Mit Herrn Rancière im Park.

Mit Herrn Rancière im Park.


Darf mir eine Skulptur einfach so gefallen? Oliver Tepel vorab über „Köln Skulptur #8“, Skulpturenpark, Köln, Eröffnung 14. Juni 2015

Wenn die Sonne strahlt und eine frühsommerliche Blütenpracht die Wiesen in weiss, rosa und violett schmückt, eröffnet am 14.6. zum achten Mal der Kölner Skulpturenpark mit einer teils neuen Auswahl an Werken. Kurator Thomas D. Trummer, Leiter des Kunsthaus Bregenz, wählte sieben Arbeiten von bislang noch nicht im Skulpturenpark vertretenen Künstlern.
Doch nicht von den noch unbekannten Werken will dieser Text berichten. Sein Thema passt vielmehr auf eine Karte. Kunde von der Neueröffnung und den hinzugefügten Künstlern gibt eine DIN A4 große Karte auf festem Karton mit einem Glanzlack überzogenen Photo. Wendet man sie, erwartet den Eingeladenen im Verso recht prominent ein Zitat des Kuratoren:

„Skulpturen sind ‎widerständige Setzungen und keine Schmuckinseln“

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Einladung Köln Skulptur #8 (Vorderseite)

Dieses Zitat stellt uns Herrn Rancière als Begleiter durch die neu gestaltete Ausstellung an die Seite. War es doch der französische Theoretiker, welcher den Begriff des Widerständigen in die Kunstwelt brachte, insbesondere durch seinen Vortrag aus dem Jahr 2004 „Ist Kunst widerständig?“ in dem er die gestellte Frage bejahte. Hierfür entwarf er eine Theorie jener Regime, welche bestimmen, was als Kunst gilt. Die seit der Antike wirksamen, ethischen und repräsentativen Regimes ordneten diese Zugehörigkeit autoritär. Qua ihrer Macht definierten sie den Bereich der Kunst. Anders, laut Rancière, das ab circa 1750 einsetzende „ästhetische Regime“, die beginnende Welt der Moderne, in welcher nicht das Wissen, sondern der unmittelbare sinnliche Eindruck die Kunst-Zugehörigkeit bestimmt. Gleichwohl ist die Kunst bei Rancière (zumindest zum Zeitpunkt an dem er seine Theorie verfasste) nicht vom Leben oder der Politik getrennt, sondern sie schafft Verwirrung, bricht in die Sphären ein ohne sich dort wirklich fest zu verorten. Kunst ist somit Teil der modernen Idee einer steten (selbst-)Erneuerung. Zugleich ist sie kein politisches Werkzeug. Ihr Widerstand besteht darin, daß sie sich entzieht. So wie es Rancière selber in seinen Gedanken zu jener „Juno Ludovisi“ genannten antiken Plastik beschreibt, welche während der Klassik als Verkörperung der Schönheit galt: „Weil sie nichts will, weil sie ausserhalb der Welt des befehlenden Denkens und Willens steht, weil sie alles in allem ‚unmenschlich ‚ ist, deswegen ist die Statue frei und präfiguriert eine Menschheit, die wie sie von den unterdrückenden Bindungen des Willens befreit ist.“ und weiter: „Das Paradox des Widerstands ohne Widerstand äußert sich also in seiner ganzen Reinheit.“

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Lois Weinberger, Spur, 2015, Erde, Pflanzen © Stiftung Skulpturenpark Köln, 2015

Rancières Gedanken wurden zu einem Kernbestandteil des Theorieapperates der Documenta 12 anno 2007 und fanden vielfaches Echo, meist positiv. So erscheint es naheliegend Rancières Begriff in Thomas D. Trummers Zitat zu vermuten. Doch ergibt das nicht eine komplette Dissonanz?

„Skulpturen sind ‎widerständige Setzungen und keine Schmuckinseln‎.“

Ist dieses Statement doch eine autoritäre Zuordnung im Sinn des ethischen und des repräsentativen Regimes. Zudem scheint sie auch obsolet, da im ästhetischen Regime die Kunst qua sinnlicher Erfahrung als Solche erkannt wird. Doch wenn wir die Karte nochmals auf ihre Bildseite wenden, bemerkt man eine wohlinszenierte Spannung. Kein Kunstwerk erscheint auf dem Photo in seiner Gänze. Text wurde über jenes Objekt, was den größten Teil des Bildraums füllt gelegt, so erscheint sein glänzendes, strukturiertes Schwarz als stilvoller, ja schmückender Hintergrund. Doch was ist es überhaupt? Ein Baum? – Die Struktur lässt diese Assoziation zu, so auch die Farbe. Doch könnte es auch der Teil einer Mauer sein. Nochmals die Karte gewendet verrät mittig ein Text, daß es sich um das Detail einer unbetitelten Skulptur von Günter Förg handelt. Derart steht das Photo in Opposition zum Statment. Warum wurde die Karte so gestaltet?

