Art was only

Art was only


Maria Wildeis über das Ende der Kunst, die Anfänge des Internets und eine Gegenwart im Dienstleistungszwang. Eine Polemik.

Der Veranstaltungstitel eines Künstlergesprächs, das vom Magazin Spike Berlin organisiert und mir durch Florian Kuhlmann begegnete, blieb haften: „Art was only a substitute for the internet.“[1] – „Die Kunst war bloß ein Ersatz für das Internet“ lässt viele Behauptungen offen. Das Präteritum suggeriert einen längst angenommenen Zustand. Kunst ist Vergangenheit. Das ist klar.

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Sacha Toncovich: I want to be a perfect user

Aber auch das Internet steht vor einem Ende. Bei der Entstehung des www waren Wissenschaftler, Akademiker, Techniker und Künstler voller Hoffnung, hiermit eine kreative Zelle zu erschaffen, die der Humus für die Verschmelzung der Wissenschaften und der Künste in einem gemeinsamen, weltenverbindenden Projekt werden sollte. Unentdeckte Möglichkeiten, grenzenlose Freiheit, keine Ländergrenzen, keine Politik, keine Gebühren, keine Anwälte. Open-Source-Bewegungen beherrschten Jahrzehnte die Hohe See. Informatiker und Hacker waren wirklich in der Lage, Neues zu entwickeln, wie damals die Eroberer auf der echten Hohen See Schätze an neuen Ufern entdeckten. Jedoch sind in der Zwischenzeit die Wogen geglättet und die romantische Seeluft des Internets riecht nach Kommerzialisierung und sozialer Kontrolle. NSA und das Payback-Punkte-System haben uns im Griff, nur noch die Leak-Finder versprühen vereinzelt die Hoffnung auf einen eigenen Geist, der sich nicht zum nutzlosen Mittel zum Zweck einer lächerlich komparativen Gesellschaft machen will, in der es immer nur nach oben gehen soll.

Wie in Städten die Mittelschicht in die Künstlerviertel zieht, wird der kontrollfreie Raum des Internets mehr und mehr von einer Betriebswirtschaft gentrifiziert. Freiräume werden knapp.

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William Wolfgang Wunderbar: Mixed Feelings

Klickst du da, passiert dies, likest du den, weiß das dieser – immer härter verdichtet sich das Internet zum sozialen Spiegelkabinett, in dem die Idee einer kreativen Freiheit erstickt wird durch Analyse und Kontrolle. Und die Wurzel allen Übels: dein gefährlicher Wunsch nach Anerkennung. Das ist jener Antrieb, den die Marktwirtschaft nutzt, um dir das Gefühl zu geben, du musst Gegenstände aller Art kaufen und das immer wieder, weil es immer besser werden muss, weil du immer besser werden musst.

Ein solches Verfahren des Marketings wäre früher der feuchte Traum böser Diktatoren zur Kontrolle eines dummen Volkes gewesen. Heute trägt das Böse einen Jutebeutel und „Heey!“, er ist gefüllt mit attraktiven Angeboten, die dein Leben richtig LOL machen: Lieferservices, Schuhe, Versicherungen, Airlines und Fitnesskurse. Propaganda hat das Internet im Griff, seine Freiheit steht auf dem Spiel – sein eigenes Ende steht auf dem Spiel.

Also, kommen wir zurück zur Polemik: Das Internet ist tot. Oder zu mindest bald. Und die Kunst war es schon davor, ist es also schon lange. Im 19. Jh entfachte „le Querelle des Anciens et des Modernes“[2], ein Streit, der mit dem Einzug der Moderne den Untergang der Kunst prophezeite. Davor bedauerte Hegel schon, die Kunst sei etwas Vergangenes, das vor allem auch vergangen bleibe. Vor ihm sah Johann Joachim Winckelmann die Kunst bereits nach der Antike als unwiederbringlich abgeschlossen: Er fühle sich wie eine Frau, die „an dem Ufer des Meeres ihren abfahrenden Liebhaber, ohne Hoffnung, ihn wieder zu sehen, mit bethränten Augen verfolget, und selbst in dem entfernten Segel das Bild des Geliebten zu sehen glaubt.“[3]

