Besprechung Schalcken

Besprechung
Schalcken


Zweideutig en Detail – Oliver Tepel über Godefridus Schalcken im Wallraf-Richartz Museum, Köln, bis 24.1.16

Gezwungen und genötigt, die Leiber der Unbekleideten. Reiter reißen sie auf ihre Pferde. Das Drama einer Versklavung. Doch mit Blick auf die rosige Haut und die letztlich doch etwas uneindeutige Mimik der Geschundenen, meint der Betrachter: „Zwei Herren geben zwei Damen Reitunterricht“.

Das ist aus Loriots Sketch „Eheberatung“, bei der betrachteten Szenerie handelt es sich um „Der Raub der Töchter des Leukippos“. Griechischer Mythos, von Peter Paul Rubens um 1618 so dramatisch, wie zweideutig interpretiert.
Rubens war seit drei Jahren tot, als Godefridus Schalcken 1643 im niederländischen Made das Licht der Welt erblickte. Rembrandt hatte unlängst seine „Nachtwache“ vollendet, der niederländisch – flämische Barock war aus heutiger Perspektive an seinem Zenith angekommen.

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Godefridus Schalcken, Das Gleichnis der verlorenen Silbermünze, 1680-85, Öl auf Leinwand, The Leiden Collection, New York

Noch war es vielleicht nicht zu spät, aber nicht nur Jean Leymaries einstiges Standardwerk „Die Holländische Malerei“ lässt die zu erzählende Geschichte bei dem nur elf Jahre älteren Vermeer enden. Möglicherweise sind es jene feinen und scharfen Trennlinien zwischen den Generationen, die auch hier über Inklusion oder Exklusion entscheiden. Dass Leymarie Schalcken nur einmal beiläufig erwähnt, mag aber noch andere Gründe haben. Der große Verdienst des französischen Kunsthistorikers ist, die Malerei des 20. Jahrhunderts in die nationalen Museen seines Landes gebracht zu haben. Aus der Perspektive der Moderne ist Schalckens detailreiches, stilistisch flexibles und den Auftraggebern schmeichelndes Oeuvre keiner besonderen Beachtung wert. Es hat in der Regel nichts von der Dramatik bei Aert de Gelder (den Leymarie im Vergleich zu Schalcken lobt) und es fehlt ihm der Rang des Innovatoren, wie ihn Gerrit Dou, der Erfinder der Leidener Feinmalerei inne hat. Dou war Schalckens zweiter und wohl bedeutendster Lehrer. Wie der feine, detaillierte Strich und die weißen Akzente Dous dem späteren Barock eines seiner Antlitze verlieh, so strebte Schalcken wohl auch nach einer Spezifität, etwas Besonderem, was ihn abhob und auszeichnete. Dabei gelang es ihm durchaus an die Qualität seines Lehrers anzuknüpfen, sie gar ab und an zu übertreffen. Doch dies war ihm selbst nicht genug, vielleicht auch im umkämpften Markt jener Zeit für eine große Karriere zu wenig. So wurde ein Sujet, das Nachtstück oder besser die dunkle, spärlich von einer Kerze illuminierte Kammer, zu seinem Markenzeichen. Doch nicht nur das. Da ist auch eine gewisse Stimmung, das Spiel mit Doppeldeutigkeiten, die alsbald auch zu augenzwinkernden Eindeutigkeiten geraten. So könnte es sein, dass sie nach dem Rundgang wieder vor dem ersten Bild stehend, einem Selbstporträt aus dem Jahr 1679, Schalckens Geste nicht mehr kulturhistorisch als Zeichen der Aufrichtigkeit interpretieren, sondern als Fingerzeig auf seine immense Lockenpracht „ich hab die Haare schön“.