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Günther Förg, Ohne Titel, 1994, Bronze © Stiftung Skulpturenpark Köln, 2015

Vielleicht hilft es zur Beantwortung ‎nochmal unseren Begleiter Herrn Rancière zu befragen.
Über die Regime der Kunst setzt er die Alltagsästhetik, bei ihm „erste Ästhetik“ genannt. Hier wird die Welt in verschiedene Sphären aufgeteilt, etwa die der Kunst oder der Arbeit. Im Park treffen nun verschiedene Sphären aufeinander, die späte Moderne sah solche Effekte kritisch, konstruierte einen neutralen weissen Raum in dem kein falsches Licht, geschweige denn Tapeten die Auseinandersetzung mit den Werken beeinflussen. Doch der Park beinflusst und nicht nur das, er zählt wahrscheinlich zu einer Sphäre, die man Freizeit nennen könnte und die Kunst kollidiert in ihm mit den Ansprüchen an einen netten Spaziergang. Zudem rückt die Naturerfahrung des Städters der Kunst gefährlich nah. Ein Baum erscheint selbst auch im Bewusstsein seiner Funktion im Ecosystem als zweckfrei, er ist einfach da, Objekt des Wohlgefallens. Manchmal bietet er Schatten, einige Skulpturen vermögen dies ebenfalls. So sind die in der Regel für den freien Raum entworfenen Arbeiten in einer verwirrenden Konkurrenz mit der Natur und ihrer Definition als Kunst.

Vielleicht stellt sich die Frage, warum ihre Unmittelbarkeit sie nicht deutlicher abgenzt. Hier vermutete Ruth Sonderegger in ihrem Vortrag „Institutionskritik“ einen möglichen blinden Fleck in Rancières Theorie, den, daß das Verständnis der Ästhetik einer Kust, die für sich alleine steht, ebenfalls gelernt sein will. Der von Rancière stets heftig kritisierte (und deswegen auf unserem gemeinsamen Spazierweg besser nicht zu erwähnende) Pierre Bourdieu würde die Ästhetik jener Kunst der Moderne als eine bürgerliche beschreiben und damit einen Konflik in ihrem Anliegen sehen, den Arbeiter zu befreien. Diese Konfliktlinie ist nicht neu, sie prägt Vorurteile auf allen Seiten und führte vor Jahrzehnten (als es hier noch viele Arbeiter gab) zu solchen öffentlichen Diskussionen wie sie Jür­gen Har­ten, da­mals Stell­ver­tre­ter des Düsseldorfer Kunst­hal­len­di­rek­tors Karl Ruhr­berg im Rahmen der „Between“ Ausstellungen führte. Doch kann dieses Spannungsfeld hier nur angedeutet werden. Der einladende Park mit seinen schmucken Elementen von denen einige aber nicht Schmuck sein sollen, auf dieses Konfliktfeld, scheint Thomas D. Trummer weisen zu wollen. Selbst wenn er dabei nicht an Rancière dachte, so hilft dieser möglicherweise diese Vielfalt zu verstehen, welche sich in der Mitte, zwischen den Seiten einer einfachen, wohldurchdachten Einladungskarte verbirgt.

Burr Tom

Tom Burr, No Access, 2015 (Detail), Edelstahl, geschwärzt, poliert, Alucobond, Aluminium © Stiftung Skulpturenpark Köln, 2015

Gespannt ist man auf die neu hinzugefügten Arbeiten und vielleicht auch etwas bang, ob das ein oder andere Lieblingswerk weichen musste. Vielleicht erinnert die Karte auch an diesen Akt der Verwaltung des Widerständischen. Auch die schwerste oder größte Skulptur kann demontiert werden, doch was ist mit dem Widerstand in der Abwesenheit? Es ist nicht jene ‚Abwesenheit von Widerstand‘ der Göttin Juno. Es ist eine wahrscheinlich ungeklärte Geste (wenn ich es recht sehe, zuckt Herr Rancière mit den Schultern), die einem Kuratoren der entsprechend handeln muss, sicher nicht leicht fällt. Mag sein, daß die Einladungskarte auch hiervon Zeugnis gibt. So sind die unmittelbaren Werke doch in einem System aus Theorie, Auswahl und Bewertung verfangen, vielleicht viel verstrickter, als im reizvollen Mit- oder Gegeneinander innerhalb des Parks und all den Gedanken, die zwischen die zwei Seiten einer Einladung passen. Wenn einem die Werke im Skulpturenpark oder anderen Orts mitunter nur gefallen, greift es deren Widerständigkeit nicht an, vielleicht ist es sogar ihn ihrem Sinn.

Zitate:
Jacques Rancière – Ist Kunst widerständig?: [Vortrag, gehalten auf dem 5. Internationalen Philosophischen Symposium Nietzsche und Deleuze: Kunst und Widerstand, Fortaleza, Brasilien, 2004], Berlin, 2008.

Ruth Sonderegger – „Institutionskritik? Zum politischen Alltag der Kunst und zur alltäglichen Politik des Ästhetischen“, Symposium der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik: „Ästhetik und Alltagserfahrung“, Jena, 2. Oktober 2008.


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