Catwalk

Catwalk


Glamouröse Geister der Dunkelheit – Das Rijksmuseum in Rotterdam zeigt mit „Catwalk“ (bis 16. Mai) eine Auswahl seiner Modesammlung. Oliver Tepel hat sich die Ausstellung angeschaut.

Sie reflektiert das zarte Licht der Deckenstrahler zu einem aufsehen erregenden Funkeln, die kleine metallene Kugel in der Tischvitrine des abgedunkelten Raumes. Neben der Kugel: ein Knochensplitter und noch eine Kugel, ebenfalls rund und noch ein weiteres Knochenartefakt. Kaum vorstellbar, dass sie vor gut 380 Jahren aufgelesen und seitdem aufbewahrt wurden, wie Indizien in einem Fall für Profiler, zu lösen erst eines Tages in der fernen Zukunft. Doch der Fall ist klar, Ernst Casimir und acht Jahre später, in beängstigender Parallelität der Ereignisse, sein Sohn Hendrik Casimir wurden erschossen, als Friesische Statthalter. Der Schuss durchschlug den breitkrämpigen, dandyesk aussehenden Hut, da liegt er, in der Vitrine nebenan, die Geburtsstunde des institutionellen Aufbewahrens von Kleidungsstücken in den Niederlanden. Die Mode beginnt mit dem Tod. Wollen wir sie sterben lassen?

Opnamedatum: 2016-02-16

Foto: Rijksmuseum

Einige Kleidungsstücke mehr, alle in hochwertiger Machart, mit kompliziert scheinenden, bei etwas Nachdenken doch recht pragmatischen Details, berichten vom Look der beiden Herren. Besonders die anscheinend für Tweedledee und Tweedledum geschneiderten, ledernen Reithosen und Wämser werden bestaunt. Was für einen Bauch sie umhüllten! Einem Schwerthieb hätten sie standgehalten, aber keinen Kugeln. Doch wie kam so ein Dickerchen auf sein Reitpferd? – Nein, nicht despektierlich werden im Angesicht dieser niederländischen Helden, doch die Fragen kommen so manchem Besucher unmittelbar, wie aus dem Mund der seltsamen Kinder nebenan.

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Foto: Oliver Tepel

Da ist ein junges Mädchen, man hat ihr die Augen verbunden, die langen Enden des Tuchs hängen von ihrem Kopf gleich einem Pferdeschwanz. Sie trägt ein seidenes Abendkleid, der Rock, nach der Mode von 1846 aufgebauscht von mehreren Lagen, wirkt dennoch so, als passe nur ein zartes Persönchen hinein. Hier erscheint sie als Jugendliche, die sich draußen um die Kinder kümmern muss und doch gern drinnen, im Licht vom Mann der Träume schwärmen würde. Aber die Kinder, sie haben keine Körper! Sie tanzen im Kreis um die junge Dame, ein entzückendes Matrosenkostüm aus dem Jahr 1885, der Jungenmantel mit eingewebtem floralen Motiven aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und sechs weitere vereint im Reigen. Wie heißt das Spiel, das sie spielen und was tun sie hier, in der Dunkelheit? Man wähnt sich in einem Geisterfilm, die Flut hat sie vor ihrer Zeit genommen und nun kehren sie auf ewig zurück.

Foto: Rijksmuseum

Foto: Rijksmuseum

Auf Ewig! Das scheint nicht die einem Kleidungsstück zugebilligte Perspektive – keine antike Skulptur, kein Bild, dessen materielle Zeitlichkeit von Könnerhänden wieder und wieder gedehnt wird. Nun waren die Niederlande sehr wohl ein Weltzentrum der Malerei, aber kaum bekannt für ihre Schneiderkunst oder Modekreationen. Dennoch wurde gesammelt, im Rijksmuseum ab 1870 und dann vor allem eins: in Dunkelheit bewahrt. Motten und Licht sind der Stoffe Tod und über die Jahre wird auch unter besten Bedingungen das Material brüchig. So mag der Sammlung ihr halbvergessenes Schattendasein zugute gekommen sein. Selten wurde etwas gezeigt, derweil wuchs die Sammlung dank eines Ankaufs und einer Schenkung in den 1970ern auf internationales Format. Das stille Geheimnis des Rijksmuseums?

