Besprechung Mashing Up Spirits

Besprechung
Mashing Up Spirits


Zu: Jan Scharrelmann »Saved by Spirit« in St. Gertrud / Köln / bis Ende Oktober


Agnesviertel, Köln. Direkt an der Krefelder Strasse baut sich vor mir die Kirche St. Gertrud auf. Drei Sch
ritte durchs Portal, Tür auf: Der erste Blick entlang der linken Flanke des Kircheninneren empfängt brennende Opferlichter, ein Marienbild, einen mannshohen, rostigen Steinblock, der hochkant an der Wand lehnt. Den offenen Raum des Kirchenschiffs bestimmen vielfarbige Kuben. Die sechs Objekte beschreiben eine eigenen Topologie, teils gestapelt, vordergründig locker hineingewürfelt. An der Stirnseite des Raumes thront über allem der Herr Jesu,
– ans Kreuz genagelt und mit sichtlich betroffener Miene.

Der sorgenvolle Gesichtsausdruck gilt sicher nicht den Würfeln, die in der verlängerten Achse des Kreuzes die Kirchenmitte besetzen. Es geht dem Herrn Christie um die Frage, -so scheint es zumindest gerade- wer denn jetzt gewillt ist, den Weg in aller Konsequenz zu Ende zu gehen, ohne die Radikalität der subversiven Geste an der ersten Stelle der Zweitverwertung preiszugeben. Und welche Geste denn überhaupt noch der Bigotterie der Gesellschaft den Zucker in den Tank träufelt? Kurzer Reminder: Der Mann am Kreuz hat da mal eine historische Marke gesetzt.

Der Raum, der das Geschehen umgibt, ist ein von Gottfried Böhm erdachter Sakralbau, der sich insbesondere durch seine expressionistische Architektur auszeichnet: Die Wänden bestehen aus massiven Betonflächen, die sich an der Decke auf ziemlich beeindruckende Weise zu ungleichmäßig-kristallinen Strukturen fügen. Einen solchen Raum mit einer zeitgenössischen Skulptur zu erweitern, ist schätzungsweise auch eine taktische Unternehmung. Die kubischen Objekte des Bildhauers Jan Scharrelmann wirken aber in ihrer vordergründigen Einfachheit wie selbstverständliche Komplementäre der Umgebung. Je näher man ihnen kommt, desto mehr offenbaren sie von ihrer möglichen Leichtigkeit.

-Schnitt-

Bastard Pop. Das ist der Vorläufer vom Mashup. Eigentlich werden die Begriffe synonym verwendet aber Bastard Pop gefällt mir einfach gut. Madonnas Gesang über Gitarrenriffs von AC/DC, Eazy-E im Duett mit Johnny Cash, Louis Armstrong singt Wonderful World über Radioheads No Surprise. Und letzteres lässt sich dann zum Nulltarif aus dem Netz ziehen unter dem Namen What A Wonderful Surprise! Die Frage, ob das denn legal und rechtens ist und/oder mit Copyright-Gesetzen in Einklang zu bringen, erledigt sich bei genauerer Betrachtung sofort.

Mit dem Bastard Pop (oder Mashup) ist eine Kulturtechnik angetreten, die sich einer weiteren Verwertung oder Vereinnahmung insofern sperrt, als dass sie selber erst durch Vereinnahmung und Rekombination existent wird. Der Spaß an dieser Art Kontext-Konfrontation erhöht sich proportional mit der Menge an erinnertem und ergoogeltem Wissen über die verwendeten Bestandteile. In Falle von What A Wonderful Surprise kommen die Protagonisten nicht zuletzt aus verschiedenen musikhistorischen Epochen und aus völlig konträren gesellschaftspolitischen Zusammenhängen.

-Gegenschnitt-

Damit zurück in die Kirche, denn: Die Ausstellung, die hier zu sehen ist, findet nicht in einem so genannten profanierten Kirchenraum statt. St. Gertrud bestreitet über die Ausstellungsdauer weiterhin den Regelbetrieb einer katholischen Gemeinde. Davon zeugt das Ewige Licht genauso, wie der Tisch gleich neben der Tür, der dem Neuankömmling Informationsmaterial über Gottesdienste und den als Flyer formatierten Pfarrbrief anbietet. Auf demselben Tisch finden sich auch in trauter Multitude die ausstellungs-obligaten Informationen zum Künstler Jan Scharrelmann und den Einlassungen der ihn vertretenden Galerie Hammelehle und Ahrens.