Staatliche Kunstsammlungen Dresden Gemäldegalerie Alte Meister Galerienummer 1786 Godfried Schlacken Brieflesendes Mädchen Eichenholz: 027x0,205m Aufnahme: Estel/Klut Dresden E1786/1

Godefridus Schalcken, Brieflesendes Mädchen bei Kerzenlicht, um 1689, Öl auf Eichenholz, Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kuntsammlung Dresden

Wenn Ihnen diese Perspektive zu ignorant und schon gar nicht kunstgeschichtlich seriös erscheint, mögen sie dies der wahrscheinlich von „Klimbim“ und Didi Hallervorden geprägten Verkommenheit des Autoren ankreiden oder einfach die Ausstellung besuchen, welche für das Phänomen Schalcken mit dem Titel „Gemalte Verführung“ eine etwas subtilere Beschreibung anbietet.
Doch erstmal zurück zur Dunkelheit, in welche der Besucher unweigerlich taucht, betritt er die Ausstellungsräume im Souterrain. Spots erhellen sanft Bilder und Wandtexte vor tiefblauem Hintergrund. Die oftmals kleinen Formate lassen den Besucher nah an die Werke treten, so animiert das Format zum angemessenen Blick, auf all die Details. Und Schalckens Stoffe, geklöppelte Spitzen, gewebte und gedruckte Muster beeindrucken ebenso wie alles Glänzende, sei es Metall oder die Schuppen eines Herings, und dann ist da noch des Glanzes Quell: das Kerzenlicht. Hier umgeht er einfache Tricks, auch deshalb konnte er sich diese kleinen Formate leisten, der nahe Blick, der ihn am Kunstmarkt etablierte.

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Godefridus Schalcken, Die Heringsverkäuferin, 1675-80, Öl auf Eichenholz, Rijksmuseum, Amsterdam

Gleichzeitig überraschen manche Unausgewogenheiten der Detaildarstellung. Oft malt er aus der Perspektive eines Mittelformat Objektivs mit geringer Schärfentiefe: ein präziser Hauptgrund und ein in Farbflächen versinkender Hintergrund, oft nicht Schwarz, sondern (eigentlich richtiger) mal als bräunliches, mal grünliches Grau oder das schwache Rot des fernen Kerzenscheins getaucht. Eigentümlich beeindruckend, wie diese Effekte wirklich an den Blick der Kamera erinnern. So richtig die Darstellung, so dissonant doch mitunter die Wirkung.

Der Kuratorin Anja K. Sevcik ist dies bewusst. Am Scheitelpunt der Ausstellung erklären Filme Machart und auch Restauration der Werke und in einer kleinen, historisch Eingerichteten Stube lassen sich Lichteffekte per Kippschalter simulieren. Dass sich der Besucher selbst in den Raum setzen und via Handy im gewünschten Lichtszenario ablichten lassen kann, ist keine blöde Spielerei, sondern eine Kluge und ähnlich wie die anschaulichen, sowie gut lesbaren Wandtexte eine Stärke des pädagogischen Konzepts des Wallraf.

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Blick in die Ausstellung „Schalcken – Gemalte Verführung“ im Wallraf-Richartz Museum, Köln

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Godefridus Schalcken, Junge, in eine Fackel blasend, 1692-96, Öl auf Leinwand, National Galeries of Scotland, Edinburgh