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Foto: Oliver Tepel

Nun profitiert der Blick von dieser Schattenexistenz. Wahrscheinlich so, wie sie einst in dunkler Eleganz schimmerten, zeigen sich auch heute noch die Violett-Töne des Seidenkleids, prachtvoll wie am ersten Tag. Was der Stoff einst wohl kostete? – „Gar nicht mehr soooo viel“, flüstert eine verborgene Stimme: 1856 hatte ein 18 jähriger Jüngling ‚Mauvein‘ entdeckt und man konnte nun violett als künstlichen Farbstoff anbieten. Den Briten, William Henry Perkin machte seine Erfindung „Aniline Purple“ umgehend reich. Doch die augenfälligsten Reichtümer hier sind die unzähligen schmückenden Details, allem voran die Stickereien, die blutroten Blumendolden mit goldenem Stengel, Posamente als Grund auf dem gestickte Pfingstrosen wachsen, ein silberner Schmuckfaden, der das Kleid schimmern lässt – wobei wir wieder bei der Aufbewahrung wären, denn nun erscheint er, über die Jahrhunderte oxydiert, wie aus Eisen und riss zudem kleine Löcher in die Seide des Kleides, welches er doch nur schmücken sollte. Doch bis nach dem zweiten Weltkrieg war an eine restauratorische Tätigkeit gar nicht zu denken! Freiwillige, wie Johanna Derkinderen-Besier, die erstmals die Sammlung beschreibt und 1926 einige Stücke ausstellt, kümmern sich. Louise Mulder-Erkelens wird ab 1946 immerhin bezahlt. Sie gestaltet 1962 eine Dauerausstellung und erst ihre Nachfolgerin, Bianca du Mortier, die sich nun für „Catwalk“ verantwortlich zeigt, nahm die Stücke wieder aus dem taghellen Scheinwerferlicht. Heute entspannen sich die Materialien, nebst der feinen Kleiderpuppenherrschaften in partikulär illuminierter Dunkelheit. Einige von ihnen sind Kopflos, wie jene Holzständer auf denen die Kleider unter Dekinderen-Besier erstmals drapiert wurden. Ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit, eingesperrt in einem Glaskasten, die kopflose Baronin Helena Slicher. Oder doch nur ihr über zwei Meter breites Kleid, in dem sie 1759 Baron Albrecht van Slingelandt ehelichte? Es erinnert an die Infantin auf Velazques „Las Meninas“ und ist in seiner Pracht aller calvinistischen Schlichtheit so fern, dass man sich nicht wagt, die Niederlande als eindeutigen Ursprungsort anzugeben. Sein blasses Blau wird von Blumen und goldener ornamentaler Stickerei zur Farbe hell-träumerischer Sehnsucht. Der Höhepunkt der Ausstellung.

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Foto: Oliver Tepel

„Meinen Sie wirklich?“, fragen mich die gar nicht kopflosen, aber mit bronzenen Masken angetanen Figuren des großen Saals nebenan. Sie sind gekommen um zu huldigen. Ihre Kleidung ist etwas jünger, überbrückt das 19. Jahrhundert und findet doch keine Ruhe in all den stilistischen Neuerungen, die oft auch Neuerungen des Lebens repräsentieren (etwa ein Jagdanzug für die Dame). Gestaffelt auf Podesten fixieren ihre leeren Augen nur eins: Das Idol! Über ihren Köpfen, in einer rahmengleichen, an den Art Deco Futurismus mancher Science Fiction Filme erinnernden Konstruktion steht SIE. Nein, sie steht nicht wirklich, sondern dreht sich um die eigene Achse, ihre Arme ausgebreitet, als sei sie der Cristus Redentor über den Hängen Rios. Doch ihr Gewand ist nicht lang, die schwarzen Arme sind unbedeckt, ebenso die Beine, bereits oberhalb der Knie. Sie wendet den Blick von uns ab. In schwarzweisser, geometrischer Strenge umhüllt sie eines der Mondrian Kleider von Yves Saint Laurent. „Das ist der wahre Höhepunkt“, murmeln die Maskierten eindringlich. Die Inszenierung lässt einen nicht daran zweifeln, doch nach all den Detailblicken auf feinste und komplizierteste Handarbeit, nach den ausgefallensten Schnitten, erscheint Saint Laurents betont schlichtes Kleid als Antithese, in der sich das bedruckte, industriell gefertigte Minikleid über die Zeiten erhebt, um die Moderne zu preisen. Aber auch, um sie zu beenden. Saint Laurents Kreation ist ein Beitrag zum 20er Jahre Revival der 60er, wir betreten die Welt der referenziellen Verweise. Diese enorme Inszenierung im Raum funktioniert über die Freifläche, auf der wir vielleicht stehen und welche die Maskierten in ihren mannigfaltigen Kleidern und Kostümen von der Erhobenen trennt. Im Sinne eines Zeitpfeils markiert dieser freie Raum den Einbruch der Couture, der Modeindustrie.