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William Wolfgang Wunderbar: interfacebook

Ein Ende war somit schon immer in Sicht, lag vor oder hinter der eigenen Zeit. Für Arthur Danto war die Kunst ab 1964 beendet, als Andy Warhol erstmals die Brillo Boxes in der Stable Gallery in New York ausstellte. Jedoch impliziere ein Ende, so der US-Philosoph und Kunstkrikiter, nicht unbedingt einen Abschluss der Kunstproduktion: „Ende der Kunst heisst selbstverständlich nicht, dass es keine Kunstwerke mehr geben wird. Ganz sicher,“ so Danto, „war das letzte Jahrzehnt künstlerisch produktiver als sämtliche vorangegangenen Epochen der Geschichte.“[4] Das schrieb er in den 90er Jahren. Durchaus, die 80er mögen künstlerisch sehr produktiv gewesen sein, aber diese Produktivität steht in keinem Verhältnis zu der seitdem exponentiell angestiegenen Dichte an Künstlern, Kunstwerken, Kunstinstitutionen, Galerien, Akademien und der Entstehung von OFF-Räumen weltweit.

In Amerika schließen mehr als 50.000 Kunststudenten im Jahr ihr Studium ab, meist hoch verschuldet gelangen sie (bei durchschnittlich 50.000 Dollar Studiengebühren pro Jahr) umgehend in die Abhängigkeit von Geld- und Anerkennungssystemen.[5] Die Entscheidung, Künstler zu werden, ist schon immer mit vielen Risiken verbunden, egal ob man sich an einem diskutierten Ende der Kunst befindet oder nicht. Der Kunststudent erfährt, sobald er in die Akademie eintritt, von einem besonderen Netzwerk: Jenem Netzwerk, das Anerkennung bringt und den „richtigen“ Weg verheißt. Ein „richtiger“ Weg wird zwar von keinem Explizit erklärt, jedoch erfährt man schnell, mit wem man sich am besten zusammenschließt, auf wen man lieber hört und auf welche Projekte man besser verzichtet. Wenn man denn überhaupt durchblickt, dann dass niemand durchblickt.

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Sacha Toncovich: The emotions dissapear when select images and do screenshots (S.T. appropriating William Wolfgang Wunderbars Series „Mixed Feelings“)

In Akademien, wo Hierarchien herrschen und wo weitere Hierarchiestrukturen von Geldgebern erschaffen werden, dort werden Künstler (oder die, die es werden wollen) zu einem visuellen und inhaltlichen Kanon in der Bildsprache ihrer Arbeiten erzogen, der eine klassische Dienstleistungsbranche kreiert. Der Künstler agiert im Sinne einer Interessensgruppe, um Geld zu verdienen oder wenigstens die Hoffnung auf Geld zu haben. Museen, Kunstvereine, Förder-, Residency- und Stipendienprogramme und der Kunstmarkt erschaffen eine Wolke aus Erwartungen, die den Künstler so formen, wie es ihnen und der Politik passt. Ob es jemals anders war? Vermutlich nicht.

Genau wie der Wunsch nach Anerkennung in der Marktwirtschaft genutzt wird, um ein komparatives, wachsendes System zu kreieren, so färbt sich dieses Verfahren auf die Kunstwelt ab und Künstler erschaffen Objekte, die dazu dienen, Anerkennung zu generieren. Anerkennung vom Prof, Anerkennung von Kuratoren, den Kollegen, Anerkennung von der öffentlichen Hand – konzeptionell durchdachte Werke interessieren Kunsthistoriker, Künstler aus Krisengebieten interessieren Museen, Werke mit Bronze interessieren Sammler, der Kunstmarkt wünscht sich die Kunst in freundlich abgepackten Portionen, möglichst zweidimensional, die Off-Szene will Action, Sound und Performance, die Presse will Ai Weiwei wie er sich an den Strand legt, etc.