In der zweiten, vornehmlich Schalckens Spätwerk gewidmeten Hälfte treffen wir auf größere Formate. Auch ihr Inhalt ändert sich. Nun bestimmt jene, in der Renaissance etablierte Mischung antik griechischer und christlicher Thematik sein Werk. Ein Höhepunkt dieser Retrospektive ist Schalckens neutestamentarische Analogie „Die klugen und die törichten Jungfrauen“, in welcher der Maler die Meisterschaft seiner Hell-Dunkel-Malerei vorführt, nur sind es keine Kerzen, sondern Flammen auf Öllampen. Strahlend hell jene derer, die Öl zum Nachfüllen mitbrachten, langsam ersterbend jene der Unbedachten, nun dem Schicksal geweiht, in der Dunkelheit zu verschwinden, unsichtbar für jenen, der noch auf sich warten lässt. Es ist nicht leicht, ihre Torheit einfach als gerechte Strafe abzutun, etwas in ihren Mienen lässt den Betrachter mitfühlen, während ihr Schicksal unabwendbar vorgezeichnet ist. Plötzlich vermag sich Schalcken einem Manko seiner Malerei zu stellen, dem oft zu schematischen Gestus und der im Vergleich zu seinen niederländische Vorgängern kaum überzeugenden Mimik, welche er früher durch seine Sujets des repräsentativen Portraits oder der Darstellung versonnener, junger Damen weitestgehend kaschieren konnte. Eindrucksvoll beweist wenige Meter weiter die gedrängte Personengruppe in „Die Verleugnung Christi“ diese neu gefundene Qualität. Petrus’ Angst, das insistierende Geifern derer, die ihn umringen und insbesondere die unbewussten Elemente der Gesichter erinnern nun doch an das Vermögen von Gerrit van Honthorst oder Frans Hals.

Doch was Schalcken in die Kunstgeschichte zurückbrachte, war sein Talent, seine spezifischen Fähigkeiten in neue Kontexte zu übersetzen. 1692 bis 1696 lebte er in England und adaptierte den dortigen Stil auf eine Weise, die seinen englischen Bildern gar eine Vorahnung der Romantik verleihen. Das „Portrait der Mary Wentworth“ bezeugt in der Ausstellung jene Qualitäten. Der Amerikaner Wayne Franits, einer der führenden Barock Experten unserer Tage begann vor einigen Jahren mit der Forschung, insbesondere über Schalckens Jahre im Vereinigten Königreich. Vielleicht gab er den Impuls oder es war einfach eine Koinzidenz, ausgehend von einem neuen Blick auf den ausgehenden Barock, doch so findet nun alles zusammen im Katalog der ersten Godefridus Schalcken Retrospektive.
Es ist diese Art Ausstellung mit der sich das Wallraff seit einiger Zeit positioniert. Die ganz großen Namen sind Berlin und noch Frankfurt vorbehalten, längst gilt es, Nischen in der Ausstellungslandschaft zu finden. Sich dabei nicht komplett kanonisierten Künstlern wie Schalcken oder vor einigen Jahren Cabanel zu widmen, erscheint als ein interessanter Ansatz. Eigentlich hat Schalcken es ja vorgemacht, wie es mit den Nischen klappt.

Gem‰lde , Eichenholz (1670 - 1680) von Godfried Schalcken [1643 - 1706]Bildmafl 19,8 x 15,6 cmInventar-Nr.: 237Systematik: Kulturgeschichte / Kunst / Portr‰ts / Kinderportr‰ts / 17. Jh.

Godefridus Schalcken, Knabe mit Pfannkuchenmaske, 1670-80, Öl auf Eichenholz, Hamburger Kunsthalle

Am Ende bleibt das Staunen über seine Detailbesessenheit, die den geknüpften Teppich in „Venus überreicht Amor einen brennenden Pfeil“ nahezu fühlbar macht und das Erstaunen, wenn er im Hintergrund des selben Werks ans Ufer brausende Wellen lediglich mittels ein paar lässiger weißer Pinselstriche skizziert. Die Schaumgeborene des Spätwerks führt uns auch zurück zu jenen Doppeldeutigkeiten, die einst auch einem Loriot in eine unverhohlene Schlüpfrigkeit kippen konnten (und wollten). Ihm haben wir das längst verziehen, ach was, wir haben es immer geschätzt und so mag auch ein Reiz mancher barocker Kunst darin liegen, in bedeutungsvoll allegorischem Gestus das Unmittelbare nur spärlich zu verschleiern (ob es einem moralisch politischen Diskurs standhält, ist eine andere Frage. Ich hoffe, es ist ok, sie hier mal nicht zu stellen.).

Artikelbild: Godefridus Schalcken, Selbstporträt (Ausschnitt), 1695, Öl auf Leinwand, Leamington Spa Art Gallery and Museum


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