DC Open

DC Open


Fast 40 Ausstellungen, Streifzüge durch Galerien und Projekträume, Partystimmung an warmen Spätsommerabenden: Letztes Wochenende fiel mit der 8. Ausgabe von „DC Open“ der Startschuss zum Saisonbeginn in Köln und Düsseldorf. Was hat auch nach Verklingen der rummeligen Eröffnungstage Eindruck hinterlassen? Meine Top 5 Ausstellungen in Köln (Achtung Männerriege!):

1_BH_skinny grand piano_2015

In der Ausstellung von Benjamin Houlihan in der Thomas Rehbein Galerie wurden ein Frankfurter Küchenstuhl, ein Flügel, ein Klappstuhl, und zwei Schränke ihrer Körperlichkeit beraubt und stehen nun teils durchhängend und etwas aus der Form geraten da. Houlihan hat nämlich mit Hobel und Feilen das Holz so lange geschliffen, bis nur noch skelettartige Umrisse übrig geblieben sind. Von seiner Materiallast erleichtert, steht der vormals massive Gegenstand faszinierend fragil da, ist statisch aus dem Gleichgewicht gebracht. Das instabile Liniengerüst verlagert sich durch Schwerkraft, Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit. Es bleibt die anmutige Bewegung der Kontur im Raum, das dreidimensionale Objekt wird zur zeichnerischen Setzung. Daran lässt sich das gattungsübergreifende Prinzip erkennen, welches auch Houlihans Zeichnungen in schwarzer Tusche bestimmt: Die Befreiung der Form von jeglicher Abbildhaftigkeit. Immer an der Grenze zur Abstraktion, erfasst Houlihan in einer großen Kurve die vornüber gebeugte, versonnene Haltung des „Spülers“, in seiner Tätigkeit nur durch den (sorgfältig ausgeführten) Schaum des Spülwassers gekennzeichnet. Houlihans Formfindungen beruhen grundsätzlich auf assoziativen Prozessen. Die Freiheit im Umgang mit der Linie erinnert bisweilen an die späten Skizzen und Gouacheschnitte der Blauen Akte von Matisse, insbesondere in seiner Darstellung einer kauernden Figur.

Tony Conrad_BeholdenToVictory_organizational and production manual

Tony Conrad, organizational and production manual, 3-16-17-1980, Beholden to Victory, typescript on paper, 29 x 21 cm

Die künstlerische Produktivität des dreifachen Documenta-Teilnehmers Tony Conrad, der dieses Jahr verstorben ist, beansprucht diverse Ausdrucksformen wie den strukturalistischen Film, Performance, experimentelle und minimalistische Musik und Komposition. Bei Daniel Buchholz zu sehen ist sein in mehreren Fassungen produzierter Film „Beholden to Victory“ (1980-2007) , eine spöttisch subversive Parodie auf das Genre des Kriegsfilms. Conrad führte nicht im herkömmlichen Sinne Regie und die Darsteller, darunter Künstlerfreund Mike Kelley, folgten keinem Skript. Stattdessen sollten sie im Rahmen festgelegter Regeln und Rollenverhältnisse improvisieren. Wie Witzfiguren erscheinen daher die Gestalt des Sergeants und des Soldaten, die sich unbeholfen durch heißes, unwirtliches Terrain schleppen und deren Verhalten von infantilen Zügen geprägt ist. Während der Sergeant übertrieben maßregelnd und gebieterisch daherkommt, ist der Soldat weinerlich und nörgelnd. Methoden der Kriegsführung und Erziehung werden gleichermaßen in die Lächerlichkeit überführt.

