempfinden – Nein, kein streng wissenschaftliches Vorgehen, sondern der Blick auf etwas Fremdes. „Sehnsucht nach Farbe“ liefert dafür von den drei aktuellen Ausstellungen der frühen klassischen Moderne in NRW wahrscheinlich die besten Chancen.


tags: , , , , , , , , , , , , , , , ,