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Sacha Toncovich: Today i received 7 likes 13 love 17 haha 103 wow 761 sad and 1046 angry Im feel : /

Kein Kunstverein zeigt Künstler aus reinem, „interessenlosen Wohlgefallen“. Es handelt sich bei der Auswahl um Produkte, deren Kriterien von einer komplexen Interessengemeinschaft vorgegeben werden: Der Freundeskreis, der schon seit Jahrzehnten Mitspracherecht bei der Gestaltung des Kunstvereins hat, verlangt nach einer Marketingstrategie, die die Kunstwerke ins Haus holt, die wiederum die „richtigen“ Menschen anlockt, die sich für das Ereignis interessieren sollen. Kunst ist Köder für etwas Übergeordnetes. Dafür ist ein simpler Katalog an Aufgaben zu erfüllen: Der Künstler muss im internationalen Diskurs Anklang finden, die richtige Presse muss bereits auf ihn aufmerksam geworden sein, eine zwar avantgardistische, möglichst raumgreifende Präsentationsform soll gefunden werden, die Installation sollte aber nicht verrotten, das Ordnungsamt oder andere Ämter verärgern. Dann bestimmt auch das Budget die Form der Kunst. Es soll riesig sein, aber nichts kosten – kein Wunder, dass Arte Povera einfach Trend bleibt. Die Bedingungen formen aus dem Speckstein die Skulptur, der Künstler hört auf seine Anweisungen und schlägt dort, wo er darf. Worin unterscheidet sich diese Tätigkeit von einem Klemptner, der angerufen wird, ein Rohr mitbringt, und dieses im Haushalt an der gewünschten Stelle installiert? Die Kunst hat ihr Ende gefunden, sie ist Dienstleistung geworden.

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William Wolfgang Wunderbar: Mixed Feelings

Im Gegenzug hat Kunst die Kraft, den Verstand zu erweitern, Sichtweisen zu verändern oder auch einfach ein „interessenlosese Wohlgefallen“ gemäß der Kritik der Urteilskraft Kants in uns auszulösen. Es sind geistige Aktivitäten. Manchmal freut man sich über das Gesehene, manchmal ist man verärgert, oft passiert nichts. Im Grunde kann die Kunst der vielleicht einzige Gegenstand in unserer aktuellen Gesellschaft sein, der dich nicht dazu auffordert, etwas zu kaufen. Gleichzeitig ist dieser Gegenstand selbst ein Opfer der Betriebslogik geworden. Wie will man authentische, künstlerische Botschaften von vergewaltigter Kunst erhalten, die durch viele fremde Hände geformt und ihrer künstlerischen Autonomie beraubt wurde?

Zur Beruhigung: Eva Geulen hatte die Kunst – zumindest 2002 – noch nicht aufgegeben: „Das Ende der Kunst ist ein Gerücht. Solange von einem Ende die Rede ist, bleibt das Verhältnis der Rede zu ihrem Gegenstand ein gespaltenes und unzeitiges, kommt die Rede entweder zu früh oder zu spät. (…) Obwohl unzeitgemäß ist das Ende der Kunst immer auf der Höhe der Zeit, denn an jedem Punkt kann es nah oder schon geschehen sein.“[6]

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Sacha Toncovich: no emotions

Wenn Kunst zum Denken anregt, wenn sie Diskurse und Polemiken auslöst, dann ist sie zwangsläufig noch am Leben – auch wenn sie dabei das tragische Opfer einer verkommerzialisierten Gegenwart bleibt. Derweil hoffen wir auf den kreativen Input von Piraten und Leak-Findern, auch ausserhalb der digitalen Welt.

Bildnachweise:
William Wolfgang Wunderbar (www.facebook.com/guillierwowww), 2016
Sacha Toncovich (www.facebook.com/profile.php?id=100012606816015), 2016

[1] http://www.spikeartmagazine.com/en/articles/art-was-only-substitute-internet-talk-about-net-art (18.8.2016)
[2] Übers. aus dem Frz. „Der Streit der Alten und der Neuen“.
[3] Vgl. Wolfgang Ullrich: Was war Kunst? Frankfurt a.M. 2005, S. 230.
[4] Arthur Danto: Kunst nach dem Ende der Kunst, S. 23, München 1996.
[5] http://www.makingartmakingmoney.com/#how-to-make-a-living-as-an-artist
[6] Eva Geulen: Das Ende der Kunst, Baden-Baden 2002, S. 9


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