Esperanza Spalding

Esperanza Spalding


Oliver Tepel über das Konzert von Esperanza Spalding im Rahmen des Klangart Festivals (bis 14.8.16) im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal

Ich mag Sie einladen, Musik zu hören. Aber dafür müssen wir auf gewundenem Pfad einen Hügel hinauf. Auf dem Weg merke ich etwas altklug und kurzatmig an: „In einer Zeit, in der Kultur zusehends als firlefanzartiges Anhängsel oder gar wieder als unabänderlicher Charakter gesehen wird, scheint die Beschäftigung mit Grenzen durchaus heikel.“
Dabei sind Grenzen so alltäglich, wie veränderbar. Allerdings mag ich heute weniger auf territoriale Grenzen blicken, als denn auf jene in der Kultur. Doch zu diesem Zweck, gilt es nun, am Ende des Pfades angekommen, sehr wohl erstmal eine zaunumrandete Grenze zu überschreiten. Keine Sorge, es ist erlaubt. Tony Cragg öffnet den Skulpturenpark seines Wuppertaler Anwesens regelmäßig dem interessierten Besucher. Zum achten Mal findet im Park zudem die Konzertreihe „Klangart“ statt. Sie bringt Jazz in den Park.

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Es erinnert an die Gesten der großen Unternehmer zwischen Ruhrgebiet und Rhein, die ihren Mitarbeitern einst kulturelle Erbauung bieten wollten, oft nicht ohne pädagogisches Ansinnen – so war dies eben in der Moderne, als es noch Avantgarde und Arbeiter gab. Heute erscheint diese Geste in einem weit konzeptuelleren Kontext: Das Aufeinandertreffen der Künste. Eine ganze Reihe von Plattenhüllen aus der avantgardistischen Phase des Jazz, zeigen Werke, auch Skulpturen, moderner Kunst. Es könnte die Nähe beider Disziplinen illustrieren. Doch die 50er sind fern, allein verwewigt in den Stuhlreihen vor der Bühne. Der immer freier improvisierende Jazz löste sich im Namen der Avantgarde vom durchgängigen Rhyhmus. Heute fragt kein Jazzkonzert Besucher verwundert: „Wie, nicht tanzen?“

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Doch am Samstag den 15.7. lud Esperanza Spalding auch zum Tanze und die Macht längst überwunden geglaubter Grenzen manifestierte sich in dieser Offerte.

Warum?

Mitte der 00er begann Esperanza Spalding als Wunderkind der Jazz Szene, etwas Aussergewöhnliches erklang in ihrer Beherrschung des Standbasses. Sie gewann Grammys, wurde die jüngste Lehrerin, die das Berkeley College je berief und mit ihrem enormen Afro erschien sie als Botschafterin aus einer besseren Zeit. Denn auch den Jazz haben die großen Ideen längst verlassen. Doch der traditionelle Jazz, den sie spielte, was zur Zeit des Afro Looks längst passé. Tatsächlich bediente Spalding konservative Träume, wenngleich mit enormer Grazie und berückender Versalität. Erwähnte ich, dass sie auch wunderbar singt? Auf ihrer letzten Platte kokettierte sie mit Retro Soul und eroberte kurz den 10. Platz der US-Charts – um danach für vier Jahre zu schweigen. Zumindest gab es keinen Ton aus dem Studio und als im Frühjahr ein neues Werk erschien, da nannte sie sich (oder einen Teil von sich) „Emily“ und bezeichnete ihre Entwicklung als „D+Evolution“, der Afro war einer langen Dread-Mähne gewichen und statt, wie irgendwie aus der Zeitmaschine, wirkte sie, wie irgendwie selbst ausgedacht.

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„Emily’s D + Evolution“ konnte, wer es zuvor noch nicht gehört hatte, nun an jenem Sommerabend in Wuppertal kennenlernen. Der Drummer spielte etwas abgekanzelt hinter Plexiglas, der Lautstärke wegen, dabei hätten wohl die umliegenden Anwohner aber keinesfalls die Musik etwas gegen mehr Lautstärke gehabt, gleich im Auftakt „Good Lava“ dröhnte die E-Gitarre und die komplett in weiss gekleidete Sängerin bedient mit den Füßen einen Bass Synthesizer. Auf ihrem Haupt trägt sie eine Pappmaché-Krone, wirkt gleich einer Elfe aus einem Ida Bohatta Buch oder wie der Kleine Prinz Saint Exupérys. Wie er mag sie uns etwas mitteilen, viel klarer, als ihre nahezu spirituelle Reise zur inneren Emily, von der sie in Interviews erzählt. Als Emily musiziert sie nun in einem elektrischen Trio, eine eher im Rock (The Cream, Mötörhead, Hüsker Dü) vertraute Konstellation. Doch da gibt es noch drei, ganz in Gelb gekleidete Sänger. Mal liefern sie jene Akzentuierungen, die man „Backing Vokals“ nennt, in anderen Momenten aber erinnert ihr Zusammenspiel mit Esperanza Spalding weit eher an die afrikanische Tradition des Call and Response, wie sie sich im Gospel erhielt. Religion, da heisst nicht nur ein Stück „Judas“ sondern die Drei in Gelb führen mit Emily ein szenisches Spiel auf, sie wird mit Büchern belagert und dann offenbar geehrt, es erinnert an eine bestandene Uni Prüfung und zugleich an Jesus, dem seine Peiniger einen Umhang umlegen und ihm spotten. In diesem Prozess wechselt Esperanza Spalding vom Bass-Synthesizer zum E-Bass und zum Wurlitzer E-Piano, sowie wieder zum E-Bass zurück. Irgendwann wird ein Kreuz gleich einem Banner ausgerollt, erst in der weiteren Folge lernen wir, daß es sich um das + aus „D+Evolution“ handelt. Ein Teil ihrer Idee wird klar, wenn sie

