Folds in Time

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Träumen Stahlplatten von scharfkantigem Samt? Oliver Tepel über Lili Dujourie im S.M.A.K., Gent, bis 4.10.15

Kein Geräusch, außer das Tappen und Quietschen der Sohlen. Keine Aufregung. Doch niemand wirkt beruhigt. Was derzeit in Belgien einige Ausstellungsäume erfüllt, scheint bereits in jenen Videoarbeiten exemplifiziert, mit denen Lili Dujourie Anfang der 70er bekannt wurde. Noch war die Videokunst jung, die Auflösung der schwarz-weißen Bilder grob und das Geschehen so reduziert, als müsse man vom Film vernachlässigtes Terrain sichern, in steter Konkurrenz zur noch existierenden Kino Avantgarde. Tatsächlich deuten einige von Dujouries Videos auf eine gewisse Nähe zum Cinema Verité.

Die vor einem Erkerfenster rauchende und dabei versonnen oder wartend hin und her schreitende Künstlerin erscheint in der starren Totale von „Sonnet“ (1972) als Mittlerin zwischen Chantal Akermans arbeitenden Frauen und Fassbinders Re-Inszenierungen melancholischer Hollywood Diven. Zeit verstreicht spürbar, sie zerrt und beharrt auf der Macht des Bildes oder der Erwartung, daß etwas geschehen möge.

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Lili Dujourie, Sonnet, 1972, © Lili Dujourie

Und tatsächlich, da ist es geschehen! Wie ein Fleck auf der Kleidung vom frisch vergossenen Wein, wie das von einem geseufzten „Ja, ja“ begleitete Ausatmen, wie die rote Ampel an einer Baustelle – eine Falle oder einfach das Unvermeidliche. Denn offenbar steuert alles Sprechen oder Schreiben über Lili Dujourie unwillkürlich auf assoziative Bilder der Bewegung, des Dazwischen oder des Übergangs. „Zwischen Gegenstand und Ereignis“ heißt etwa Mieke Bals Buch, jene bisher umfassendste Arbeit über Dujouries Werk. Und „Falten in der Zeit“ lautet der Titel ihrer retrospektiven Ausstellung im Genter S.M.A.K.. Nicht nur in Gent, ein zweiter Teil befindet sich zeitgleich im Mu.ZEE in Oostende, 45 Fahrminuten entfernt. Sie sehen: Schon wieder ein Dazwischen, erfüllt vom alltäglichen Gestus, in welchem die durchkultivierte flämische Landschaft jene übliche Tristesse der Ausfallstraßen mit baulichen Panoramen aus überraschender Exzentrik oder stiller Eleganz bereichert.

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Lili Dujourie „Between Black and Pink“, 1986 Belfius Bank collection, © Lili Dujourie, S.M.A.K., 2015, Photo: Oliver Tepel

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Lili Dujourie „Between Black and Pink“, 1986 (Detail), Belfius Bank collection, © Lili Dujourie, S.M.A.K., 2015, Photo: Oliver Tepel

Hier verlor sich einst die Spur. Bald nach ihren ersten Videos, ihrem kühl souveränen, in seiner Ästhetisierung zugleich stets angespannt wirkenden Beitrag zu einer feministischen Bildsprache, wurde Lili Dujourie vergessen. Zumindest hierzulande. Ab und an erinnerte man sich, 1989 in Bonn, 1998 in München (hierbei entstand Mieke Bals genannte Publikation), jedoch ohne, dass Lili Dujourie in der deutschen Kunstlandschaft zum Begriff wurde. Auf der documenta 12, anno 2007 kam ihr die Rolle jener ausgewählten Künstler zu, deren Arbeiten immer wieder an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Kontexten auftauchten. Ein Aufhorchen wäre nun denkbar gewesen. Denn das gezeigte Spektrum der Werke ließ bemerken, wie Dujourie über Jahrzehnte hinweg eine enorm vielfältige, zugleich kohärente stilistische Matrix erschaffen hatte, die stets ihre Zeit traf, so präzise, dass es in der Wirkung oft einem „Voraus“ gleichkam.

Aber da ist noch etwas anderes. Eine subtile Gefahr, gleich dem Balancieren auf einem Grad, der den vermeintlichen Absturz in, von der Nachkriegskunst ausgeklammerte, mit dem Etikett „Design“ versehene Bereiche impliziert. Erklingt da nicht irgendwo schon der bösartige Vorwurf: „Zu schön“?

Immerhin beginnt ihr Schaffen just an jenem Scheideweg, den die Minimal Art der 60er pflastert. Ist es noch Kunst oder sind es schon Bodenplatten? Selbst wenn Dujourie die enorm männlich dominierte Hegemonie in jener Kunstrichtung meinte, erscheint der Titel „Amerikaans Imperialisme“ (1972) auch zugleich als Weckruf für eine formale Loslösung. Vieles was von ihr in den kommenden Jahren geschaffen wird, erweitert die vorgebliche Klarheit des Minimalen bis hin zum Verrat oder führt seine spätmodernen Vorgaben ad Absurdum.

