EGO UPDATE

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Digitale Kontra-Revolution – Jonas Schenk über „EGO UPDATE. Die Zukunft der digitalen Identität“ im NRW-Forum Düsseldorf, bis 17.1.2016

Internet Trends sind oft nur schwer bis gar nicht nachvollziehbar; solange sie einen in den Genuß kurzer Zerstreuung kommen lassen, sollte ihnen ihre Berechtigung gegönnt sein (Katzenvideos etc). Verwunderung kommt allerdings da auf, wo das gezeigte Bildmaterial noch nicht einmal erheitern möchte, sondern scheinbar bewusst auf seine eigene Irrelevanz pocht. (Shopping Malls, Füße, Essen, etc.) Warum tun Menschen Dinge, die einen offensichtlich langweilen sollen? Welche Aussagen sind über Personen zu treffen, die sich die Primark Einkäufe von Fremden ansehen?

In welchem Maße heutige virtuelle Bildstrategien mit Grundfragen der Identitätsbildung verwoben sind, kann in seinem Facettenreichtum wohl nicht häufig genug untersucht werden. Die Ausstellung „Ego Update. Die Zukunft der digitalen Identität“ stellt sich dies zur Herausforderung – und scheitert bei der ersten Hürde ihrer Zeitgenossenschaft, um anschließend in den Wassergraben der mangelnden Reflexion zu stürzen. Denn abgesehen von wenigen Arbeiten, wird man mit Werkserien konfroniert, die Klischees lediglich zu bestätigen scheinen.

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Ausstellungsansicht-MC-Fitti-Selfiegott ©-NRW-Forum-Düsseldorf Foto-Andreas-Kuschner ALIMONIE 2

Dass im Mittelpunkt hierbei die Fotografie (#selfie) steht, die sich im Zuge von „der“ „digitalen Revolution“, als Bildmedium am schnellsten weiterentwickelt hat, zeigt sich dennoch richtigerweise an der Auflösung zur Grenze zwischen High / Low in der Bildkultur. Neben bildenden KünstlerInnen sind beispielsweise ein Tierfotograf, der Rapper MC FITTI oder die Freizeit-Kletterer ONTHEROOFS eingeladen worden. Der ganzheitliche Anspruch, sich diesem Wandel von allen Seiten zu nähern ist dabei durchaus interessant – zeigt aber auch seine Schwächen.

Viele der vertretenen Künstler arbeiten mit gefundenem oder zumindest kaum bearbeitetem Bildmaterial (Flickr, Webcam Chats, Google Maps), die in Form von Typologien versuchen, etwas zu archivieren, was sich jedoch in seiner Masse von vorneherein nicht einfangen lässt. Mit jedem Tag entstehen unzählige neue unbedeutender Bilder; was also will man festhalten?

So baut Erik Kessel (My Feet) eine Half-Pipe, die mit Fotos von fotografierten Füßen bedruckt ist. Jonas Unger (Autoportraits) ließ Prominente Fotos von sich selbst mit einer QuickSnapKamera machen. Guido Segni (Middlefinger Response)bezahlte die User einer Crowdfound Plattform, ihm ein Bild mit erhobenem Mittelfinger zu schicken, um mit ihnen eine ganze Wand zu bekleben. Andreas Schmidt (Fake Fake Art) re-kopiert die Serie Real Fake Art von Michael Wolf, der seinerzeit die Besitzer von Kopien von Meisterwerken der Kunst fotografierte, indem er die Personen durch die ursprünglichen Künstler ersetzt. Nun hält Warhol seinen kopierten Warhol selbst in der Hand.

Oliver Sieber (Character Thieves) stellt als Anime Figuren verkleideten Personen (Cosplay) ihre gewohnten Umgebungen gegenüber. Nicht nur, dass die Orte in einem Pathos von sozialer Leere getränkt wurden, (als würde jeder ´Cosplayer´ aus einem sozialen Brennpunkt kommen), sondern auch dass der Trend weder sonderlich aktuell, noch irgendwas mit Internetkultur zu tun hat, disqualifiziert die Serie, bei diesem Thema einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Auch Robbie Cooper (Alter Ego) meint mit der Gegenüberstellung von PC-Spielern und ihren Avataren soziologische Aussagen machen zu wollen. Der Dicke wird zum Dünnen, der Mann zur Frau, die Pickelige zur Schönheit. No shit sherlock!? Und natürlich sieht es bei jedem Mädchen, welches ein sexy/slutty Selfie von sich macht, total unaufgeräumt im Zimmer aus (Evan Baden, Technically Intimate). Den meisten der Werke ist #Weltflucht mehr als deutlich auf die Stirn gestempelt, damit es auch wirklich jeder versteht.

