Besprechung  Florenz!

Besprechung
Florenz!


Oliver Tepel über „Florenz!“ in der Bundeskunsthalle, Bonn, bis 9. März 2014

Das sehen sie so schnell nicht wieder! – Ein Marktschreier müsste sich ob seiner Verheissungen nicht schämen, auch nicht der Mann im Zylinder, der zum Eintritt ins Kabinett auffordert. Denn sie hätten ja recht: Das sehen sie wirklich so schnell nicht wieder. Es sei, man begäbe sich auf die Reise und selbst in Florenz müsste man sich eine solche Vielzahl an Werken und Dokumenten erst auf langen Wegen erlaufen. Zweifelsohne liessen sich so noch ganz andere Dinge erleben, als sie einem in der virtuellen Stadt einer Ausstellungshalle widerfahren können und doch würde man auch ihre artifizielle Kompaktheit vermissen, eine Dichte, die seltsame Fragen stellen lässt.

Seltsame Fragen? – Geht es denn nicht um: „Florenz!“? Sehr wohl. Wie in Vorschautexten angekündigt, ja eigentlich gemäß des Assoziationsrahmens aus Bildern und Ideen zum Begriff „Florenz“, erhalten wir Einblick in die künstlerische Repräsentanz des wirtschaftlichen und politischen Aufstiegs des Zentrums der Toskana, seiner Hochzeit als Republik in welcher die Renaissance aus dem Geld der Familie Medici und deren Zugewandheit zum Weltlichen realisiert wurde. Die von ihnen geförderte Kunst, wie auch ihre Sammelleidenschaft zeigen sich in einer Vielzahl von Beispielen. Arbeiten aus der künstlerischen Werkstatt Galeria die Lavori bilden einen weiteren Schwerpunkt, sowie das Florenz der Aufklärung, mit seinen Museen und das letzte stille Aufleuchten der Stadt als Künstlerort der frühen Moderne.

Aus einer Vielzahl von Quellen lässt sich Stadtgeschichte erschliessen, oft detaillierter, als es ein einziger Ausstellungsbesuch zulassen mag. Und im Versuch, alles in sich aufzunehmen, mögen erwähnte „seltsame Fragen“ erwachen. Gleich zum Prolog im Rund des Eingangsbereichs warten Andrea del Sartos visionärer „Johannes der Täufer“, Domenico die Michelinos vielgesichtiges: „Dante und die drei Jenseitsreiche“, ein stiller „David“ des Meister Davids und Johannes des Täufers und Giambolognas venusgleiche „Fiorenza“, sowie eine beeindruckend detaillierte Stadtansicht von Thomas Patch. Diese symbolische Näherung an die Stadt kann als kuratoische Leistung gewürdigt werden, sie vermittelt die Stadt als einen Ort der Ideen und Mythen. Aber in ihrer Gesamtheit lässt sie schon die Erkenntnis erglimmen, dem künstlerischen Wert dessen, was in den kommende Räumen auf einen wartet, nicht ansatzweise gerecht werden zu können. Jedes dieser Werke des Auftakts hätte viele Minuten der Aufmerksamkeit verdient und ein Wiedersehen mit den Werken wird ohne Mühen nicht möglich sein. Die stillen inneren Begleiter, die einen zweifeln lassen, ob man eine Ausstellung auf gute Weise ansieht, ob man den Werken genug Zeit gibt, ob man sich etwas einprägen wird und ob es nicht vor allem das Gefühl ist, dieses und jenes wieder einmal ansehen zu können, welches dann eines Tages den Wert des Gesehenen bestimmen, melden sich hier mit verblüffender Intensität.

Der erste Blick gilt der mittelalterlichen Republik Florenz, welche ungedenk dauernder Zwietracht zwischen den großen Familien der Stadt und vor dem Hintergrund des ganz Italien spaltenden Konflikts zwischen kaisertreuen Ghibellinen und der Machtpolitik des Papsttums folgenden Guelfen nach und nach als Handelsmetropole an die Spitze europäischer Städte gelangte. Ausgestellte Dokumente belegen harte Handels- und Zunftreglementierungen. Die davon Betroffenen werden die elegante Akkuratesse der Handschriften weit weniger zu schätzen gewusst haben, als der kunstsinnige Betrachter hunderte Jahre später. Doch belegen sie, wie auch Geldmünzen und Alltagsgegenstände ein Interesse an der Ästhetisierung, deren Ursprung wahrscheinlich immer im Verborgenen bleiben wird. Man könnte aber auch staunend für eine Stunde Niccolò di Pietro Gerninis „Thronende Madonna“ betrachten, selbst wenn der Weg zu ihr einen ansonsten lediglich nach Altenberg führt. Sie verdeutlicht in ihrer Nähe zur „Ognissanti Madonna“ den Einfluss Giottos auf dem Weg in die Renaissancekunst, gerade im Vergleich mit hier gezeigten älteren Madonnen von Cenni di Pepo und Grifo de Tancredi. Wahrscheinlich würden einem die Sinne schwinden, wäre in einer der Glasvitrinen nun auch noch ein echter Giotto zu sehen, aber allein die Idee ist vermessen. Dafür ist das Regestenbuch zu sehen, welches die Ernennung Giottos zum obersten Baumeister des Florentiner Doms dokumentiert. Detailblicke auf die Baukunst bereichern das Bild ebenso wie Stoffragmente, welche bezeugen, mit welch beeindruckenden Gütern ab 1300 intensiv gehandelt wurde. Boccaccio beschreibt ihre Schönheit, die sich auch in der Malerei in den minutiösen Darstellungen von Stoffmustern widerspiegelt. Oh, wir sind erst ganz am Anfang?

