Die Kräfte hinter den Formen

Die Kräfte hinter den Formen


Alexandra Wach über „Die Kräfte hinter den Formen – Erdgeschichte, Materie, Prozess in der zeitgenössichen Kunst“ in den Museen Haus Lange und Haus Esters, Krefeld, bis 31.7.

Die Land Art machte es stilbildend vor. Sie nahm sich der Erosionsprozesse in der Umwelt bereits in den 1960er-Jahren an. Die „Earth Projects“ eines Walter de Maria, Robert Smithson oder einer Nancy Holt gaben sich aber noch keineswegs alarmistisch. Die von ihnen gestellten Fragen waren nicht zuletzt dem esoterisch angehauchten Zeitgeist geschuldet: Welche Position nehmen wir im Universum ein? Wie verändert der Einfall des Sonnenlichts unsere Wahrnehmung von Raum und Zeit? Wie viele analoge Prozesse lassen sich zwischen dem Organischen und Anorganischen ausmachen? Und nicht zuletzt: Wie kann die Skulptur in die unberührte Landschaft expandieren?

Darum, Naturphänomene auf eine neue Art zu betrachten, geht es heute nicht mehr. Wissenschaftler aller couleur kreisen längst um das Anthropozän, jene erst jüngst definierte Epochenbezeichnung, in deren Mittelpunkt der in das Ökosystem eingreifende Mensch steht. Ob Landwirtschaft oder Verkehr, spätestens seit der Industrialisierung prägt er die Erde mehr als es ihr gut tut. Die inzwischen auch politisch diskutierte Annahme, dass sich die Veränderungen in geologischer Form niederschlagen und deshalb von einem neuen Erdzeitalter auszugehen ist, lässt sich nicht mehr ignorieren. Kein Wunder also, dass auch der Ausstellungsbetrieb ins gefährdete Erdinnere schaut und sich den kulturwissenschaftlichen Begriff „geological turn“ auf seine Fahnen schreibt.

Steinmann

George Steinmann

Die Museen Haus Esters und Haus Lange in Krefeld möchten in ihrer Gruppenschau „Die Kräfte hinter den Formen“ nur ungern ins Metaphysische abgleiten. Der Titel stammt vom dänischen Maler und Bildhauer Per Kirkeby. Der war schließlich im Hauptberuf Geologe. Weswegen es der Kuratorin Magdalena Holzhey vielmehr um den geologischen Blickwinkel geht, den die ausgewählten „Forscherkünstler“ einnehmen, aber auch um die Abläufe in der Natur, die bereits vor dem Menschen-Zeitalter im Gang waren, oder heute gerade zur Nachahmung von Phänomenen wie Wachstum oder Elektrizität inspirieren.

Die Erdgeschichte dient dabei als Denkraum, in dem evolutionäre Zeitdimensionen von vielen Millionen Jahren auf die Kurzlebigkeit unserer zunehmend virtuellen Welt treffen. Der Parcours gehorcht einem fließenden Bewegungsprinzip. Man begegnet Phänomenen wie dem Sauerstoff, Rauch, Feuer, Wasser und Eis, oder Strukturen, die das Sandkorn hervorbringen. Das wirkt mitunter etwas beliebig und ist auch nicht immer als Notsignal aus unserer prekären Zeit zu erkennen.
Die einen sammeln schlicht Material, die anderen gestalten Lebendiges, spielen immer noch mit der Wahrnehmung oder studieren das Verhältnis von Mensch und Maschine. Die Reihenfolge spielt letztlich keine Rolle. Die Diffusion des Themas ist aber kein Manko, denn die ausgewählten Arbeiten sind konzise genug, um für sich zu sprechen.

Beinahe jede Station gehorcht der Vorgabe der Transformation, entweder durch den Menschen oder die Naturkräfte selbst. Was verbirgt etwa ein Schwamm hinter seiner Form? Zu aller erst ist er nicht das, was er zu sein vorgibt. Jens Risch hat für sein erstes Seidenstück vier Jahre gebraucht. Der Berliner reiht Knoten an Knoten und verkürzt so die am Anfang kilometerlange Seidenschnur in mehreren Durchgängen so lange, bis kein weiterer Knoten mehr dran passt. Der Zwirn komprimiert sich zu einem korallenartigen Gebilde mit grauer Tönung, die von dem Körperfett des Fadenbezwingers stammt. Ohne Frage eine seismographische Spinnerei nah am Puls einer heillos verworrenen Zeit, der nur noch durch das Ritual beizukommen ist.