Clages; Bernhard Walter; broken; 2016; solo show; Einzelausstellung

Bernhard Walter, broken, 2016, Installationsansicht Clages

Um die Besetzung und Umbesetzung von Zeichen und Symbolen geht es in den minimalistischen Interventionen von Bernhard Walter bei Marietta Clages, Ausgehend von einem vergessenen, entkontextualisierten Schriftzeichen, das kabulische „THI“, verwertet Walter dessen abstrakte Form für die Gestaltung eines textilen Wandbehangs und einer Zeltplane, Insignien von Schutz und Obdach. Auf rostroten Metallplatten zeichnen sich gekrümmte und sich kreuzende Linien ab, deren Anordnung ebenfalls wie Zeichen, Kürzel oder Fragmente von Sprache anmutet. Walters Gespür für fremde, mit neuen Inhalten zu besetzende Symbole kommt in den „dead communicators“ zum Vorschein, die als einzelne, von der Decke hängende schwarze Signalkabel einfachste Striche ergeben. Hier wird die reine Zeichenhaftigkeit hervorgehoben, kein Inhalt vermittelt. Die Abstraktion hat ihren höchsten Punkt erreicht, in dem das Zeichen einzig auf sich selbst verweist: als universelles, allgemeines Kommunikationsmittel, dessen Sinn und Bedeutung immer wieder zu verhandeln ist.

Stollhans2

Jürgen Stollhans, Demo, 2016, 33 x 24 cm, Buntstift auf Papier, © Jürgen Stollhans, Courtesy M29

Anders als Walter betreibt Jürgen Stollhans bei M29 Richter Brückner eine Verdichtung von Sinnzusammenhängen. Stollhans schöpft aus multiplen Referenzbereichen und Informationsquellen; Selbstzitate und sogar Konstruktionen aus eigener Produktion werden immer wieder verwertet und multimedial aufbereitet.
Eine Reihe Buntstiftzeichnungen stellt die Stadt Köln in den Mittelpunkt. Erkennbar sind die Kranhäuser auf einem Demoplakat, das Ford-Logo und die neue Freitreppe am Deutzer Rheinufer. Stollhans greift bei der Darstellung letzterer das Stichwort Sauberkeit auf, verweist auf den Umstand, durch den das Prestigeobjekt zur Peinlichkeit zu werden droht. Unverkennbar das gestreifte Heck des legendären Zebra-Flugzeugs von Bernhard Grzimek mit welchem sein Sohn tödlich verunglückte. Eine weitere Zeichnung übernimmt das Motiv von Vater, Sohn und Flugzeug aus einer weiteren Vorlage, wobei verschwommene, wie ausgelöscht wirkende Partien Unschärfe in das Szenario bringen. Auch der Titel scheint die Transparenz der medialen Überlieferung schlechthin zu negieren: „So ist es niemals gewesen“. Stollhans reflektiert gleichwohl das Medium als unzuverlässigen Bedeutungsträger als auch die Wahrheit als Konstrukt, das kippen kann.

Ausstellungsansicht4_2016

Lutz Braun, „Rat Park“, 2016, Ausstellungsansicht Galerie Nagel Draxler, Köln, Foto: Simon Vogel

Auf den farbintensiven, mit geisterhaften Gestalten bevölkerten Gemälden von Lutz Braun bei Christian Nagel breiten sich subjektive Angstzustände und Endzeitszenarien aus. Brauns Fantasie entfaltet sich auf Leinwänden, Holztafeln, Teppichstücken und sogar auf einem mit breitem Kordstoff bezogenen Kissen. In den Übergängen fließender Farbverläufe treten die Umrisse von gespenstisch schattenhaften Figuren auf, die sich alsbald vexierbildhaft durchdringen und im Wechsel mit durchlässigen wabernden Schlieren und dichten nebulösen Schwaden, wie Membranen oder Flecken, schemenhaft abzeichnen. Alles ist ohne Halt, schwebend, die irisierend leuchtende Farbigkeit erinnert an die Visionen von Odilon Redon oder Edvard Munch. Wie bei den Symbolisten durchströmen Melancholie und seelische Abgründe die mehrschichtigen Kompositionen, die neben der Parallelwelt der Psyche und ihren Geistwesen auch die digitale Parallelwelt mit ihren Ungeheuern und Techno-Zombies eindringlich thematisieren.

Artikelbild: Tony Conrad, Beholden to Victory, 1980/2007, Super-8 transferred to digital medium


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