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Fotos: Oliver Tepel

Die enorme stilistische Entwicklung, die hier ausgespart wird, erleben wir im zentralen Showroom nebenan, anhand von 22 kopflosen Mannequins, die ohne Unterlass im Oval den Laufsteg entlangschreiten, mechanisch bewegt. Kleider aus der Zeit der Couturiers, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 50er, vom namenlosen Meister bis zu Balenciaga, von gerader Linie und lockerem Schnitt, bis zum ausgestellten Rock. Für jede Kreation liefert ein bereitliegender Block interessante Erläuterungen. Doch von den Plätzen blicken ältere Damen skeptisch auf das Defilee. Fast etwas garstig wirkt diese eigentlich doch atemberaubende Vorführung dank ihres kritischen Publikums. Schon zuvor hinderte einen nur die Anwesenheit emsig umherhuschender Blog-Autorinnen („Können sie was zur Ausstellung sagen? Was gefiel ihnen am besten?) am besorgten Zweifel, das „Ab 65“ Schild übersehen zu haben. Vielleicht waren ja alle Designer längst schon zugegen und am frühen Nachmittag hat Wochentags nicht jeder Zeit, doch der Kontrast zwischen den Kleidern, zumeist geschaffen, um der Jugend ihrer Trägerinnen zu schmeicheln und dem betagten Publikum intensiviert den Eindruck, Teil einer Inszenierung zu sein.

Opnamedatum: 2016-02-16

Foto: Rijksmuseum

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Foto: Oliver Tepel

Dabei ist es doch eigentlich eine Ausstellung über… Ja, über was? Über eine Tradition, die, was thematisiert wird, gar nicht existiert? Über eine außerordentliche, zugleich doch auch einen gewissen zufälligen Charakter aufweisenden Sammlung? Über die Geschichte der Kleidung ab dem 17. Jahrhundert? Oder ist sie eine Schule des Sehens? Das Begleitblatt für jeden Besucher deutet auf jene Details des Stils und der Machart, wie sie auch in diesem Text erwähnt wurden. Die Perspektive der Lupe liegt nah, aber korrespondiert doch kaum mit dem titelgebenden Catwalk. Bald scheint, die Unbestimmtheit dieser Ausstellung, von der man vielleicht im Voraus allein wusste, dass sie beeindrucken könnte, wurde genutzt, um über die Präsentation von Kleidung zu sinnieren.

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Foto: Oliver Tepel

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Foto: Oliver Tepel

Jenseits der aufs Tragischste mit dem Schicksal ihrer Träger verbundenen Kleidungsstücken muss sie sich fragen, was ein Kleid ohne seine Trägerin ist. Ein Großteil der gezeigten Stücke wurde einst maßgeschneidert, ihre Farbgebung spielte mit Hauttönen und Haarfarben. So hadern die verschiedenen Figuren, mal kopflos, mal mit angedeutetem Charakter versehen, allesamt mit dem Problem des Skeptizismus, ob der umstürzende Baum im Wald ein Geräusch macht, wenn keiner hinhört. Oder versimplifiziert: Ob ein Kunstwerk eines ist, wenn keiner es ansieht. Ja, was ist ein Kleid, das niemand trägt? – Die Antwort hier ist längst keine allgemein akzeptierte: Das Kleid ist ein Kunstwerk. Es hat keinen anderen Sinn mehr, als angesehen zu werden. Was die Hochkunst nicht erreicht, da sie sich ihrer letzten Zweckbestimmung, eben zwecklos sich selbst zu repräsentieren, nicht entziehen kann, das gelingt diesen Kleidern, die ihren Zweck verloren haben und nun von allem frei sind, frei dafür, dass die Geister in sie schlüpfen können. Deswegen die Dunkelheit! Die Performance der Kleider schließt den Betrachter mit ein, man spielt mit, nicht nur als Zuschauer am Catwalk. Gedanken imaginieren die Kleider in Phantasiewelten, noch lange nach dem Ausstellungsbesuch. Die Sprache der Geister lässt einen nicht los!

Die Ausstellung ist ein Erlebnis, so wie es installative Kunst häufig anstrebt und selten erreicht. Das große, intensive, beeindruckende und beklemmende Kunstwerk der Bianca du Mortier.

 

Artikelbild: Foto Rijksmuseum


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