Giuseppe Penone wählt als Vertreter der Arte Povera zwei Marmorbrocken, um sich der Natur dann doch möglichst raffiniert zu bemächtigen. Die Zwillinge empfangen den Besucher gleich am Eingang mit der Botschaft „Essere fiume“, also „Fluss sein“. Der formenden Kraft des Wassers konnte der eine Findling aus einem Bachbett nicht widerstehen. Den aus dem Steinbruch kommenden Klotz gestaltete Penone zum vermeintlich „ungeformten“ Doppelgänger und schlüpfte so ganz nebenbei augenzwinkernd in die Rolle des Schöpfers.

Ilana Halperin aus New York verschlägt es immer wieder an besondere Orte der geologischen Produktion. Wenn sie nicht gerade Körpersteine in Bezug zu Vulkanen setzt, die mit dem Ausspeien von Lava neues Terrain errichten, entdeckt sie in einer Tropfsteinhöhle in der Auvergne, dass unser Zeitempfinden nicht zwingend dem der dortigen Kalksteinquellen entspricht. In den Höhlen lässt sich Kalk auf vorgefertigten Kautschukmodellen im „rasenden“ Tempo von vier Monaten nieder. In herkömmlichen Tropfsteinhöhlen braucht es hundert Jahre, um einen Zentimeter einer Plastik zu erzeugen.

Natürlich kommt der drohende Kollaps des Planeten nicht zu kurz. Julian Charrière lässt in seiner beklemmenden Meteoritenlandschaft „Metamorphism“ Elektroschrott mit Lava-Sand zu einer „posthumanen Landschaft“ aus künstlichen Gesteinsbrocken verschmelzen. Den begehrten Rohstoff der Seltenen Erden recycelt er in der Rolle eines modernen Alchemisten und entzieht ihn der digitalen Verwertung. Gegen den Klimawandel kämpft er aber erst gar nicht an. Im Gegenteil. Die Foto-Dokumentation „The Blue Fossil“ zeigt ihn auf einem Eisberg in Island mit einem Schweißbrenner in der Hand. Der erhabene Koloss, vom winzigen Menschen frontal angegriffen, verweist unter umgekehrten Vorzeichen nicht nur auf Caspar David Friedrichs Klassiker „Eismeer“. Er verfügt selbst über die Qualitäten eines ikonischen Mahnmals des Anthropozäns.

Während die Schottin Katie Paterson aus Gletschereis geformte Schallplatten abspielen und damit schmelzen lässt, forscht George Steinmann in der russischen Arktis weniger poetisch nach den Auswirkungen der Rohstoffgewinnung auf die indigenen Völker der Sami. Das Urteil des mit Steinproben und Fotografien argumentierenden Künstlers fällt vernichtend aus. Immerhin feiert er zur Demonstration der drohenden Verluste den Saft der Heidelbeere wegen ihrer heilsamen Kräfte.
Da gilt es nur noch fluchtartig das ausgemusterte Helikoptertriebwerk von Roger Hiorns zu besteigen und darauf zu hoffen, dass der nackte Performance-Mann nebenan die Maschine zu steuern weiß. Auf die Antidepressiva, die das Ungetüm füttern, sollte man sich lieber nicht verlassen.

Eine Themenschau, aus der man mit einem stummen Vorwurf rauskommt, die laut genug appelliert, hin und wieder den Lachmuskel reizt, aber auch genug Raum für wissenshungrige Naturromantiker lässt. Was in dem narrativen Sammelsurium fehlt sind Überraschungen. Von der Kunst hätte man sich gewünscht, dass sie mehr leistet als die Illustration von Metamorphosen, prozesshaften Naturzuständen und profitorientierten Zerstörungen. Dennoch: In ihren Einzelteilen erreicht sie beim Besucher durchaus den Effekt des respektvollen Staunens angesichts eines Erd-Körpers, dem man beinahe eine Menschendämmerung wünschen möchte, um seine sich auflösende Pracht zu bewahren.

 

Artikelbild: Nina Canell, Ausstellungsansicht, Kunstmuseen Krefeld, 2016


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