Diese nämlich hat gemeinsam mit der Kirchengemeinde St. Agnes, so kann man es auf dem Informationsblatt lesen, die Idee einer kombinierten sakralen und kulturellen Nutzung seit dem Frühling 2009 verhandelt. Weiter beschreibt die Zielsetzung die Chance, den gesellschaftlichen Herausforderungen auf experimentelle Weise zu begegnen und neue Impulse zu entwickeln. Mit diesem letzteren Satz würde sich so ungefähr jeder Kunstschaffende empfehlen, eine katholische Christengemeinde auf dem Weg der experimentellen gesellschaftlichen Lösungsfindung allerdings, vermittelt doch den Eindruck eines verhältnismäßig undogmatischen Ansatzes.

Im Laufe der weiteren Erkundung des so genutzten Kirchenraumes, nähere ich mich dem eingangs erwähnten, rostdurchwirkten Steinblock, der sich jetzt in voller monolithischer Größe vor mir aufbaut. Und je näher das Auge dem Objekt kommt, desto klarer wird, dass meine Wahrnehmung von Welt maßgeblich auch von der Suggestivkraft der Oberflächenbeschaffenheiten mitgeprägt ist. Und dass das voluminöse Zwei-Meter-Objekt vermutlich nicht einen Bruchteil dessen auf die Wage bringt, was man ihm aus ein paar Meter Entfernung noch unterstellt hätte.

Das an das Alchemistische grenzende Prozessieren von Oberflächen wie es Scharrelmann für sich als künstlerisches Prinzip erhoben hat, findet sich auch bei den Kuben wieder. Die Quadratur des Kreises im Quadrat ist an manchen Seiten mit einer Schicht Epoxydharz von expressiver Farbintensität versehen. Diese verschieden eingefärbten Hartflächen stehen im krassen Kontrast zum Basismaterial der Kuben, nämlich Styropor, das sich an den verbleibenden Seitenflächen in seiner ernüchternden, konkreten Materialwirkung offenbart. Den Verweis auf- oder besser: Das Spiel mit der Schwerkraft eröffnen die Artefakte des Arbeitsprozesses: kleine Harzverläufe an Ecken oder Kanten, die der Gravitation im Moment der Produktion folgen.

Die glatten, stark glänzen Harzoberflächen in Neonorange, Gelb, Schwarz oder Blautönen gehalten, eignen sich ganz hervorragend um dem kindlichen Impuls nachzugeben, in ihnen die Spiegelung des umgebenden Raumes zu betrachten und diese durch Positionswechsel perspektivisch zu modulieren. Und während ich noch mein Mobiltelefon zusammenschiebe, mit dem ich gerade per Fotomodus, ein gleißendes Gottfried Böhm-Fenster auf tiefschwarzem Grund direkt neben einer horizontal laufenden blauschwarzen Harznase platziert habe, lese ich im ausgelegten Informationsblatt, dass die Skulpturen Träger von bildhaften Wirkungen sind. Tja, stimmt. In der Tat oszilliert die Aufmerksamkeit zwischen einerseits dem multiplizierten Bildraum, in dem die Bildhaftigkeit der Objekte und der sakrale Umgebungsraum zusammenfallen, und andererseits der spezifischen Materialrealität, z.B. der eines trivialen Styroporblocks, der mich sehr schnell auf meine profane Realität im Jetzt und Hier verweist.

Die beiden Gesten die hier zusammenkommen, die der Kunst und die der Religion, verbinden sich in diesem Kirchenraum zu einem Dritten. Zu einer gesamtskulpturalen Raumwirkung aber auch zu einer Zusammenführung unterschiedlicher Denkfiguren, die ihre Berechtigungen spielerisch gegeneinander ausloten, die ihre Wahrnehmung von Welt auf unterschiedliche Materialitäten zurückführen, sie behaupten, um sie im nächsten Moment wieder zur Disposition zu stellen. Es bleibt keine verbindliche Erkenntnis, sondern ein spirituelles Nachflirren ob der Dynamik dieser mentalen Prozesse.

Die Kunst wird durchwirkt von den Transzendenz-Qualitäten der Religion und die Religion wird durchwirkt von einem profanen Streben nach Erkenntnis im ästhetischen Erleben. Und beide Seiten machen sich dadurch verletzlich und beide Seiten scheinen daran zu wachsen. Und vermutlich wird kein Dritter diesen besonderen Moment zur unmittelbaren Profitmaximierung vereinnahmen können. Dieser Gedanke gefällt mir. Sehr gut sogar. Und tatsächlich erinnert er an das subversive und multiplikatorische Prinzip des Bastard Pop.

Und wenn man sich mit der Neugier des Suchenden und in der richtigen Symmetrie nochmals den Kuben zuwendet, dann kann durchaus beobachten, wie sich der Herr Jesu am Kreuz auf der Oberfläche der harzgewordenen, alchemistischen Geste des Jan Scharrelmann multipliziert. What a wonderful surprise!

Thom Kubli


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