Besprechung
Andrea Büttner


Noemi Smolik über „2“ im Museum Ludwig, 5.9.14-15.3.15

Das „Unmoderne“ scheint sie zu faszinieren. Das, was als veraltet gilt, was man als folkloristisch bezeichnet, zieht sie an. So etwa die Hinterglasmalerei, auf die Anfang des vorigen Jahrhunderts schon die Maler Wassily Kandinsky und Gabriele Münter ein Auge gerichtet hatten. Andrea Büttner malt in dieser Technik kleine Andachtsbilder, die Landschaften als Motiv haben. Sie stellt sie zusammen mit Holzschnitten aus, wie aktuell in der Ausstellung „2“, im Museum Ludwig.  Dass sie sich auch für die Menschen interessiert, die solche Techniken beherrschen, zeigte sie bereits 2007 in der Ausstellung „ Pensée sauvage? On Freedom“  des Frankfurter Kunstvereins, als sie in ihrem Video Nonnen vorstellte, die als Holzschnitzerinnen arbeiten.

In Köln sind Büttner Holzschnitte zu sehen, die Abdrücke von Teilen eines zerlegten Klaviers sind. So beispielsweise ein Stück mit Schlüsselloch. Überhaupt haben es ihr Klaviere angetan. Vielmehr die höheren Töchter, zu deren Ausbildung das Spielen einst gehörte. Und als sie sich mit dieser Tradition beschäftigte, fiel ihr auf, dass es seit Ende der 50 Jahren des vorigen Jahrhunderts Söhne gab, oft ebenso aus besser gestellten Familien, die nicht nur Klavier spielten sondern sich auch dem leidenschaftlichen Zerstören des Tastengerästs hingaben. Die performativen Auftritte von Nam June Paik,  Ben Vautier, Raphael Ortiz oder Wolf Vostell, die mit Hammer, Axt oder einer Bohrmaschine in der Hand die Klaviertasten mit sexual geladener Energie bearbeiten sind legendär. Wunderbar, wie sich diese Herren in den von Büttner zusammengestellten Videos, mit dunklen Anzügen und Krawatten gekleidet an die Zerstörung machen und anschließend von einem Publikum in Abendgarderobe beklatscht werden. So geschehen 1962 während eines Fluxus Festivals stattfindenden Aktion in Wiesbaden.

Wenn Frauen in diesen Happenings vorkamen, dann waren es diejenigen, die vor dem Auftritt den Staub vom Klavier abwischten oder anschließen die zerhackten Teile aufräumten. Emanzipierte  Frauen lagen für diese mit ihrem eigenen Befreiungsschlag so beschäftigen Männer noch in ferner Zukunft. Und so bringt Büttner in ihrer Video- und Soundinstallation die Piano spielenden Töchter und die wütenden Söhne zusammen. In einer Performance, die in kanadischem Benff 2014 ausgeführt wurde, brachte sie neun Frauen, die an Flügeln feierlich gekleidet sitzen, und klassische Klavierstücke spielen, mit Projektionen, die dem von Männern dominierten Zerstörungstrieb hulidgen, von dem Alain Badiou in seinem Buch „Das Jahrhundert“ meinte, er sei ein der Hauptmerkmale des 20 Jahrhunderts. In Köln sind in vier Projektionen die Klavierzerstörer zu sehen und abwechselnd mit Aufnahmen der Klavierspielerinnen aus Banff zu hören. Hammerschläge und Geräusche der Bohrmaschine folgen auf die lieblichen Klängen romantischer Stücke und plötzlich wird die ganze Absurdität der emsigen Zerstörer aber auch der beflissenen Spielerinnen deutlich.

Neben dieser großen Inszenierung zeigt Büttner in Köln noch ein weiteres Werk, das diese an Komplexität noch übertrifft. Hier knüpft sie sich die 1790 von Emmanuel Kant verfasste „ Kritik der Urteilskraft“ vor, um überall, wo er als Beleg für seine Theorie Bilder oder Gegenstände beschreibt, diese mit Worten gebildeten Darstellungen durch Illustrationen zu ergänzen. Wenn Kant etwa eine Wiese oder einem Kristall heranführt, ergänzt Büttner diese mit entsprechenden visuellen Beispielen. Meist sind diese Bilder eher assoziativ, oft sogar weit entfernt vom Beschriebenen. Für ihre Bebilderung ging Büttner die Bibliothek Kants durch und nutzt Bilder, die der Philosoph tatsächlich gesehen haben konnte. Büttner ergänzt diese mit eigenen Zeichnungen, mit Tierdarstellungen, Tapeten oder Modeblättern der Zeit, Fotos von Landschaften und Werken anderer Künstler, sogar eine Zeichnung von Kant taucht auf. So entsteht ein Kosmos von Bildern, der den Betrachter zwischen dem visuellen Ausdruck der Bilder und der Vorstellungskraft der Worte hin und her pendeln lässt. Schade nur, dass die Bilder in der Ausstellung nicht durch den dazugehörigen Text begleitet werden.

Doch beide Werke vereint erscheinen in Kürze im renommierten Felix Meiner Verlag, Kants Stammverlag. Als solches stellt dieses Buchprojekt eine ideale Ergänzung zu der aktuellen Auseinandersetzung in der Philosophie dar, die Kant ein zu stark Subjekt bezogenes Denken vorwirft. Heutige Philosophen streben eine Erweiterung des materialistischen Verständnisses der Welt um ein mehr Objekt bezogenes Denken an. Büttner zeigt die sie umgebenden Dinge an sich, losgelöst von ihrem subjektiven Bezug dazu. Hier ist sie den neuen philosophischen Diskussionen bereits einen großen Schritt voraus.


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