Besprechung Joan Mitchell

Besprechung
Joan Mitchell


„und oben drauf bin ich eine Frau“ – Noemi Smolik über Joan Mitchell „Retrospective. Her Life and Paintings“ im Museum Ludwig, Köln, bis 21.2.

Selten gibt es Ausstellungen, die so viel Freude bereiten, wie die der US-amerikanischen Malerin Joan Mitchell im Museum Ludwig. Man schaut, leicht beschwingt, fühlt sich wie aus der Zeit geschleudert. Und wundert sich: Das sollen Bilder einer Malerin sein, die 1925 geboren wurde? Sie könnten genauso gut von Zeitgenossen, wie Günther Förg stammen. Dieses „Zeitgenössische“ war es auch, was Yilmaz Dziewior, Direktor des Museums Ludwig in Köln, dazu veranlasste, das Werk dieser Malerin nach Europa zu bringen. Jetzt ist die Ausstellung, hervorragend aufgearbeitet, nach ihrer ersten Station im Kunsthaus Bregenz in Köln zu sehen.

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Installationsansicht Joan Mitchell. Retrospective. Her Life and Paintings. Museum Ludwig, Köln 2015 © Rheinisches Bildarchiv / Britta Schlier

Mitchell wächst in einer gut situierten Familie in Chicago auf. Schon als Kind schreibt sie Gedichte, ist als Eiskunstläuferin erfolgreich, beginnt, Kunst am Art Institute in Chicago zu studieren. Sie begeistert sich für den mexikanischen Muralisten Diego Rivera und verbringt ihre Sommerferien in Mexico. 1948 zieht sie nach New York, wo sie sich mit den damals noch völlig unbekannten Malern Franz Kline und Willem de Kooning anfreundet. 1949 verbringt sie in Paris. Hier begegnet sie dem Kubismus.

Das erste Bild in der Ausstellung aus dem Jahre 1951 zeigt noch deutlich den kubistischen Einfluss. Diese Prägung unterscheidet Mitchell von den meisten Malern des abstrakten Expressionismus, zu denen sie gerechnet wird. Denn während diese ihren Ursprung im Surrealismus haben, orientiert sich Mitchell am Kubismus. Das bewahrt sie davor, sich ganz und gar dem Gefühl zu überlassen. Ihre Bilder sind zwar auch emotionaler Ausdruck, doch die Emotionen werden konzeptuell strukturiert. Ihre Striche sind nie nur Spuren expressionistischer Gesten, sondern haben gleichsam eine kaligraphische Qualität.
Dem Kubismus verdankt Mitchell auch ihren Umgang mit Raum. Ihre Bilder sind nicht so flächig, wie etwa die eines Jackson Pollock oder Marc Rothko. Vielmehr bewegen sich die Striche und Farbflächen auf der Bildfläche in einer räumlichen Ausdehnung.

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Joan Mitchell Untitled, 1951, Öl auf Leinwand, 165,1 x 175,6 cm © Estate of Joan Mitchell, Collection of the Joan Mitchell Foundation, New York, Foto: Günter König

Diesen kubistisch beeinflussten Bildern folgen abstrakte Leinwände, die von farbigen Strichen dominiert sind, verteilt von Mitchell mit einer erstaunlichen Souveränität auf weißem Grund. Zwei Bilder von 1964, die Mitchell selbst als „Schwarze Bilder“ bezeichnet, fallen auf. Sie sind nach dem Tod ihres Vaters und während der Krebserkrankung ihrer Mutter gemalt. Erstaunlich diese Fragilität und Verletzlichkeit, die in den Strichen und den hektisch aufgetragenen Flächen zum Ausdruck kommt. Sie markieren einen Bruch im Werk dieser Malerin.

