Gregor Schneider


Noemi Smolik über „Hauptstraße 85a“, Synagoge Stommeln, Pulheim, 03.07.2014 –

Es ist eine der herausragendsten Auseinandersetzung mit der Synagoge Stommeln. Seit 1991 werden in unregelmäßigen Abständen international renommierte Künstler wie Jannis Kounellis, Rosemarie Trockel oder Maurizio Cattelan von der Stadt Pulheim eingeladen, an diesem geschichtsträchtigen Ort eine Intervention vorzunehmen. Die Ausstellungen sind so unterschiedlich wie gewagt. In Erinnerung geblieben ist etwa der brisante Auftritt des in Mexico City lebenden Künstlers Santiago Sierra, der 2006 das Innere der Synagoge mit Gas füllte.

Gregor Schneider geht es vielmehr um die Außenwirkung des jüdischen Bethaus, eine der ganz wenigen Synagogen die während der Nazi-Pogrome 1938 nicht zerstört wurde: Der 45 jährige ließ alle Hinweise auf die Synagoge in der Stadt entfernen, die Wegweiser für die Autofahrer ebenso wie den Davidstern am Eingang und umschloss die Synagoge komplett mit der Fassade eines Einfamilienhauses. Grauer Sockel, gelb gestrichene Fassade, Eingangstür, ein Fenster und eine Garagentür im Erdgeschoss, weitere drei Fenster in der ersten Etage. An Klingel und Briefkasten ist der Name „Schneider“ zu lesen, neben der Tür prangt die Hausnummer „85 a“. Genormte Alltäglichkeit, wie man sie überall in Deutschland finden kann.

Den Ort, aufgeladen mit Geschichte, verschwinden lassen, ihn inmitten einer gnadenlosen Normalität verstecken, ist das Anliegen Schneiders mit „Hauptstraße 85 a“, einer fiktiven Adresse in Stommeln. Damit schlägt Schneider einen neuen künstlerischen Weg ein. In seinem zentralen Werk „Haus ur“ in Rheydt zeigt er vielmehr das Unheimliche im Alltäglichen. Nicht minder bieder wie die Attrappe in Stommeln ist dieses Haus, in dem er über Jahre hinweg Räume vervielfältigte, Wände und Treppen einzog, bis sich beklemmende Hohl- und Zwischenräume bildeten, die er zum Teil schalldicht isolierte. Wer die Ehre hatte, dieses Haus zu begehen, konnte schnell auf den Gedanken kommen, hier müsse mindestens eine Leiche versteckt sein.

Auch in Stommeln kaschiert nun eine tadellose Fassade Leichen. Denn jede durch das Wort „Synagoge“ hervorgerufene Assoziation beinhaltet unzählige Tote. Ihnen und ihrem Schicksal gibt Schneider mit seinem Eingriff ihren Schrecken zurück – ein Gefühl, dem durch zu viel Offensichtlichkeit die Gefahr des Verschwindens droht. Denn das Unheimliche, worauf Martin Heidegger hinweist, ist zwar heimlich aber erst dadurch, dass es nicht greifbar und einsehbar ist, wird es unheimlich. So waren beispielsweise auch die jüdischen wie die frühchristlichen Altäre – in Russland ist dies bis heute so – hinter einer Wand verborgen um den Schauer der Gläubigen zu verstärken.

Dieses grausige Gefühl bei Schneider entsteht meist durch die wohl dosierte Kombination des Verbergens auf der einen und des Enthüllens auf der anderen. Zu seiner Ausstellung in Stommeln lud er mit einer Karte ein, die planierte Gräberfelder, offen gelegt nach dem Abriss der St. Simon und Judas Thaddäus Kirche in Alt-Otzenrath, zeigt.

Gleichzeitig mit dieser Aktion in Pulheim realisierte Schneider im Depot des Kölner Schauspielhauses das Projekt „Neuerburgstrasse 21“ , eine Installation, deren Prinzip an dieser Stelle nicht verraten werden soll, damit die beabsichtigte Wirkung nicht vorweggenommen wird. Da die Arbeit noch im August und September einsehbar ist, wäre jedes Offenlegen schließlich auch ein Verrat an der Unheimlichkeit des Werks. Gesagt sei nur so viel: Es ist das Gegenteil dessen, war Schneider in Stommeln macht. „Als gehe man durch die eigenen Windungen des Hirns und gehe dort den eigenen Wahrnehmungen nach.“, beschreibt Schneider selber seine Arbeit. Das Gesehene erscheint überdeutlich und dadurch kaum noch greifbar.

Für die unter der Leitung von Heiner Goebbels im Herbst stattfindende Ruhrtriennale plante Schneider in einer Zusammenarbeit mit dem Lehmbruck Museum ein Raum- und Tunnelwerk mit dem Titel „totlast“. Automatisch ruft dieses klaustrophobische Vorhaben die Duisburger Katastrophe von 21. Juli 2010 ins Gedächtnis, als während der Loveparade Panik ausbrach und in einem Tunnel 21 Menschen zu Tode getreten wurden. Der Bürgermeister der Stadt, Sören Link von der SPD, verbot jetzt das Werk mit der Begründung, die Bevölkerung der Stadt „sei noch nicht reif“ für dieses Kunstwerk. Bei aller Kritik der Kunstszene doch auch eine menschlich verständliche Reaktion. Ärgerlich ist hier aber vor allem die späte Absage, die erst bei vorangegangener Planung kam. Um so dringlicher ist nun die Realisierung des Tunnelwerks an anderer Stelle, denn nur wenn man sich dem Verborgenen stellt, kann man reifen. Hoffen darf man, dass es doch – wenn auch in einer anderen Form – zu einer Realisierung des Projektes kommt – im Kunstmuseum Bochum.


tags: , , , ,