Martin Soto Climent

Martin Soto Climent


Jonas Schenk über Martin Soto Climent „Paradise“ bei DREI, Köln, bis 21.5.

Verwendeten feministische Positionen wie VALIE EXPORT oder Anne Sprinkle die Nacktheit des eigenen Körpers zur Verbreitung vaginaler Panikmache, so hat der Akt der weiblichen Entblößung heute sein die Gesellschaft erschütterndes Potenzial verloren. Zwar erfährt die Vagina im Gegenzug zum männlichen Gegenpart einen gewissen Grad an Liberalisierung ihrer Ausstellbarkeit, doch geht diese visuelle Dominanz – nicht zuletzt in US-amerikanischen Serien – mit einer latenten Ungleichheit einher, wenn man bedenkt, für welche Konsumenten Nacktheit eigentlich inszeniert wird. Der passive Fetisch einer sexualisierten Weiblichkeit in Werbung und TV ist präsent genug, dass es prinzipiell keiner Pornos mehr bedarf. Pornographische Praktiken der Körperexhibition, denen es an einem distanzierendem Dazwischen fehlt, beweisen mittlerweile ihre Alltagstauglichkeit. Die Frage ist und bleibt: Wer bestimmt über die Politiken des Blicks auf sexuelle Identität.

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Martin Soto Climent, ‚Paradise‘, 2016, Installationsansicht DREI, Köln

So bildet Martin Soto Climents (*1977, Mexico City) aktuelle Ausstellung Paradise bei DREI eine Schnittstelle zwischen nonchalanter Offenlegung und Verfremdung. Indem die Darstellung um eine ganz bestimmte (weibliche) Körperregion kreist, könnte man Climent eine gewisse Fixiertheit unterstellen, doch sind die Objekte alles andere als flach.

Gleich zu Beginn wird das Video einer Performance gezeigt, die sich auf ähnliche Weise bei der Eröffnung abgespielt hat. Mann und Fraue in floraler Kleidung teilen sich ein Hosenbein, ringen um Balance und Führung, die Frau trägt den Mann, Schwäche vs. Stärke. Erst während der Performance findet die Ausstellung ihren Abschluss: Nacheinander stellen sie gerahmte Collagen auf den Boden, die die Rauminstallation vollenden. Diese, sowie drei Wandobjekte, durchschreiten die Metamorphose einer eigensinnigen Wandlung: vom Schlips zum Schlitz. Auf Holz montiert – Sockel oder Trophäe? – wurden die Wandobjekte derart mit Leder bezogen, dass sich in ihrer Mitte ein Spalt öffnet, und sie eine frappierende Fleischlichkeit simulieren. Die Anspielung dürfte unmissverständlich sein. So liegen sie entblößt dar, und sprechen von einem Verlust an Sinnlichkeit zugunsten einer ökonomisierten Sichtbarmachung, bei der es heißt: Fleisch = Gewinn. Isolierte Darstellungen abstrahierter Weiblichkeit, dessen Inneres offen vor einem liegt. Doch dieses Innere beherbergt die Pointe der Schau. Eingelassen in dieser Fuge, befindet sich jeweils eine selten schöne Krawatte.

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Martin Soto Climent, ‚Promise (blue prince)‘, 2016, Leder, Kravatte, Holz, 30 x 20 x 13 cm

In der Verschränkung der offensichtlich männlichen konnotierten Krawatte, eingebettet in die weibliche Scham, gewinnt das Thema der Ein- und Entgrenzung weiblicher Sexualität doppeldeutige Brisanz. Handelt es sich um einen Moment der Einverleibung, und wenn ja, von wem geht er aus? Man fühlt sich an den wunderbaren Titel einer Arbeit von Dale Frank erinnert: Her only talent lay in her veracious appetite for dick (2015). Hat man es mit einer symbiotischen Koexistenz oder eine parasitäre Einnistung zu tun, die die Frau auszuhöhlen versucht? Die Collagen spielen mit einer ähnlichen Bildidee: Gerahmte Laminatstücke, die von einem Riss durchzogen sind, durch die sich ebenfalls wieder Krawatten oder Lederstücke hindurchzwängen und dabei prägnante Faltungen aufwerfen. Besetzung der Weiblichkeit durch den Mann oder ein Versuch der Travestie oder des Mimikris?

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Martin Soto Climent, ‚Fissure (Poison Tongue)‘, Laminat, Kravatte, Aluminium, 30 x 20 x 7 cm

Die Sexualisierung beginnt mit dem eigenen Schauen und Bewerten. Schamlos im wahrsten Sinne, wird man in der Ausstellung mit Schlitzen, Fugen und Öffnungen konfrontiert, die eine recht bestimmende Lesrichtung angeben, bei denen vaginale Wahrheiten ostentativ nach außen gekehrt werden. Scham und Beschämung liegen hier sprichwörtlich nah beieinander. In einem erhöht gehängtem Mantel, befestigt Climent ein gerahmtes Feigenblatt, an der Stelle, wo Adam und Eva sie üblicherweise tragen würden. Mit der Erkenntnis ihrer Endlichkeit nach dem Rauschmiss aus dem Paradies, werden sie sich gleichzeitig ihrer Nacktheit bewusst. Was zuvor als Urzustand angenommen wurde, gibt ihnen anschließend im Angesicht Gottes nun Grund zur Blöße.

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Martin Soto Climent, ‚Paradise‘, 2016, Installationsansicht DREI, Köln

Gerade die Offenheit von Climents Anspielungen bringen spielerische Assoziationen hervor. Es ist diese Mehrdeutig der Werke, die trotz ihrer visuellen Deutlichkeit ein Moment des Dazwischen formulieren, durch die die Ausstellungen ihren humoristischen Anstrich verliehen bekommt. Wer frisst hier eigentlich wen?


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