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Joan Mitchell Untitled, 1964, Öl auf Leinwand, 274,3 x 201,9 cm Collection of the Joan Mitchell Foundation, New York © Estate of Joan Mitchell, Collection of the Joan Mitchell Foundation, New York, Foto: Günter König

Die Ausstellung legt großen Wert darauf, das Werk Mitchells im Kontext ihres Lebens zu präsentieren. Denn während viel Aufhebens um Leben und Wirken ihrer männlichen Kollegen gemacht wurde, blieb sie fast unscheinbar. Dabei hatte sie ein durchaus „aufregendes“ Leben: Bereits 1952 richtete ihr die New Gallery in New York eine Einzelausstellung aus, 1953 war sie in einer Gruppenausstellung in der New Yorker Stable Gallery, in der sie anschließend noch 6 mal ausstellte, und 1955 im Whitney Museum vertreten. 1959 dann war sie auf der II. documenta in Kassel. Sie war mit dem Dichter Frank O’Hara befreundet, korrespondierte mit dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, hatte ein Verhältnis mit dem Schriftsteller Samuel Beckett. Allerdings erfährt man im Katalog auch, dass sie 1962, nach einer erfolgreichen Ausstellung in der Pariser Galerie Lawrence auf Anraten des Kunstkritikers Clement Greenberg dort wieder hinausflog. Greenberg hielt prinzipiell nicht viel von weiblichen Künstlern, die „doch nur schwanger werden“.

Portrait_1983

Portrait von Joan Mitchell in ihrem Atelier in Vétheuil, 1983 © Collection of the Joan Mitchell Foundation, New York, Foto: Robert Freson

Unbeirrt arbeitet Mitchell weiter. In den 70ern entstehen Bilder wie das „Closed Territory“: große farbige Flächen wechseln sich ab, treten nach vorne, überlagern sich, treten zurück. Die Farben Blau, Gelb und Orangerot überwiegen. Solche Bilder sind Höhepunkte in der Kölner Ausstellung. Aus den 80ern stammen riesige mehrteilige Gemälde aus farbigen Strichen. Im Museum Ludwig werden sie in einem Raum gezeigt und man kann nicht anders, als an die „Seerosen“ von Claude Monet denken.

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Joan Mitchell Closed Territory, 1973, Öl auf Leinwand Triptychon, 280 cm x 560 cm, © Estate of Joan Mitchell, Privatsammlung, Frankreich, Foto: Günter König

Die letzten Bilder der Ausstellung stammen aus dem Jahr 1992. Auch sie sind, wie alle Bilder von Mitchell mit Öl auf weiß grundierten Leinwänden gemalt. Doch wie sie die Ölfarbe auf den Untergrund aufträgt, wie sie die blauen Striche vertikal zieht, die Farbe nach unten fließen lässt und ihr die orangeroten Schleifen entgegenstellt zeugt von einer Gelassenheit, die nur durch lebenslanges Ringen erreicht werden kann. Es ist diese Gelassenheit, stellenweise fast Heiterkeit, gepaart mit den Spuren ausgetragener Kämpfe, die das Werk Mitchells von den abstrakten Expressionisten unterscheidet.

Merci_1992

Joan Mitchell, Merci, 1992, Öl auf Leinwand, Diptychon 280 x 360,1 cm © Estate of Joan Mitchell, Collection of the Joan Mitchell Foundation, New York, Foto: Günter König

Dieser Mut zur Heiterkeit im Widersprüchlichen macht – neben dem Aspekt des Konzeptuellen und der Weigerung, die Malerei auf die Fläche zu reduzieren – Mitchells Malerei aus. Denn während Generationen von expressionistischen Malern – weniger Malerinnen – weiter dem männlich dominierten Kult einer von Selbsthass, Zorn, Schuld und Gewalt getriebenen Malerei nachhingen, machte Mitchell sich daran – inspiriert von der Malerei eines Claude Monet und Henri Matisse – zu einer das Leben bejahenden Malerei vorzudringen, ohne jedoch den oft verstörenden Gefühlen ganz abzuschwören. Das betrieb sie mit einer Entschlossenheit, die ihre Kraft aus einer farbenfrohen Dankbarkeit dem Erlebten gegenüber schöpfte. Mitchell nennt auch deshalb eines ihren letzten Bilder von 1992 „Merci“. Es ist wohl diese heitere Leichtigkeit, die ihr Werk so zeitgenössisch erscheinen lässt.


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