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Lili Dujourie „Ohne Titel“, 1969 © Lili Dujourie, S.M.A.K., 2015, Photo: Dirk Pauwels

Stattdessen formt sie eine Welt, zwar keine Welt der brauchbaren Gegenstände, mit welcher das Werk von Marc Camille Chaimowicz kokettiert, diesem aber in ihrer Wirkung durchaus verwandt. So findet sich bei Beiden auch jene Absage an viele Regeln der US-Kunst. So würde man leben wollen, umgeben von Dingen, die einen staunen machen, oder eigentümlich versonnen.

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Lili Dujourie „Paris“, 1987 (Detail), © Lili Dujourie, S.M.A.K. 2015, Photo: Oliver Tepel

Dazu zählen aggressive, zugleich ultra ästhetisierte Collagen, stets den Körper und dessen mediale Präsentation meinend, an deren Seite, Photoarbeiten, welche das Geschlecht thematisieren und beim Blick auf den Faltenwurf enden, sowie barocke Werke aus wertvollen Stoffen, die sich in enorme, geschwungene Formen legen.

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Lili Dujourie „In mijn nacht nadert niemand“, 1985 Collection Marc Van De Velde © Lili Dujourie

Wenn wir Theorie brauchen, dann lesen wir Georges Didi-Huberman, der so umfassend die Physiognomie und Psychologie des Faltenwurfs in Gemälden von der Renaissance bis in die Moderne explorierte. Doch hat Dujourie seine These, dass am Ende nur die Falten des Stoffs übrigbleiben, in ihren Werken der frühen 80er bereits vorweggenommen. Tatsächlich ist keines ihrer Werke einfach so, sondern stets dezidierter Bedeutungsträger. Allein in den assoziationsreichen Titeln wie „Caresse l’horizon de la nuit“ (1983) oder „La Tosca“ (1984) begründen sie jedoch noch eine weitere parallele Realität zu den Theorien, ja zum eigenen Forschen und entschließen sich, den Betrachter zu bannen. Weiß getünchte Ausstellungsräume erweisen sich dabei nicht als die passende Hülle für diese verwundenen Verführungen.

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Lili Dujourie „Caresse l’horizon de la nuit“, 1983 Private Collection © Lili Dujourie, S.M.A.K. 2015, Photo: Dirk Pauwels

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Lili Dujourie „Ballade: IRIS 2011“, Pappmaché, 36 x 47 x 4 cm, © Lili Dujourie, S.M.A.K. 2015, Foto: Oliver Tepel

Fast barsch überschreiten wir in diesem Moment die Grenze. Ein Fallen ist aber nicht zu spüren. Die Objekte bleiben Kunstwerke, aber sie behaupten auf einmal nichts, sie bezeugen nur ihre Macht, jedoch nicht im Sinn der Stahlplatte. Fast alle Arbeiten Dujouries konstellieren sich in dieser Perspektive zu einer Wunderkammer, etwas, das Alain Robbe Grillet sicher gerne in einem seiner Filme vereinnahmt hätte. Aber sie sind schon belegt, wenn Sie nachfragen, gibt es Antworten und erstaunlich viele erschließen sich allein aus Farbe, Form und Titel.

Zwei Arbeiten anderer Künstler stellen sich diesem möglichen Hase und Igel Spiel entgegen. Sol Lewitts große Steintafel, auf der erstmal nichts mehr als das erste Wort der zehn Gebote zu lesen ist, als hätte es einem cartesianisch gesinnten Mose genügt. Doch mahnt sein Werk nun daran, dass Lili Dujourie nicht so oft „ich“ sagt, sondern „es“ oder „es ist anders“.

In Oostende gibt ein Rogier van der Weyden Auskunft über die Quelle der Falten und erinnert auch daran, dass seine Illusion eine andere war, eine, die sich nicht im Räumlichen offenbart, sondern lediglich weiterspinnen lässt. Aber genau das gelingt Lili Dujourie, oft mit einer beunruhigenden Präzision.

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Lili Dujourie „De ochtend die avond zal zijn“ 1993, © Lili Dujourie, S.M.A.K., 2015, Photo: Oliver Tepel

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Lili Dujourie „Kabinet“, 1992 Installation view (Detail), © Lili Dujourie, S.M.A.K., 2015, Photo: Oliver Tepel

Was den Besucher erwartet, jenseits von Parallelwelten und Löchern in der gefalteten Zeit, ist die Ästhetik eines nicht verzagenden, sich nicht versagenden Widerspruchs, der vom „Nein“ aus ein „Ja“ findet. Darin ist ihr Schaffen dem von Yoko Ono und Linder verwandt und doch der Popkultur inhaltlich so fern, wie nur was. Alle Drei verstanden allerdings, die von Männern besetzte Kunst-Sprachen durch etwas Besseres zu ersetzen. (Sollte ich also nicht langsam auch mal die Klappe halten?)

Worte? Sie stehen weniger für jenes Bessere, als dass sie die Gefahr bergen, es zu übertünchen. Das Dilemma von Bild und Sprache. Der kleine, nahezu allein mit ihnen befüllte Katalog zur Ausstellung weiß davon. So findet sich neben Texten mit wissenschaftlichen Verweisen ein Gedicht von Peter Verhelst und ein offener Brief an Lili Dujourie, den Philippe van Cauteren so beginnt: Jouw Werk verplicht me spaarzam te zjin met woorden.“ In diesem Sinne: Fahren Sie hin und wenn Sie sich an einer der Kanten schneiden, keine Sorge, Sie werden auch Heilpflanzen finden.


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