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EGO UPDATE Baden Evan Emily aus Technically Intimate 2008-2011 Copyright Evan Baden

Das Problem ist, dass die Zusammenstellung der meisten Serien in ihrer Menge allzu einspurig und affektiert erscheint und man sich gegen ihre an Unterkomplexität grenzende Aussage sträuben möchte. Man fühlt sich insgesamt zu häufig wie ein Kind an die Hand genommen. Das spiegelt sich sprichwörtlich auch in der Ausstellungsarchitektur wider: Denn überall verteilt hängen Spiegel, damit man auch ja nicht vergisst, um was es hier eigentlich geht: Ich. Mich. Mir. Meiner. Speaking of: Fast schon interessanter als die Ausstellung selbst, ist die Interaktion der meisten Besucher mit den Werken. Denn so fällt nahezu jedes Motiv der perfiden Selfie-isierung zum Opfer. Wenn Besucher das Handy zücken, um ihre Füße in Kessels Half-Pipe zu fotografieren oder ein Bild von sich mit MC FITTI´s einer in Bronze gegossenen Büste mit einem zum Selfie erhobenen Arm machen, dann fragt man sich, ob überhaupt eine Reflexion der Dinge stattfindet. Dass das versehentlich selbstausgelöste Selfie eines Affen in die Ausstellung integriert wurde, kann an dieser Stelle unkommentiert bleiben.

Demgegenüber führt Amalia Ulman (Excellences & Perfections) gekonnt die soziale Banalität von virtuellen Netzwerken vor. In Form eines bei Facebook geführten Tagesbuches dokumentierte sie innerhalb eines Jahres verschiedene gefakte Lebensphasen und analysiert ihr Selbstexperiment in Form eines Videos. Vom Social Meltdown, zum Rehap, über Veggie Kultur, hin zum perfekten Leben mit dem neuen Boyfriend. Jede Phase und emotionale Disposition wird von der likenden Masse konsumiert. Was Warhol bereits ersonn (Marilyn oder Elektrostuhl sind beide gleich schön), beschleunigt sich heute um ein Vielfaches. Die totale Vergleichgültigung von Inhalten ist es, die dem sozialen Porno entspringt. Der Zwang zum Ausstellen produziert Bilder allein um der Bilder willen. Ulman zeigt im Gegensatz zu bisher genannten Künstlern nicht auf das, was wir schauen, sondern was die Bilder mit uns machen.

Denn ob wir auf Füße, Gesichter, Mittelfinger oder spannende Hochhausansichten schauen, ist letztlich irrelevant. Sollte nicht vielmehr gefragt werden, warum diese Bilder aufgenommen werden? Diesem Anspruch wird die Ausstellung jedoch kaum gerecht, sie möchte sich lieber selbst als passendes Motiv eines Selfie-Phänomens verstehen. Denn warum nicht gleich die im Shop angebotenen PhotoBooth Accessoirs in der Ausstellung benutzen? Den reichlich vorhandenen Spiegeln (sogar die WCs bleiben nicht verschont, siehe folgendens Bild), gesellt sich ein Fotoautomat von Martin Parr hinzu. Und spätestens bei der Tatsache, dass das auch das kürzlich erschienene Buch von Kim Kardashian im Shop zu erwerben ist, wird offensichtlich, dass hier die Reflexion der Publikumstauglichkeit weichen musste.

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Ansicht-Kim-Asendorf Selfie-Template-2015 ©-NRW-Forum-Düsseldorf Foto-Andreas-Kuschner ALIMONIE

Ob die heutige Bildkultur als apokalyptischer Verfall einer Exhibitionsgesellschaft oder schlichtweg als Prozess gesehen wird, bleibt jedem letztlich selbst überlassen. Die Revolution frisst sich, wie häufig, selber auf. Doch wenn suggeriert wird, dass Künstler dem nichts mehr entgegenzusetzen haben, kann man leider nur mit einem Achselzucken reagieren. Trotz allem sollte die Ausstellung besucht werden, schon allein Nicolas Ritters (The Cloud) Film wegen, der eine wunderbare Persiflage auf alle Digital Natives gibt. Zu schauen gibt es genug, und wenn es nur das eigene Antlitz ist!

Jonas Schenk lebt in Köln und studiert Kunstgeschichte an der Uni Bonn. 

Artikelbild: Nicolas Ritter: Moviestill aus “The Cloud” (2015) © Nicolas Ritter

 


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