We could change the whole story of love

Same old play I’m getting tired of

No more acting these predictable roles

Just us living unconditional love

singt. Diese Art der Devolution scheint frühe Hippie Fantasien zu beschwören, doch wenn Esperanza Spalding sie vorträgt, erinnert ihr zartes Gesicht mit der großen Brille ein wenig an die Weltferne von „Gedächtnisweltmeisterin“ Christiane Stenger, die in Fernsehsendungen durchaus den Eindruck macht, es sei ihr schon klar, daß sich nicht jeder im Publikum 526497 Begriffe in Reihenfolge merken kann, dies aber allein darauf zurückführt, dass man den Menschen einfach nicht die richtige Methode de Memorierens vermittelt habe. Jene Distanz der Hochbegabten präsentiert auch Emily aka Esperanza. Die Lösung wäre doch so einfach! – Ja, stimmt – und eben auch nicht.
Derweil verschmelzen ihre Songs die schillernd genialistischen Kompositionen Joni Mitchells aus den Jahren 1974 – 1980 mit dem gleichalten Jazz-Funk-Rock Herbie Hancocks zu Rythmen, deren Takte niemand ohne musikalische Bildung nachzählen kann. Aber fühlbar sind sie und ihr Groove setzt Körper in Bewegung. Längst haben sich einige mitwippende, ja tanzende Zuschauer an den Seiten der Bühne versammelt. Je mehr die Musik mitreißt, desto häufiger verpassen sie die szenischen Details, wollen mit geschlossenen Augen im Sound aufgehen.

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Neidvoll blicken die Skulpturen auf jenes Schauspiel. Sie können nur passiv fordern, um Musse bei der Betrachtung bitten, doch diese Qualität der erfüllenden Überforderung bleibt der Musik vorbehalten.
Nicht dass es ihr unbedingt gedankt würde. Das neue Album kam nicht über Platz 88 der US-Charts hinaus. Immerhin führt die Tour aber durch die ganze Welt. Wie schön und seltsam zugleich, daß ihr einziger Halt in Deutschland in diesem Skulpturgarten war. So denkt man an das Schicksal aktueller Künstler, die beherzt Grenzen überwinden, in dem sie ihre Ausdrucksformen drastisch verändern. – Wo gibt es die noch? Vor allem unter jenen, denen die große Karriere zum Greifen nah ist? Verschwinden nicht allzuoft jene, die so etwas wagten? Hier mag es die Musik mit ihrem größeren Publikum einfacher haben. Zugleich weist „Emily’s D + Evolution“ durchaus auf ein gemeinsames Problem: das Neue scheint nur noch als Rekombination des Alten denkbar und nur selten überzeugt, nein begeistert es wie hier.

Blieben noch die Grenzen. Während der Tisch mit Musik- und Merchandise-Produkten nach dem Konzert dicht umringt wird, stehen etwas abseits zwei Herren „Und Du, Du magst doch sicher auch nicht so dieses Rock Ding?“ – „Ja, schade, ich hatte mich auf gepflegten Jazz mit Standbass gefreut.“ Eigentlich schade, wenn es diese Grenzen nicht gäbe, denke ich um erst im Nachhinein zu verstehen, dass es sie für diese beiden Herren auch wirklich nicht gibt, sondern eine Welt klar zuweisender Begrifflichkeiten, überwindbar ist da wenig, die „whole story of love“ wohl am wenigsten. Doch in dieser klar gegliederten Welt hätte es jenes besondere Konzert-Performance-Erlebnis niemals geben können.

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Wahrscheinlich lebt Esperanza Spalding in einem soziokulturellen Umfeld, welches auch die Spät- und Post-Moderne Skulptur zu würdigen weiß. Ich stelle mir vor, dass sie aufmerksam und vom Orte angetan von Tony Cragg durch den Park geführt wurde. Vielleicht ist ihr selber in dem Moment gar nicht aufgefallen, dass Emily des Nachts über die Mauern klettern würde, um die Werke im Licht des Mondscheins zu erleben.

Fotos: (c)Karl-Heinz Krauskopf


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