Besprechung Heroines – Johanna Reich

Besprechung
Heroines – Johanna Reich


WE COULD BE HERO(IN)ES JUST FOR ONE DAY – Julia Sprügel über das Litfaßsäulenprojekt von Johanna Reich in Köln (verlängert bis 13.3.2016 an 200 Säulen)

Der Blick ist unruhig im öffentlichen Raum. Botschaften, die Aufmerksamkeit erzeugen wollen, müssen schnell sein. Außenwerbung ist mit überlebensgroßen Models und kurzen Slogans auf diesen Mechanismus getrimmt. In Köln werden jetzt auch auf Wunsch der Stadt die herkömmlichen Litfaßsäulen durch hinterleuchtete City-Lights-Säulen ersetzt. In der Phase des Umbaus hat die Kunsthochschule für Medien (KHM) die seltene Gelegenheit, die sonst teuren Werbeflächen an prominenten Orten, wie etwa mitten auf dem Neumarkt, vollflächig über mehrere Monate als Ausstellungsort zu nutzen. Die in Köln lebende Künstlerin Johanna Reich ist bereits die zweite Künstlerin, die diese Transitzone für ihre Arbeit nutzt.

Eigentlich wirkt die Litfaßsäule, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Ernst Litfaß als Massenmedium zur Verbreitung von Werbung und Nachrichten erfunden wurde, wie ein Relikt des 20. Jahrhunderts. Mit erstaunlicher Wirkung zeigt Johanna Reich, die eher für ihre Videoarbeiten bekannt ist, auf diesen analogen Werbeträgern das Projekt Heroines. Ihre Bilder auf den schwarz verkleideten Säulen schaffen es, den Blick einzufangen, gerade weil sie mit der sonst eindeutigen Bildsprache im öffentlichen Raum brechen.

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Foto: Johanna Reich

Für Heroines hat die in Köln lebende Künstlerin und Absolventin der KHM junge Frauen gebeten, weibliche Persönlichkeit zu nennen, von denen sie aufgrund ihres Charakters, ihres Talents oder ihrer Biografie fasziniert sind. Die ausgewählten Bilder dieser Heldinnen – Coco Chanel, Marilyn Monroe oder Angelina Jolie – projiziert sie auf die Gesichter und Körper der Teilnehmerinnen und friert sie als fotografische Portraits ein. Was auf den ersten Blick wirkt, wie Star-Poster aus Jugendzimmern, sind Vexierbilder, in denen das Auge nicht sofort vermag, die Formen voneinander zu trennen und zu erkennen, was „echt“ und was projiziert ist.

Heroines nimmt die in den Medien erzeugten Bilder und führt vor Augen, wie sich die idealisierten und dadurch oft unerreichbaren Vorbilder mit den Persönlichkeiten und Lebenswelten der jungen Mädchen vermischen. Damit zeigt Reich den eigentlich innerlich ablaufenden Prozess der Identitätsbildung auf, der insbesondere in Kindheit und Jugend stattfindet. Die Orientierung an Identifikationsfiguren, etwa aus dem Showbusiness, ist hier einerseits Mittel zur selbstbestimmten Persönlichkeitsentwicklung, andererseits der Rückzug in Traumwelten.

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Foto: Johanna Reich

Sich der Illusion hinzugeben, dem „nicht realen Bild“ zu folgen und zu sehen, wie es entsteht, das sind Elemente, die in vielen Arbeiten von Johanna Reich eine Rolle spielen. Sei es, wenn sie mit dem einfachen Mittel einer Glühbirne einen zweiten Mond in den Nachthimmel zaubert (La Lune) oder wenn sie sich selbst in ihren eigenen Projektionen aufzulösen scheint (etwa in Black Hole oder Cut). In Kassandra greift Reich die Videoarbeit Personal Cuts der kroatischen Künstlerin Sanja Ivekovic auf, in welcher diese sich nach und nach das Gesicht von einer dunklen Nylonstrumpfhose frei schneidet. Auch Heroines lässt an Ivekovic denken, die etwa in Collagen wie Double Life untersucht, wie medial erzeugte Frauenbilder in das Alltägliche abstrahlen. Allerdings sollte man Reich nicht in einer rein feministischen Lesart verstehen. In ihren Versuchen, Bilder zu ergründen, schwingen eher universellere Frage mit: Gibt es überhaupt so etwas wie „das wahre“ hinter dem „unwahren Bild“? Oder blicken wir bei dem Versuch, dahinter zu kommen, immer auf die Illusion zurück?

Johanna Reich verfolgt Heroines bereits seit 2012 und hat das Projekt seitdem in unterschiedlichen medialen Varianten in Ausstellungen wie etwa in der Kunsthalle Wilhelmshaven gezeigt. Dass sie damit jetzt über die Litfaßsäulen aus dem Museum heraustritt ist nur folgerichtig, weil diese serielle Arbeit das Potenzial dazu hat, auch einem nicht per se kunstaffinen Publikum, Fragen zu stellen: Welche Macht haben medial erzeugte Frauenbilder? Was lösen sie in den Köpfen von Mädchen aus, die sich in einer Phase ihres Lebens befinden, in der vieles noch offen ist, in der die Suche nach Talenten, Vorlieben oder dem richtigen Kleidungsstil noch nicht abgeschlossen ist?

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Foto: Johanna Reich

Eigentlich schreit Außenwerbung nur so von Worten und Zahlen. Doch von solchen eindeutigen Botschaften distanziert sich Johanna Reich. Damit unterscheidet sich ihre Arbeit von der ihres Säulen-Vorgängers, Christian Sievers mit dessen Projekt Hop 3. Unter der programmatischen Überschrift Wir haben keine Angst forderte dieser auf den Plakaten mit riesigen Ziffern den Betrachter auf, eine Handynummer anzurufen und sich so in das weltweite Überwachungsnetz einzuwählen.

Wenn Johanna Reich sich den Luxus leistet, Gesichter in die Stadt zu tragen, deren Abbildungen keinen direkten ökonomischen Zweck verfolgen, nimmt sie vielmehr den alten demokratischen Anspruch ernst, dass Kunst im öffentlichen Raum grundsätzlich für Jedermann ist. Ein Anspruch, für den eine Stadt grundsätzlich die Bedingungen schaffen sollte. Dabei ist es weniger wichtig, in welchem Medium sich die Kunst der Öffentlichkeit zeigt: Denn auch wenn die Litfaßsäule aus der Stadt verschwindet, braucht es die Konfrontation mit Bildern und Inhalten jenseits der Information oder Kaufaufforderung – sei es, um zum Nachdenken anzuregen oder den Blick zu entschleunigen.

Von Oktober 2015 bis April 2016 werden über einen Zeitraum von ca. sechs Monaten an 200 im gesamten Kölner Stadtraum verteilten Litfaßsäulen wechselnde künstlerische Werke von KünstlerInnen aus 25 Jahren KHM, von Studierenden, AbsolventInnen und Lehrenden, präsentiert.


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