Betrachtungen, ausgehend von den Einflüssen des Humanismus in Folge der Neuübersetzungen von Platon bahnen den Weg zum Florenz der Hochrenaissance. Platonischer Humanismus manifestierte sich in den Schriften Georgios Gemistos Plethon der 1439 in Florenz die Abhandlung „Über die Unterschiede zwischen Aristoteles und Platon“ verfasste. Und schon steht man in einem Raum mit Masacios „San Giovenale Tryptichon“, Fra Angelicos „Armado degli Argenti“, zwei von Donatellos Bronzeköpfen der Cantoria, Botticellis „Madonna mit dem Kind und fünf Engeln“, Filippino Lippis „Tobias mit dem Engel“, diversen der wunderbaren, glasierten Terrakottaarbeiten von Andrea della Robbia und Verrochios „Christus und der ungläubige Thomas“, bei dem man sich zum wiederholten mal fragt, wie solche Skulpturen denn transportiert werden. Eine Lappalie, mag man in der Budestkunsthalle sagen und an vergangene Ausstellungen zu Ägypten und Angkor erinnern, doch die komplexen Halterungen und Verankerungen, sowie die vorherrschende Präsentation der Werke in Vitrinen sprechen eine eigene Sprache. Hier siegt vollends das Staunen über eine Betrachtung der Werke gemäß des vorgegebenen Kontextes – und es geht so weiter: Pollaiuolos „Herkules und Antäus“, Ghirlandos „Der heilige Petrus“ oder Arbeiten von Vasari, Bronzino und Pontormo, die aber auch bereits eine Zeit des Machtverlusts Florenz’ markieren. Doch wie kann von Machtverlust gesprochen werden, wenn jene Feste gefeiert wurden von denen Jacques Callots Radierungen Zeugnis geben und deren Kostüme Bernardo Buontalenti in seinen farbigen Federzeichnungen festhielt!

Einen kleinen Einblick erhält man in die umfassenden Sammlungen der Medici, Kunst aus aller Welt, sowie antike Werke verblüffen nicht nur in ihrer Reichhaltigkeit. Dazu kommen naturwissenschaftliche Zeichnungen und Gerätschaften, die nicht weniger faszinieren, wie die Kunstwerke. Parallel zu den immer weiter ausufernden Sammlungen entstand 1588 die Grossherzogliche Werkstatt Florenz (Galleria dei Lavori), welche alsbald mit den Pietra-Dura-Mosaiken unfassbare Werke hervorbrachte, welche der Malerei Konkurrenz sein sollten. Heute wirken diese meisterlichen Werke wie die Errungenschaften einer Parallelwelt, befremdlich und dennoch auch vertraut, Anlass für ein Staunen, was nicht so fern der Emotionen der Betrachter vor 400 Jahren sein mag. Die Beispiele aus den Sammlungen führen zu den Museen des aufgeklärten Zeitalters, nochmals werden Kunstgegenstände und wissenschaftliche Geräte präsentiert und Clemente Susinis „Venus“ (mit herausnehmbaren Organen) hier geschlossen in ihrem Schneewittchensarg den oftmals befremdeten Blicken preisgegeben. Ihre wächserne Unweltlichkeit macht sie weit weniger zum Objekt szientistischer Anschauung, als zum Endpunkt einer Linie florentiner Kunst die Georges Didi-Huberman in „Venus öffnen“ analysierte. So beschließt sie auch hier die großen Überraschungen, wobei die Wiederentdeckung der Kunst der Macchiaioli im nächsten Raum ansteht. Diesen antiakademischen Avantgardisten hat das Musée de l’Orangerie in Paris im letzten Frühjahr eine Ausstellung gewidmet, eine bewusst, stille aber nachhaltige Erweiterung unseres Blicks auf die Moderne. Doch da war Florenz nur eine Stadt unter vielen und das Zentrum der Kunst längst an der Seine zu verorten. Noch einmal sehen wir hier Dante, nun nicht als Herrscher über drei Jenseitsreiche, sondern still, geknickt, als Exilant gemalt von Domenico Petarlini. Die Landschaften der Macchiaioli mit ihrer fast flämisch anmutenden, bedrohten Idylle beschliessen die Ausstellung zusammen mit mit frühen Photos der Stadt und einem 3D animierten Film über die Konstruktion des Florentiner Doms.

Florenz! Ist ein Füllhorn, bei aller innerer Struktur und klarer Vermittlungsabsicht erscheint es doch als beeindruckende Allegorie auf jene Sammlungen, mit denen die Medicis einst ihre Gäste beeindruckten. Sie werden sich diese Ausstellung zweimal ansehen wollen, mindestens, auch der seltsamen Fragen wegen. Denn so angefüllt und zugleich mit dem Eindruck viel zu viel verpasst zu haben verlässt man ansonsten nur die großen Museen. Und Florenz? Haben wir etwas über die Stadt gelernt? – Wir sollten wirklich nochmal hin…


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